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Schokolade

Die SZ und ScienTomlogy

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Medien | 21. Januar 2008 | 15:05:21 | Dirk Kirchberg

Um meine Kritik deutlicher zu machen als bisher, habe ich den Text nochmals überarbeitet.

Heute morgen wäre mir bei der Lektüre der SZ fast die Kaffeetasse aus der Hand geglitten. Ich konnte nicht glauben, was der sonst von mir sehr geschätzte Tobias Kniebe im Feuilleton unter der Überschrift Die Logik der Eskalation geschrieben hat.

Es geht wieder einmal um Tom Cruise, seine Mitgliedschaft bei Scientology – die er in diesem Video besonders verstörend erklärt – und im aktuellen Fall um Guido Knopps jüngste Aussage, Cruise trete auf wie Goebbels. Nicht vergessen: Es geht nicht um die monströsen Verbrechen der Nazis, sondern um Goebbels‘ respektive Cruises Rhetorik und die Art und Weise, wie er Menschen manipuliert, damit sie ihm folgen, und welche Pläne er (bzw. sein Guru L. Ron Hubbard) für die Welt hat.

In seinem Artikel stellt Kniebe zwei Behauptungen auf:

1. »Anweisungen [von Scientology] zum Mord an Andersdenkenden sind jedenfalls nicht bekannt«

Das mag stimmen. Aber sehr weit davon entfernt ist die Sekte nicht. Ich empfehle Herrn Kniebe, etwas zu Lisa McPherson und Paulette Cooper zu lesen.

2. »Die Sekte steht weltweit unter schärfster Beobachtung und muss schon deshalb alles daransetzen, sich gesetzeskonform zu verhalten.«

Das Wort, das hier fehlt, lautet mittlerweile. Denn wenn man sich die bekannten Fakten zu Operation Snow White anschaut, erfährt man, dass es sich dabei um den größten Fall von Spionage in der Geschichte der USA handelt.

Sage nicht ich, sondern Dr. David Touretzky von der Carnegie Mellon University. Und das nicht erst an diesem Wochenende, sondern bereits im Juli 2007. Denn vor einem halben Jahr hatte bereits ein anderer Deutscher Cruise mit Goebbels verglichen. Damals war es kein Publizist mit einer Vorliebe für Histotainment, sondern ein Pfarrer, der für Sekten- und Weltanschauungsfragen der
Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig ist, Thomas Gandow.

Dieser sagte über den Film Valkyrie, in dem Cruise Claus Schenk Graf von Stauffenberg spielt: »Dieser Film wird den gleichen Propagandaeffekt für Scientology haben wie ihn die Olympischen Spiele von 1936 für die Nazis hatten.«

Ursula Caberta von der Arbeitsgruppe Scientology der Stadt Hamburg fordert seit langem, Scientology zu verbieten. Sicher nicht die schlechteste Forderung, wenn man im Verfassungsschutzbericht 2006 nachliest, was dort zur Scientology-Organisation (SO) steht. Zu den folgenden Fakten schreibt Kniebe:

»Die totalitären Tendenzen, die sich aus den Schriften des L. Ron Hubbard herauslesen lassen, reichen gerade dafür, Scientology in Deutschland als „verfassungsfeindlich“ einzustufen – zu mehr aber auch nicht.«

Und was sagen unsere Verfassungsschützer dazu?

»Ein wichtiger Bestandteil der SO­-Strategie, eine „neue Zivili­sation“ nach ihren Vorstellungen zu errichten, ist die Kampagne zur Schaffung „Idealer Orgs“. Die Organisation sieht darin so­gar „die umfassendste Strategie für das Klären des Planeten“. Danach werden bestimmte größere Niederlassungen der SO zu „Idealen Orgs“ ausgebaut. Auch mehrere deutsche „Orgs“ sollen nach diesem Konzept expandieren und dann verstärkt im scien­tologischen Sinne auf die Gesellschaft einwirken.«

Und weiter: »Es gibt nicht nur Anhaltspunkte dafür, dass die SO mit der „Ideale Org“-­Kampagne noch mehr als bisher politisch wirken will. Der SO­-Führer Miscavige sprach in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich von der „Beseitigung“ von „unterdrückerischen Personen“, sogenannte Suppressive Persons (SP), um das Ziel einer neuen Zivilisation durchzusetzen.«

Leider ist es so, dass Scientology – warum auch immer – in Deutschland immer noch legal agieren darf. Warum tun sich unsere Behörden, Politiker und Gerichte so schwer damit, eine offensichtlich antidemokratische, totalitäre Diktatur-Sekte zu verbieten? Müssen Scientologen erst im Parlament sitzen, damit jemand aufwacht?

Herr Kniebe wünscht sich, dass die derzeitige Debatte schnell und schmerzlos erledigt wird. So wie Alt-Bundeskanzler Kohl mal einen offenen Brief / eine Kampagne von Scientologen mit dem Ausspruch »Unsinn« beiseite wischte. Worum ging es? Kniebe dazu:

»Die Junge Union hatte damals dazu aufgerufen, seine Film „Mission: Impossible“ zu boykottieren, woraufhin sich eine ganze Reihe von Hollywood-Prominenten in einem offenen Brief an Bundeskanzler Kohl wandten, der in der International Herald Tribune abgedruckt wurde.«

Wenn es nur immer so einfach wäre. Wir erkennen den Unsinn und wischen ihn weg. Einfach so.

Übrigens: Nur weil dieser Kult sich mit Hollywood-Mimen schmückt, heißt das nicht, dass er nicht gefährlich und eine reine Leinwanderscheinung ist, die verschwindet, sobald man das Licht anmacht. Letzteres, Herr Kniebe, nennt sich Kino. Scientology aber operiert im echten Leben. Auch wenn diese Sekte den wirren Lehren eines Science Fiction-Autoren folgt, der ein Faible für bewusstseinserweiternde Drogen hatte.

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6 Antworten zu “Die SZ und ScienTomlogy”

  1. 21. Januar 2008 um 18:27:07 | warlord sagt:

    Das Thema ist zwar wohl zu komplex um hier in den Kommentaren diskutiert zu werden. Daher nur soviel: Was Dir an Herrn Kniebes Artikel so missfällt, habe ich aufgrund Deines Artikels leider überhaupt nicht verstanden.

  2. 21. Januar 2008 um 19:35:20 | Dirk Kirchberg sagt:

    Moin warlord,

    ich empfehle Dir, den SZ-Text und den Verfassungsschutzbericht zu lesen, die Videos zu schauen, die Links abzugrasen und dann die Meinung der Experten (Verfassungsschützer und Sektenbeauftragte) gegen die des Autoren abzuwägen. Dann wirst Du sicher verstehen, was ich meine.

  3. 21. Januar 2008 um 20:34:14 | claude sagt:

    Apple-Lawsuits-Kirche

    L. Ron Hubbard’s declaration that the purpose of a lawsuit was to „harass and discourage“.

    aus

    Paulette Cooper (May 8, 1982). The 1982 Clearwater Hearings: Day 4. Retrieved on 2007-02-12.

    Wenn ich mir die AGBs oder EULA für auch nur updates von Apple INc. anschaue hoffe ich daß das nur die amerikanische Art ist.
    Sonst….

  4. 21. Januar 2008 um 21:04:10 | warlord sagt:

    Hab ich, hab ich. Und es ist nicht das erste und einzige, was ich über Scientology schon gelesen und gesehen habe. Keine Bange, ganz so naiv sind die Gründe meines Unverständnisses nicht. Es scheint nur so, dass Herrn Kniebes Artikel bei Dir und bei mir völlig anders angekommen ist.
    Mir liegt nichts ferner, als Partei für Scientology (oder irgend eine andere Glaubensgemeinschaft) zu ergreifen. Das tut doch aber auch Herr Kniebe nicht. Auch wenn das bei Dir so angekommen zu sein scheint und Du zwei „Behauptungen“ aus dem Kontext heraus reisst und Dich auf deren Widerlegung stürzt. Die Kernaussage des Artikels ist doch die, dass das Aufheben, das gewisse Kreise derzeit veranstalten, der Sekte mehr nützt als schadet. Diese Aussage empfinde ich nicht als skandalös. Ganz im Gegenteil. Sie wäre bedenkenswert.
    Und wenn Herr Kniebe auf seinem Argumentationsweg auch die Frage streift, was denn nun letztlich an Scientology verwerflicher und verfassungsfeindlicher ist, als an anderen Glaubensgemeinschaften oder auch gewissen anderen „Massenphänomenen“, dann halte ich auch diese Frage durchaus für stellenswert (und vom Verfassungsschutz nicht für beantwortet). Aber hier kommen wir nun eben wirklich auf Terrain, das den Rahmen dieses Mediums sprengt.

  5. 21. Januar 2008 um 21:38:54 | Dirk Kirchberg sagt:

    Ach, wir sitzen doch im Café – da darf man diskutieren. 😉

    Aber im Ernst: Was mich an diesem Artikel so stört, ist die Forderung, dass man Diskussion um diese Angelegenheit einfach beiseite wischen sollte. Hört man sich aber mal die Cruises Forderungen und Vorstellungen an, gleicht das mit dem anderen Materialien ab, die frei verfügbar sind, dann ist doch klar, dass wir es hier mit einer Organisation zu tun haben, die über die nötigen Gelder für riesige Medienkampagnen und ausreichend Lobbyarbeit verfügt. Das gepaart mit dem totalitären Anspruch, den sie ja nicht einmal verstecken, zeigt doch, wie gefährlich diese Sekte ist.

    Wegwischen und »Unsinn« rufen reicht da – leider – nicht. Das Problem ist doch, dass diese Organisation von vielen Menschen immer noch nicht als das wahrgenommen, was sie ist – eben kein mieser und verquaster SciFi-Streifen, sondern Realität…

  6. 25. Januar 2008 um 14:39:23 | Schikilade sagt:

    Das beste zum Thema Scientology-Kritik ist die Southpark-Folge „Trapped in the closet“. Darin haben sie die Scientology-Lehren animiert in Szene gesetzt, vom bösen galaktischen Herrscher und den Weltraukriegen usw! Darüber blinkt ständig ein Text „This is what Scientologists actually believe!“ – Wunderbar! ;-D
    Wegen dieser Folge hat Scientologe Isaac Hayes (Stimme von Chef) das Team verlassen, mit der Begründung, dass er diese Verunglimpfung von Religion nicht tolerieren kann – woraufhin die Southpark-Macher zu recht bemerkten, dass er damit komischerweise keinerlei Probleme hatte, als es quasi ständig gegen die Juden (SP-Macher Matt Stone ist selber Jude), die Mormonen, die Islamisten und die Christen ging! 😉
    Nach Hayes‘ Ausstieg haben sie gerade mal ein paar Wochen später den Charakter Chef in der Serie sterben lassen. Da Isaac für Voiceacting nicht mehr zur Verfügung stand, haben sie einfach Soundbites aus älteren Folgen aneinandergestuckelt, um ihn die fiesesten Sachen sagen zu lassen! 😉 Und das auch noch völlig ohne irgendwelche digitale Nachbearbeitung, um die Sätze harmonisch klingen zu lassen!
    Scientology wird darin als „Super Adventure Club“ bezeichnet, der Chef das Gehirn gewaschen und ihn zum Pederasten gemacht hat. Bei der Beerdigung (Chef stirbt ca. 100 Tode!) sagt Kyle dann, dass wir Chef als den guten Kerl in Eriinnerung behalten sollten, der er war, bevor ihm der „Super Adventure Club“ das Gehirn gewaschen hat! 😉

    Wunderbare Aktion, ich will gar nicht wissen, wieviele Drohungen und Einschüchterungsversuche die danach bekommen haben. Ich schätz aber mal, das langweilt die inzwischen, weil sowas für die schon lange Alltag sein dürfte! 😉 Da darf Scientology mal schön ne Nummer ziehen und sich hinten anstellen, hehe…