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FBM 2025 Tag 5: Wölfe, Lämmer und Buchmarktretter

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 20. Oktober 2025 | 15:16:15 | Roland Müller

Messe-Sonntag auf der Frankfurter Buchmesse. So langsam schwinden uns die Körner, vor allem in den Beinen und im Rücken. Was man von Klaus-Peter Wolf nicht behaupten kann. Denn der turnt wohlgemut über alle Bühnen, die die Messe bereithält. Sensationelle Energie, der Kollege!

Wir schaffen es irgendwie, bis zum Stand des Hanser Verlags vorzustoßen, quer durch die nun reichlich vollen Gänge. Und tatsächlich, zumindest hier am Stand gibt’s noch Exemplare des diesjährigen Gewinners des Deutschen Buchpreises, „Die Holländerinnen“ von Dorothee Elmiger. In sehr vielen Buchhandlungen ist das Buch bereits vergriffen, und der Verlag tut sich aufgrund der Druckereienkrise schwer, zeitnah Nachschub herbeizuschaffen. Die Hanser-Website zeigt jedenfalls ein „in Kürze wieder lieferbar“ an. Ein Luxusproblem, irgendwie.

Gleich rechts vom mittleren Eingang zu Halle 3.0 hat ein chinesisches Unternehmen seine Zelte aufgeschlagen und bietet faszinierend detaillierte Bastelsätze für Dioramen an, die man sich ins Bücherregal stellen kann, sollte da noch Platz sein (was in der Regel eher nicht der Fall ist). Fertig zusammengebaut werden diese dreidimensionalen, schummerig LED-beleuchteten Teile tief in die Herzen der Leserinnen und Leser vorstoßen, jede Wette!

Wir lassen die Dioramen hinter uns und picken querbeet noch ein paar empfehlenswerte Lektüren für Euch auf. Eines davon, erschienen beim Imprint Blumenbar der Aufbau Verlage ist „Mauerpogo“ von Sonja M. Schulz, mit der wir uns neulich in Berlin beim Jubiläum der Aufbau Verlage recht lange unterhalten konnten. Ein tiefer Blick in die DDR, sieben Jahre vor dem Mauerfall, in dessen Verlauf wir an die Haut einer Vierzehnjährigen schlüpfen, die kurz vor der anstehenden Jugendweihe den Punk für sich entdeckt.

Rau, rotzig, mit einer Sprache, in die, wie wir wissen, die Autorin sehr viel Arbeit gesteckt hat, bis sie so direkt und authentisch fließen konnte wie in diesem wunderbaren Coming-of-age Roman. Für uns ein ideales Buch für NA- und YA-Fans, die Magie, Drachen und Tropes mal hinter sich lassen möchten. Ein Ausflug in die Welt Gleichaltriger zu einer Zeit, als noch an den real existierenden Sozialismus geglaubt wurde. Unser sehr spezieller 13. Lesetipp!

Und wo wir schon mal am Aufbau Stand herumlungern, müssen wir auch auf „Israel“ von Sabine Adler zu sprechen kommen. Womit wir noch ein Stück näher ans Zeitgeschen rücken. Die renommierte Journalistin stellt mit diesem Buch Fragen an ein Land, das sich seit dem 7. Oktober 2023 in seinen Grundfesten erschüttert sieht.

Im Unterschied zu vielen anderen Schreibenden, die sich dieses Themas annehmen, tritt sie aber einen Schritt zurück und hört Bürgerinnen und Bürgern aus allen Milieus und Lagern Israels zu, die auf ihre Fragen antworten. Vorbildlicher und zunehmend seltener werdender Journalismus ohne Bewertung und Moralisierung und genau deshalb ein wichtiger Beitrag zu einem vernünftigen, vorurteilsfreien Diskurs der Situation im Nahen Osten. Unser 14. Lesetipp!

Vorsicht, jetzt wird’s thematisch sprunghaft! Denn schon stehen wir am Stand von Luchterhand und greifen nach dem aktuellen Saša Stanišić mit dem gewohnt schrägen Titel „Mein Unglück beginnt damit, dass der Stromkreis als Rechteck abgebildet wird“. Der Hamburger Autor lässt damit die Witwe hinter sich, geht einen Schritt weiter und legt diese Ermutigung vor, wie der verschämte Untertitel verspricht.

Nach ausführlicher Lektüre schwingen wir uns zu der Behauptung auf, dass Saša Stanišić mit diesem Buch etwas gelungen ist, was wir eigentlich nicht erwartet hatten: ein Lebensratgeber, über den man schallend lachen oder stundenlang grübeln kann!

Gehaltene und ungehaltene Reden, egal was, in jedem Fall aber großes Kino. Deshalb unsere dringende Empfehlung, den Schalter umzulegen und den Stromkreis zu schließen: unser 15. Lesetipp und vielleicht der absurdeste von allen!

Traditionell machen wir ja auf jeder Buchmesse einen Abstecher zum kleinen, feinen und der Nachhaltigkeit verpflichteten Independent-Verlag Kjona. So auch diesmal. Und wenn wir gerade von Lebensratgebern gesprochen haben (die wir normalerweise scheuen wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser oder der Verbrennerfahrer das E-Mobil), genau das fällt uns auch hier in die Hände.

Emilia Roig, nicht gerade unbekannt in der Szene und erstmals exklusiv verlegt vom Kjona Verlag, legt mit „Lieber Sohn oder So rettest du die Welt“ ein dünnes Bändchen vor. Aber was für eins! Irgendwie schafft sie es, auf hundertundeinpaar Seiten einen Brief an die kommende Generation zu schreiben, der es in sich hat. Fast eine Kurzanleitung zur Rettung unserer Welt.

Selbst nach kurzem Hineinlesen wird uns klar: Mehr als dieses dünne Buch und den zuvor beschriebenen Stromschlag von Saša Stanišić braucht es tatsächlich nicht, um die Welt, um uns alle zu retten. Außer dem Mut, zu lesen und dann auch danach zu handeln! Der dünnste 16. Lesetipp, den wir je abgegeben haben!

Wir mäandrieren weiter, die Füße werden schwerer und uns steht der Sinn nach kriminell guter Unterhaltung der eher zerstreuenden Art. Und natürlich werden wir fündig. Ein fesselnder historischer Kriminalroman im feinsten englischen Stil springt uns ins Auge, ein bisschen lieblos wie auf einem Krabbeltisch neben Dutzenden weiterer Vertreter der Spannungsliteratur platziert. Der im London des Jahres 1901 spielende „Der Tote in der Crown Row“ von Sally Smith, selbst Anwältin mit Temple-District-Erfahrung, erschienen bei Goldmann, macht uns gleichwohl neugierig. Denn an historischen Krimis herrscht derzeit ja nicht unbedingt Mangel.

Aber der hier ist schon speziell. Liegt’s an seiner „Britishness“? Vermutlich. Ein adliger Anwalt ermittelt im historischen Rechtsviertel von London. Ohne Hast erzählt, mit sehr viel feinem britischem Humor ist das ein perfekter und zugleich komplexer Krimi zum Runterkommen nach einem hektischen Messetag (beispielsweise). Und das verdient in jedem Fall einen 17. Lesetipp!

Und weil wir nicht bei Klett-Cotta vorbeigehen können, ohne auch hier in die Regale zu spähen, gebührt diesem Lieblingsverlag vieler (wir zählen uns durchaus dazu) die letzte Empfehlung unseres diesjährigen Messerundgangs. „Schon wieder Katzen!“, mag jetzt jemand stöhnen. Okay. Aber „Die Magnolienkatzen“ von Noriko Morishita erinnern uns unwillkürlich an Durian Sukegawas „Die Katzen von Shinjuku“, das wir im vergangenen Jahr auf unserer Empfehlungsliste hatten.

In einer geradezu schwebenden, leichtfüßigen Erzählweise, wie sie in Japan (und von uns) geschätzt wird, entspinnt sich ein Bild des kätzischen Wesens, wie es bisher noch keiner der langsam zahlreicher werdenden japanischen Romane für Katzenliebhaber entworfen hat. Unaufgeregt und alltagsnah und dabei konsequent den Titel umsetzend, der im japanischen Original sehr viel treffender 猫といっしょにいるだけで („einfach nur mit Katzen zusammensein“) lautet, ist dies unser abschließender 18. Lesetipp – ausschließlich für Katzenliebhaber!

Halbwegs ermattet vom letzten Messetag werfen wir kurz einen Blick zur Bühne von XPLR Media in Bavaria (was für ein nichtssagender Titel), wo sich mit Knut, Miri, Thomas et al drei bis vier Säulen der Buchkritik und des Bloggings gerade sitzend ein Stelldichein geben. Entgegen unserer Erwartung wird dabei nicht Gravierendes verbreitet, eher ein allgemeines Wohlfühl-Statement darüber, wie toll diese Messe ist und überhaupt und so weiter. Also gehen wir weiter …

Denn da ist ja noch die vielbeschworene Halle 1.1! Das Mekka der New Adult und Young Adult Kultur. Und in diesem Jahr auch sinnvollerweise ausschließlich auf die junge Zielgruppe ausgerichtet. Offenbar hat die Messegesellschaft dazugelernt. Klar, dass wir uns das nicht entgehen lassen wollen. Schließlich ist das der Ort, von dem sich Verlage und Buchhandel den Wiederaufschwung erhoffen.

Platzhirsch Lyx hat natürlich einen der größten Stande aufgebaut. Das ist auch nötig, denn das Gedränge am Sonntagvormittag ist erwartbar gewaltig.

Mindestens dasselbe kann man auch rund um den Buchhändler Buchmädchen feststellen. Hier ist der Name Programm. Und wir fragen uns ganz heimlich, woran es liegen mag, dass das Pendant dieser begeisterunsfähigen jungen Leserinnenschaft, die im vergleichbaren Alter befindlichen jungen Männer, für sich noch keine adäquaten Genres entdeckt haben. Verdammt nochmal, Ihr Jungs! Könnt Ihr nicht lesen oder wollt Ihr es nicht? Manchmal könnte man als Autor am männlichen Geschlecht verzweifeln. Aber wem sagen wir das? Indgesamt war dieser Besuch in Halle 1.1 ein sehr hoffnungsvoller und positiver. Das einzig Negative, das uns auffiel: Viele der Merchandise-Artikel waren mit Preisen versehen, die hart an der Grenze zur Abzocke lagen. Das muss nicht sein!

So viel Rumlauferei macht durstig. Passenderweise entdecken wir am Gemeinschaftsstand der österreichischen Verlage ein schlankes, aber überaus interessante Buch, das unseren Zustand gewissermaßen reziprok aufgreift. „Trocken“ von Daniel Wagner. Erschienen bei Kremayr & Scherlau.

Ein sehr lesenswertes Elaborat eines bekennenden Ex-Alkoholikers, der damit feiert, dass er seit mittlerweile fünf Jahren wieder trocken ist. Die Texte darin sind alles andere als trocken. Und oft genug schmerzhaft. Aber auf eine brutale und geradezu verstörende Art und Weise ehrlich. Was einen intensiven Blick hinter die Kulissen des Monsters der Alkoholsucht zulässt.

Zudem ist der Autor Daniel Wagner ein früherer Berufskollege. Und einer von den gar nicht so wenigen, die in der oft unerzählt stressigen Werbebranche irgendwann zur Flasche und dann nicht mehr von ihr loskamen. Respekt, lieber Daniel, dass du wieder schreibst, arbeitest und gedeihst!

Ist es unpassend, nach diesem etwas schwierigen, weil alkoholreichen Thema die Kurve ausgerechnet mit Alkohol zu kriegen? Aber was will man machen? Drei Stunden Standdienst bei den Kolleginnen und Kollegen vom Syndikat gehen nun mal nicht spurlos vorüber. Schon gar nicht, wenn sich irgendwo in den gut gekühlten Tiefen noch ein paar Flaschen Perlendes entdecken lassen. Zumal uns der Kommunikationsvorstand geradezu befohlen hat, alles zu vernichten und zu verschenken, was der Stand hergibt. Einfach, um sich die nach dem abendlichen Abbau (des Standes, nicht der Kondition!) anfallende Schlepperei der Restmengen zum Auto zu ersparen, der Schlawiner! War mir eine Freude, liebe Kolleginnen und Kollegen. Spätestens in Leipzig sehen wir uns wieder. Cheerio!

Ja, das war’s dann von der Frankfurter Buchmesse 2025. Was bleibt sind Zahlen, die mal wieder den bestehenden Rekord gebrochen haben: In diesem Jahr besuchten 118.000 Fachbesucher*innen und 120.000 Privatbesucher*innen (2024: 115.000 Fachbesucher*innen und 115.000 Privatbesucher*innen) aus 131 Ländern (2024: 153 Länder; 2023: 130 Länder) die Messe – mehr als im Jahr zuvor. 4.350 Aussteller (2024: 4.300) präsentierten sich in den Messehallen. Mit insgesamt 591 Tischen im früh ausgebuchten Literary Agents & Scouts Centre (LitAg) sowie im Publishers Rights Centre (PRC) waren beide Zentren stark nachgefragt (Vorjahr: 593 Tische). Mit Rechtehändler*innen von insgesamt 357 Agenturen und Verlagen aus 33 Ländern sowie mit 44.900 Eintritten waren die beiden Arbeitszentren für den internationalen Rechtehandel stark frequentiert (Vorjahr: 355 Verlage und Agenturen und 38.000 Eintritte). 7.800 Medienvertreter*innen (Vorjahr: 7.500) registrierten sich, um über die mehr als 3.500 Veranstaltungen an den Fach- und Publikumstagen (2024: 3.300 Events) zu berichten.

Wir freuen uns, dass wir erneut Euer Auge und Ohr auf der größten Buchmesse der Welt sein durften. Es hat Spaß gemacht und Kraft gekostet. Aber wie immer werden wir uns ganz schnell erholen. Und im März nächsten Jahres steht dann die Leipziger Buchmesse an. Bis dann: Lest gute Bücher! (Gila & Roland, Euer Messeteam aus dem digitalen Café)

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FBM 2025 Tag 4: Auftrieb, Vielfalt und ein Namensvetter

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Unterhaltung | 19. Oktober 2025 | 18:18:48 | Roland Müller

Messe-Samstag. Bei strahlend blauem Himmel und perfektem Herbstwqetter geht’s hoch hinaus. Die Außen-Rolltreppe zwischen Agora und Halle 3.1 ächzt unter der Last der Menschen. Ein Security-Mensch achtet darauf, dass die Besucherinnen und Besucher nur schubweise auf die Stufen steigen. Er wird wissen, warum.

Während wir anstehen und auf die nächste Ladung warten, schauen wir uns um und entdecken unerwarteterweise einen nicht ganz Unbekannten, der fröhlich und in seiner unnachahmlichen Weise in die Runde grinst. Auch wenn Oliver Kalkofe sonst eher übers TV lästert, scheint er nun auch gefallen gefunden zu haben an der Bücherwelt. Vielleicht hat er aber auch nur ein Date mit einem Verlag?

Endlich in der Halle angekommen, steuern wir als erstes den bisher bei unserer Messe-Berichterstattung von uns vernachlässigten Verelag Wagenbach an. Was natürlich nicht ohne profunde Lesetipps abhene kann. „Cara Elsa – Briefe von und an Elsa Morante“, herausgegeben von Cornelia Wild und übersetzt von Maja Pflug und Klaudia Ruschkowski mag eher als Insidertipp wahrgenommen werden, ist aber von der ersten bis zur letzten Seite lesenswert. Denn die Briefe zwischen Elsa Morante (einer der berühmtesten Schriftstsellerinnen Italiens) und ihren engsten Schriftsteller- und Künstler-Weggefährten wie Cesare Pavese, Natalia Ginzburg, Italo Calvino, Alberto Moravia, Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti decken auf, was sie im Innersten bewegte. Sie künden von Erfüllung und Einsamkeit, Euphorie und Selbstzweifel, Erfolg und Scheitern einer Schreibenden. Faszinierende Lektüre und deshalb unser 5. Lesetipp!

Spannend und ebenfalls bei Wagenbach erschienen sind „Die Kollaborateure“ von Katrina Tuvera. Aus dem Philippinischen übersetzt von Jan Karsten. Tuvera berichtet in ihrem ersten auf Deutsch erschienenen Buch von existenziellen Konflikten ausgangs des 20 Jahrhunderts, dem Aufstieg von Marcos‘ Clique, der Militärdiktatur und den Seilschaften der Profiteure und Kollaborateure. Und ganz nebenbei von der Geschichte eines uns immer noch weitgehend unbekannten Landes. Das Spannende: Die Autorin schreibt aus der Sicht eines Mitläufers des Regimes!

Ein Buch, das Wagenbach sei Dank auch für unsere aktuelle Situation inmitten eines aufkeimenden rechten Populismus interessante Erkenntnisse vermittelt über ganz grundsätzliche Strukturen, die in autoritären Regimen bestens gedeihen. Ergo: unser 6. Lesetipp!

Krasser Themenwechsel und ebenfalls bei Wagenbach erschienen: Mit „Die Feuerschrift“ macht Autor Lothar Müller ein Fass auf. Denn in diesem spannend zu lesenden Sachbuch präsentiert er uns ein völlig neues Bild des klischeebehafteten Giacomo Casanova, der viel zu vorschnell als bloßer Frauenbetörer gehandelt wird. Weit gefehlt! Denn Wahrheit war Casanova ein exzellent vernetzter Abenteurer, Projekteschmied und politischer Kommentator des Zeitgeschehens. Ein hoch gebildeter Intellektueller, der alle Informationsquellen seiner Zeit zu nutzen wusste. Deshalb beinhaltet Müllers Buch auch einen Auszug aus Casanovas bisher unübersetzter „Geschichte der politischen Wirren“.

Wer dieses Buch gelesen hat, wird alles, was er bisher über Casanova zu wissen glaubte, hinter sich lassen. Allein dafür gebührt dem Autor größtes Lob. Dass er dazu einen sehr lesbaren und unterhaltsamen Erzählton beherrscht, macht dieses Buch erst recht zu unserem 7. Lesetipp!

Irgendwie fält es uns schwer, uns vom Wagenbach Verlag wieder zu verabschieden. Das ist nicht zuletzt auch Verdienst eines weiteren Buches, das wir aus den Regalen fischen: „Der Hase im Mond“ von Milena Michiko Flašar. Wir hatten ja vor einer Weile bereits ihr „Herr Kato spielt Familie“ gelobt und empfohlen. Mit ihrem neuen Werk liefert sie keinen stillen und tiefen Roman, sondern eine Sammlung von Erzählungen und Kurzgeschichten, die allerdings die gleiche Poesie atmen wie ihr Romanwerk.

Ohne zu spoilern muss man sagen, dass diese Geschichtensammlung überaus kreativ, wie gesagt sehr poetisch und oft genug surreal und fantastisch daherkommt. Ein Lesevergnügen von ganz eigenem Sprachrythmus und auch deshalb unser 8. Lesetipp!

Nun aber los zu neuen Ufern! Wir schlendern über den großen Stand der Aufbau Verlage, deren Programm gerade im Jahr des 80-jährigen Jubiläums durch außergewöhnliche Vielfalt glänzt …

… und landen gleich nebenan bei Diogenes. Zwei literarisch hochrangige unabhängige Verlage Tür an Tür, wie schön. Wir finden Bestsellerautor Takis Würger im Kreis seiner Jüngerinnen. Nein, Quatsch, junger Fans, die an seinen Lippen hängen. Wir versuchen, die Runde nicht zu stören und stöbern durch die Regale.

„Down Cemetery Road“ von Mick Herron fällt uns sofort auf. Kein Wunder, sind wir doch große Fans seiner Slow Horses Reihe. Mit diesem neuen Kriminalroman bringt Herron erstmals eine Ermittlerin ins Spiel. Kann sie die überaus kauzigen Charaktere der Slow Horses toppen oder zumindest das Level halten? Nun, nach kurzem Anlesen sind wir jedenfalls sehr angetan.

Und das hat nichts damit zu tun, dass auf dem Rücktitel Herrons berühmte Kollegin Val McDermid zitiert wird, „isch schwöre!“

Dass allerdings ausgerechnet die großartige Emma Thompson sich im von ihr geschriebenen Vorwort als Mick Herron Fan outet, das hat schon was. Aber auch ohne Emma unser 9. Lesetipp!

Auch unser nächster Lesetipp hat eine Vorgeschichte. Denn in unserem Regal steht „Rendezvous mit einem Oktopus“, ein bereits etwas älteres Buch von Sy Montgomery, in dem sie in einer unvergleichlichen Ton ihre Erfahrungen mit Oktopoden schildert. Nature Writing at its best. Und zugleich der Grund dafür, dass bei uns seitdem keine Kalmare mehr in der Küche landen. Nun lässt sich die Naturforscherin und Drehbuchautorin auf eine ähnlich alte Spezies ein: Schildkröten.

Ausgangspunkt dieses erzählenden Sachbuchs sind ihre ganz persönlichehn Erfahrungen in einer Schildkröten-Auffangstation in Massachusetts, in der sie ein Freiwilligenjahr verbracht hat. Was sie daraus gemacht hat und mit diesem Buch vorlegt, ist die perfekte Entschleunigungslektüre. Und zugleich eine Liebeserklärung an eine der ältesten lebenden Spezies des Planeten mit dem Potenzial, unsere Sicht auf die Welt und die Natur zu verändern. Unbedingter 10. Lesetipp!

Bleibt noch auf Stefan Hertmans „Dius“ hinzuweisen. Eine eigentümliche Männerfreundschaft abseits der Lebensräume der beiden Protagonisten, einem hochbegabten, aber recht ambivalenten, gleichwohl charmanten Kunststudenten und seinem deutlich älteren Dozenten. Eine jahrelange Freundschaft, die an einer Lüge zerbricht und Jahre später auf eine Neuauflage hofft. Unter wesentlich komplizierteren Bedingungen und mit einem überraschenden Ausgang.

Ein Roman, der ganz grundsätzliche Fragen aufwirft über Leben und Freundschaft, Erwartungen und Enttäuschungen und nicht zuletzt Sinn, Notwendigkeit und Zweck der Kunst. Anrührend zu lesen wie fast jeder Roman aus der Feder des im Original Niederländisch schreibenden Belgiers Hertmans und Nachdenken hinterlassend. Unser 11. Lesetipp!

Muss ich noch verraten, dass wir nach so vielen Lesetipps mit kurrenden Mägen kurz die Buchmesse verlassen und wohin gehen? Okay, Ihr ahnt es schon, dann muss ich es nicht wiederholen.

Nach kurzer Verdauungspause schauen wir beim Stand des Verlags Hermann Schmidt vorbei, einem von Gilas (meiner Gattin) Lieblingsverlagen. Denn nur hier findet sich das gebündelte Know-how von Typografie, Design und professioneller Grafik zwischen Buchdeckeln versammelt. Schönes Neues. Schönheit, wie das bereits in der Headline zu diesem Messebericht angeklungen war. Ja, genau darum geht es! Und die wird offenbar auch von Karin Schmidt-Friderichs geteilt, Ex-Vorstand des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, die dieses Amt zu Beginn dieser Messe turnusgemäß an einen Nachfolger weitergereicht hat. Endlich Zeit für Schönheit, liebe Karin? Genießen Sie es!

Und dann kommen wir zum finalen Termin dieses Messe-Samstags. Wir sind verabredet mit einem lieben Kollegen und ebenfalls Mitglied im Montségur Autoren-Forum, der heute in Halle 3.0 auf der Bühne der „30-Minuten-WG“ präsentiert wird, einer Kooperation der Stern-Redaktion und der Verlagsgruppe Penguin Randomhouse. Wir sind rechtseitig vor Ort und ergattern sogar nach einigem Gerangel zwei Stühle.

Titus Müller, Namensvetter und erfahrener Autor historischer Stoffe (Kunststück, er ist studierter Historiker) präsentiert im Interview mit der Stern-Redakteurin gewohnt eloquent und witzig „Die Dolmetscherin“, sein neuester Roman. Nicht zu verwechseln mit dem Kinofilm gleichen Titels von Sidney Pollack. Basierend auf intensiven Recherchen (seine Begeisterung dafür teilen wir!) in den Gesprächsprotokollen der Nürnberger Prozesse entblättert Titus Müller die faszinierende Geschichte einer der ersten Simultan-Dolmetscherinnen überhaupt, die auf ihre eigene Art ihren Beitrag zur Wahheitsfindung bei der Aufklärung des größten Menschheitsverbrechens der Geschichte geleistet hat. Kein leichter Stoff. Aber brilliant recherchiert und sehr, sehr lesenswert. Allein schon aufgrund der ungewohnten Perspektive der Protagonistin. Es kann also nur unser 12. Lesetipp dabei herauskommen!

Anschließend haben wir uns zu dritt nach draußen verzogen, an die frische Luft eines immer noch sonnigen Herbsttages, getrunken, geredet und unseren Spaß gehabt beim Austausch unserer Erfahrungen als Autoren mit Verlagen, Agenten und den Gesetzmäßigkeiten des Buchmarktes. Nochmal herzlichen Dank an dieser Stelle, lieber Titus, für diesen würdigen Ausklang unserer Berichterstattung über den Samstag in den heiligen Buchmessehallen der Stadt Frankfurt!

Morgen, liebe Leserinnen und Leser, werden wir die diesjährige Berichterstattung von der größten Buchmesse der Welt mit einem finalen Beitrag beenden. Viele Fotos, der eine oder andere Lesetipp und Skurrilitäten links und rechts der Hallen erwarten Euch. Bis dahin: lest ein gutes Buch (zum Beispiel das von Titus)!

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FBM 2025 Tag 3: Zettelwirtschaft, Preisgewinner und ein Dinner

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 18. Oktober 2025 | 20:36:39 | Roland Müller

Messe-Freitag. Wir machen uns wieder auf den Weg. Und verirren uns kurzfristig in der Zettelwirtschaft von Thalia, die gleich in mehreren Hallen gigantische Stände mit Tribünen, Installationen und On-Stage-Veranstaltungen betreiben. Worum es hier ging? Keine Ahnung. Irgendwas mit Bücherseiten und Drachen. Sonst hätten sich kaum so viele junge Frauen hier aufgehalten.

Messe-Freitag, das bedeutet auch: Massenandrang nach den beiden eher beschaulichen ersteh Messetagen, die dem Fachpublikum vorbehalten waren. Nun ja, wir wissen ja, worauf wir uns einlassen beim Einlassen.

Erster Schock an diesem Vormittag: Eine erschreckend offene Diskussion der AVJ zum Thema Lesekompetenz. Auch wenn der Fokus auf den ökonomischen Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland lag, bestach Frank Kühne, der Programm-Manager des Carlsen Verlags, mit ganz konkreten und machbaren Vorschlägen, wie man der Lesekompetenz in Zukunft auf die Sprünge helfen kann. Sein Wort in die Ohren der Politiker (auch wenn sie verschlossen bleiben wie eh und je, wenn es um dieses brisante Thema geht).

Um nicht allzusehr über die Misere der Lesekompetenz nachdenken zu müssen, konzentrieren wir uns anschließend auf ein paar Lesetipps für all jene, die sich des Lesens mächtig fühlen. Alle drei Tipps deutsche übersetzungen philippinischer Werke. Allen voran, weil’s uns besonders gefallen hat aufgrund seines rauen, rotzfrechen Tons „Ein ziemlich böses Mädchen“ von Jessica Zafra.

(Zum Glück) exzellent übersetzt und versehen mit großem Sprachwitz und Sprachbeherrschung wird hier die Geschichte einer Heranwachsenden in Manila erzählt. Gesellschaftskritik vom Feinsten und nicht nur deshalb unser 1. Lesetipp!

Wir bleiben bei den Philippinen. Als Beherberger einer Bande Sibirischer Katzen können wir natürlich schlecht an einer Grafik-Novel über „Die Strassenkatzen von Manila“ vorübergehen. Schon gar nicht, wenn sie stilistischn so eigenständig und ungewöhnlich daherkommt wie jene des Künstlers und Zeichners Archie Oclos.

Sechs echte Charaktere, die dort ihr Leben fristen, wo die philippinische Metropole ihre weniger touristenfreundlichen Seiten zeigt.

Ungewöhnlich und völlig bubble-frei die Begleittexte, die jedes Tableau nur mit drei Worten kommentieren. Sehr assoziativ. Deshalb unser 2. Lesetipp!

Deutlich mehr Text findet sich „Überreste“, dem Roman von Daryll Delgado, hervorragend übersetzt von Gabriele Haefs. Hier dreht sich alles um die Klimakatastrophe und was sie denen antut, die mitten darin leben. Keine Dystopie, sondern einfach nur Beschreibung dessen, was rund um die Philippinen immer häufiger passiert.

Genau deshalb ist dieser Roman so beklemmend. Nimmt er am Ende gar nur vorweg, was auf uns hier zukommt, mit einem Zeitversatz von vielleicht zehn oder fünfzehn Jahren? Unser 3. Lesetipp!

Nach so viel Dramatik schlendern wir ein wenig ziellos durch die Messehallen und wundern uns kurz über zu Zombies erstarrte Kinder und Halbwüchsige, die sich mittels VR-Brillen in ihr ganz eigenes Romance-Universum flüchten. Irgendwo im Romance-Imprint von Rowohlt. Kann man es Ihnen verdenken eingedenk dessen, was vielleicht auf uns zukommt?

Schließlich kommen wir an der Leseinsel der unabhängigen Verlage an und stolpern mitten hinein in die Präsentation des neuesten Werks eines der renommiertesten französischen Comiczeichner: David Prudhomme. Mit „Rembetissa“ legt er nach zehn Jahren eine Fortsetzung seines Meisterwerks „Rembetiko“ vor.

Auch wenn es ein wenig ungewohnt war – für uns mehr noch als für den sehr alerten Moderator – dass Prudhomme in einigermaßen improvisiertem Englisch kommunizierte, war dies eigentlich überhaupt kein Problem. Denn er gehört zu jenen Comiczeichnern, deren Bilder eh alles sagen.

Der Bequemlichkeit halber blieben wir vor Ort. Die Stühle im Auditorium waren sehr bequem und wir schon etwas ermüdet von den täglichen 14.000 Messeschritten (laut iPhone Health App). So entging uns nicht die Folgeveranstaltung. Zwei Vertreter der Karl May Gesellschaft stellten „Briefwechsel mit seinen Verlegern“ vor. Eine überraschend spannende und unterhaltsame Sammlung von Karl Mays Korrespondenz. Aus der ein ganz anderes Bild des mit mehr als 80 Millionen Exemplaren erfolgreichsten Schriftstsellers deutscher Sprache hervorgeht. Wirklich faszinierend. Wir neigen dazu, das zu unserem 4. Lesetipp zu erklären!

Und wo wir schon mal saßen, verfolgten wir auch noch die nächste Veranstaltung. Die Verleihung des soeben erst aus der Wiege gehobenen Ilse-Schwepcke-Preises für Reiseschriftstellerinnen.

Auch wenn die beiden Stifter, beide verwandt mit der besagten, spät berufenen Reiseschriftstellerin und Verlegerin Ilse Schwepcke, bei ihrem offenbar ersten öffentlichen Auftritt in dieser Sache ein wenig verkniffen wirkten, muss man ihnen doch hoch anrechnen, mit diesem neuen Literaturpreis eine wirklich Luucke zu füllen. Vergeben wurde der Preis an diesem Abend in zwei Kategorien: englischsprachige und duetschsprachige Reiseliteratur von Autorinnen.

Spannend für uns war zu sehen, wer es auf die Shortlist der sechs deutschsprechigen Kandidatinnen geschafft hatte. Und siehe da, eine gute Bekannte war unter den Nominierten: Birgit Lutz, die Expeditionsleiterin und Reiseschriftstsellerin, mit der wir selbst guten Kontakt pflegen und das „Arktis-Virus“ teilen. Dass am Ende dann „Nachtzugtage“ von Millay Hyatt das Rennen machte, kein Problem. Auch das war in den Augen der Jury verdient.

Jeder Literaturpreis zählt. Auch dieser Neuzugang. Auch wenn er sich im Vergleich etwa zum von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehene Georg-Büchner-Preis bescheiden ausnehmen mag. Er ist wichtig für Autorinnen, und er erhöht die Sichtbarkeit.

Dass jemand wie Nina George auf derlei Auszeichnungen längst verzichten kann, ist klar. Wer es schafft, auf der größten Buchmesse der Welt das größte Buch der Welt zu platzieren, braucht sich um mengelnde Sichtbarkeit keine Gerdanken mehr zu machen. In Gedanken versunken, aber auch hungrig und durstig nach einem wieder einmal langen Messetag trollen wir uns …

… Denn schließlich steht an diesem Abend noch das alljährliche Autoren-Dinner der Aufbau Verlage auf dem Terminkalender. Zum ersten Mal. Mitten in Sachenhausen, im nicht nur unter Frankfurtern legendären „Zum gemalten Haus“. Um so lustiger, länger, apfelwein- und kalorienreicher wurde es dann auch. Vielen Dank für die Einladung, Ihr Lieben!

Das war’s dann für den Messe-Freitag. Es folgt der Messe-Samstag mit noch mehr Menschen, noch mehr Geschichten und vor allem noch mehr Lesetipps! CU!

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FBM 2025 Tag 2: Bambus, Conquista und ein Monsterauge

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 16. Oktober 2025 | 21:12:15 | Roland Müller

Die Headline deutet es bereits an: Heute, am Messe-Donnerstag, haben wir uns auf den Weg gemacht zum Pavillon des diesjährigen Ehrengasts der Frankfurter Buchmesse, die Philippinen. Ohne zu ahnen, was uns erwarten würde. Denn jeder Ehrengast hat seine ganz eigene Philosophie, der Gestaltung seines Messeauftritts. Das gilt auch für die Philippinen. Un um es gleich vorwegzunehmen: Was wir vorfanden, war der krasse Gegensatz zur bemühten, oft barocken Opulenz des italienischen Pavillons vom Vorjahr. In jeder Beziehung!

Maximaler Minimalismus. Inseln im leeren Raum. Eine Metapher auf das südostasiatische Land, das aus mehr als 7.000 Inseln besteht. Das Baumaterial und die Konstruktion der offenen Leseinseln erinnerte an traditionellen Bambusbau. Tatsächlich aber wurden alle Inseln aus in einem hellen Beigeton lackierten Stahlrohren zusammengebaut. Die Optik jedoch blieb die luftige, schwebende Leichtigkeit jener Pflanze, von der auf den Philippinen fast 200 verschiedene Arten existieren.

Wir gehen ein paar Schritte weiter hinein in den Raum. Die Inseln sind teils Leseinseln, bestückt mit Büchern, …

…teils tragen sie riesige Projektionsflächen, die bespielt werden. Die imposanteste davon zeigte eine Endlos-Videosequenz eines Auges, das blinzelt, schaut und schließlich eine Träne fließen lässt. Eine Metapher auf die Befindlichkeit des Landes und seiner Menschen?

Wir umrunden die Installation und scheun uns weiter um. Auch dahinter wieder Bücher.

Wir sind recht früh am Tag hier im Pavillon und können uns deshalb noch sehr ungezwungen bewegen. Die Besucherzahl ist noch überschaubar, was sich im Laufe des Tages ändern wird.

Wir sehen uns eines der „Bücherhäuser“ genauer an.

Im Innern der luftigen Konstruktion sind längs beider Wände Bücher nach Themenbereichen sortiert präsentiert. Beginnend mit der Geschichte der Philippinen, über Natur, Architektur, Traditionen usw.

Das mit Abstand dickste und schwerste Buch der Präsentation trägt einen bezeichnenden Titel. Der Inhalt: Die minuziöse Aufzeichnung der Eroberund der philippinischen Inseln durch die Spanier im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Geschrieben von einem der „Verursacher“ höchstselbst. Wer weiß, wie sich die Konquistadoren andernorts aufgeführt haben, kann sich in etwa ausmalen, was sich auf den Philippinen abgespielt haben muss.

Ein paar Schritte weiter entdecken wir auf einer weiteren Leseinsel die Antwort auf das historische Trauma der Eroberung und den Grundstein des heutigen Selbstverständnisses der Philippinen:

José Protacio Mercado Rizal y Alonso Realonda – kurz José Rizal – war ein philippinischer Schriftsteller, Arzt und Kritiker des Kolonialismus. Er wird als Nationalheld geradezu kultisch verehrt und sein Andenken am 30. Dezember, dem Jahrestag seiner Hinrichtung 1896 durch die spanische Kolonialregierung, offiziell gefeiert. Nicht zuletzt wegen seines Romans „Noli me Tangere“, der die Rebellion gegen die spanische Besatzung lostrat und schlussendlich die Philippinen in die Selbstständigkeit führte. Braucht es noch einen weiteren Beweis, dass ein Buch den Lauf der Geschichte verändern kann?

Beeindruckt vom Gesehenen und Gelesenen schauen wir uns weiter um. Auf einer der Bühneninseln gibt Dr. Ramón Pagayon Santos, ein philippinischer Komponist und Ethnomusikologe, eine Einführung in die philippinische Musik, die eine sehr tiefe und grundsätzliche Bedeutung für das Selbstverständnis der Menschen hat. Eine der vielen Brücken, die die zahllosen Inseln und ihre spezifischen lokalen Ethnien verbinden.

Exotische Klänge im Ohr werfen wir einen Blick hinüber zu einer zwanzig Meter breiten Projektionsfläche, über die langsam ein Spazierstock hinwegwandert. Wenig später wird er regelrecht lebendig, windet sich in Teilen wie eine Schlange. Faszinierend und irgendwie gespenstisch. Aber vielleicht auch genau das, wofür ein so mythenreiches Land wie die Philippinen steht. Alles kan n schlagartig eine andere, eine neue Form annehmen.

Eine weitere Insel. Diesmal werden philippinische Autoren und ihre Werke vorgestellt.

Wieder ein Schwenk. Nun ein Thema, das bei uns längst von der Tagespolitik ins Abseits verbannt wurde. Hier hat es eine enorme Aktualität. Denn die Inseln der Philippinen werden in der Folge der massiven Klimaerwärmung in der westpazifischen Region immer häufiger und immer heftiger von Stürmen und schweren Unwettern heimgesucht. Es kann nicht ausbleiben, dass die Literatur dies zum Thema macht. Mehr als bei uns allemal. Trotz Organisationen wie den Climate Fiction Writers Europe, denen ja auch ich selbst angehöre. Womöglich können wir genau da etwas von den Philippinen lernen.

Viele Eindrücke. Zu viele vielleicht. Und das trotz der minimalistischen, fast kargen Präsentation. So nehmen wir dankbar das Angebot an, uns auf einer genau dafür geschaffenen Insel zu entspannen und zu verarbeiten, was wir heute gesehen haben. Allerdings, nach einer Weile meldet sich der Magen. Mittagszeit!

Auch wenn die angebotene philippinische Küche sehr verf¨hrerisch scheint, bleiben wir unserer Lieblingsadresse, dem gestern bereits gelobten Ramen Jun Westend treu. Damit das stabile Herbstwetter erhalten bleibt, haben wir auch brav alles aufgegessen.

Den Nachmittag verbringen wir durch die Hallen mäandrierend. Mittlerweile bei deutlich mehr Publikumsverkehr als noch am Vormittag. Das nutzt auch Denis Scheck mit seiner Druckfrisch-Ausgabe von der Frankfurter Buchmesse. Hier mit der Historikerin Marianne Ludes und deren Roman „Trio mit Tiger“ über Max und Mathilde Beckmann im Amsterdamer Exil. Spannende Lektüre übrigens!

Und dann haben wir ja noch einen speziellen Termin. Wir wollen eine liebe Kollegin treffen, mit der Uwe Ritzer, Markus Brauckmann und ich neulich einen Literatur-Podcast bestritten haben (Folge #245 von Sprenger spricht) – Theresia Graw. Und da Gila und ich ihren Roman „In uns der Ozean“ gleichermaßen lieben (er erzählt die Lebensgeschichte der berühmten Umweltaktivistin Rachel Carson, die gewissermaßen die weltweite Umweltbewegung begründet hat), habe wir ihre Signierstunde natürlich eigennützig gekapert.

Es war eine große Freude, die Stimme persönlich kennenzulernen, mit der ich damals nur akustisch zu tun hatte. Danke, liebe Theresia!

Danach versackten wir dann kurz beim traditionellen Icetea-Empfang für Autor:innen und Blogger:innen am Stand von Syndikat e.V. – sehr lustig wie immer die Kolleginnen und Kollegen. Allen voran natürlich Vorstandsmitglied Klaus Maria Dechant!

Gut gelaunt ging’s weiter, eigentlich Richtung Ausgang. Denn wir wollten noch einen Blick in Halle 4.1 werfen. Aufgehalten wurden wir von Michel Friedmann, der am Stand der Süddeutschen Zeitung im Rahmen der Präsentation seines neuen Buches „Mensch“ einen sehr emotionalen und trotzdem geschliffenen Dialog zum Thema Antisemitismus in Deutschland führte und darüber, was der Einzelne tun kann – ausgehend von seiner eigenen Familiengeschichte. Wer die nicht kennt: Seine Eltern und seine Großmutter zählten zu jenen Menschen, die auf Oskar Schindlers Liste standen und gerettet werden konnten vor der Vergasung.

Insofern dauerte es eine Weile, bis wir endlich in Halle 4.1 eintrafen und dort in der wirklich hintersten Ecke versteckt die Centre Stage fanden. Gerade rechtzeitig, um die so spannende wie von der Realität längst überholte Podiumsdiskussion zum Thema „Kotau vor der Tech-Wirtschaft oder Fair Play“ mitzuverfolgen.

Was blieb danach, an diesem zweiten Tag der Frankfurter Buchmesse? Nun, da können wir eigentlich nur den vom unvergessenen Marcel Reich-Ranicki so gern zitierten Satz von Berthold Brecht wiederholen: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

In diesem Sinne sehen wir uns morgen wieder. An gleicher Stelle. Mit vermutlich noch mehr offenen Fragen, den ersten und zahlreichen Lesetipps von der diesjährigen Buchmesse und dere einen oder anderen Begebenheit, die wir heute noch garnicht auf dem Schirm haben. Bis dann!

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FBM 2025 Tag 1: Literadtour, Bücherautomaten und ein Messe-Mayer

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 15. Oktober 2025 | 20:31:50 | Roland Müller

Aus aktuellem Anlass beginnen wir unsere diesjährige Berichterstattung von der Frankfurter Buchmesse nicht mit den üblichen Bildern, sondern starten direkt mittendrin, auf der Agora zwischen den heiligen Messehallen. Denn hier trifft am Mittwochmorgen, pünktlich um 10 Uhr 30, unser Held ein: ein junger Mann, der in sieben Monaten mehr als 10.000 Kilometer durch 16 Bundesländer zurückgelegt hat, um mit seiner „Literadtour“ Menschen fürs Lesen zu begeistern.

Herzlich willkommen, lieber Lennart Schäfer! Es war uns ein Vergnügen, dich auf Instagram als einer der ersten Follower auf dieser langen Strecke zu begleiten. Mehr als 10.000 Kilometer mit einem E-Lastenrad voller Bücher, Klamotten, Verpflegung und Reparaturmaterial, das ist schon mal eine Ansage. Von den sieben Plattfüßen unterwegs ganz zu schweigen.

Während Lennarts Start vor sieben Monaten noch lediglich bei Buchmarkt-Insidern und natürlich den Buchhandlungen und Verlagen, die er ansteuerte, Aufsehen erregte, sieht das heute, nach dieser Marathon-Tour des jungen Buchbotschafters schon anders aus. Ein ganzer Pulk TV-Teams, Pressefotografen und Journalisten erwarteten den jungen Mann beim Zieleinlauf und stellten Fragen, Fragen, Fragen. Na klar, wir natürlich auch. Und nun sind wir sehr gespannt darauf, wie Lennart weitermachen wird mit seiner Mission, für die er brennt. So viel hat er uns schon verraten: Er wird die Erlebnisse auf dieser Tour in einem Buch verarbeiten, sobald er zurück ist in seiner Heimatstadt Hamburg. Nach allem, was wir hören, hat sich auch bereits ein Verlag gemeldet …

Nach diesem luftigen Start in den Messemittwoch lassen wir uns beschwingt in die Messehallen treiben, schwimmen mit dem um diese Zeit noch moderaten Besucherstrom Richtung Halle 3.

Die Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat ist am Vormittag des ersten Messetages noch menschenleer.

Auch die Messehallen füllen sich erst langsam. Wir genießen das und wollen uns noch nicht ausmalen, was hier in den kommenden Tagen los sein wird.

Auch bei den Mörderischen Schwestern stapeln sich noch keine Leichen. Wirklich ungewohnt. Das wird sich im Verlauf der Messe aber ändern, ganz sicher!

Dafür treffen wir einen lieben Autorenkollegen, Oliver Baier, der am Stand von Mainbook seinen Debüt-Thriller „Frankfurt Beats“ präsentiert. Wir konnten ihm ja neulich bereits auf einer Lesung lauschen und sind ziemlich begeistert von dieser beklemmenden Mischung aus Frankfurt Vibes und psychologisch tief ausgearbeiteten Figuren.

Wir schlendern weiter und schauen am Stand von Reclam ein paar Besuchern über die Schulter, als sie am Reclam-Bücher-Automat Notizbücher ziehen. Eine witzige Idee in nostalgischer Verpackung.

Ein Stück weiter präsentieren auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage die Verantwortlichen der Kurt Wolff Stiftung den Jubiläumskatalog der unabhängigen Verlage. Längst so etwas wie die Bibel der kleinen, unabhängigen Verlage. Die Stiftung versteht sich als Interessenvertretung der zahllosen deutschsprachigen unabhängigen Verlage und engagiert sich für eine vielfältige Verlags- und Literaturlandschaft.

Nachdem sich mittlerweile – es geht auf 13 Uhr zu – Hunger in uns breitmacht und wir nicht unbedingt das durchaus vielfältige und schon mal fette Angebot der diversen Food-Trucks und Stände auf der Agora nutzen wollen, besuchen wir unseren Geheimtipp außerhalb der Messe. Im Ramen Jun Westend in der nahegelegenen Wilhelm-Hauff-Str. 10 meditieren wir über unser weiteres Messebegehen, während wir eine köstliche Ramen schlürfen (und schlabbern, sorry, aber das gehört dazu). Da wir um die Beliebtheit der Adresse wussten, haben wir rechtzeitig vorher online reserviert. Solltet Ihr auch tun!

Zurück auf der Messe stand unser einziger fixer Termin des Tages an, ein Treffen mit Kolleginnen und Kollegen des Autoren-Forums Montségur. Aber naja, viele kamen nicht. Immerhin aber eine liebe Freundin und Kollegin. Allein wegen ihr hat sich das Date gelohnt (Danke nochmal, Inez!).

Anschließend stürzten wir uns wieder in den nun schon zunehmenden Messetrubel. Vorbei an den üblichen Verdächtigen des Droemer Knaur Verlags.

Und zumindest heute ließen wir auch Sen Lin Yus „Alchemised“ links liegen, ein 1.200 Seiten schweres Dark Fantasy Epos, das nach allem, was zu hören ist, auf einer Fanfiction des Harry-Potter-Universums basiert, in dem Draco und Hermine ein Kind bekommen. Um Urheberrechtsstreitigkeiten zu vermeiden, wurden alle derartigen Bezüge rausgewaschen. Ullstein hat den weltweiten Megaseller ins Programm genommen und mit einer bombastischen Startauflage von 300.000 Exemplaren plus entsprechendem Marketing-Budget in die deutsche Lesewelt gesetzt.

Wir lassen die Fantasy hinter uns und steuern den Stand der Aufbau Verlage an, die derzeit ihren achtzigjährigen Verlagsgeburtstag feiern. Unser Besuch ist durchaus nicht ganz uneigennützig und natürlich von Neugier getrieben.

Und ja, das sieht doch ausgesprochen gut aus, was da unter dem Imprint Aufbau Taschenbuch Verlag im Regal platziert ist. Auch wenn es sich immer noch ein wenig weird anfühlt, zugleich Berichterstatter vom literarischen Hochamt des Buchmarktes, der Frankfurter Buchmesse, zu spielen und selbst Thriller-Autor zu sein. Wer mir auf Instagram folgt (@rm.eisrausch) weiß, dass ich „Eisfalle“ für den eisigsten Thriller des Jahres halte. Und hey, ich muss es ja wissen, oder?

Und dann treffen wir ihn doch noch. Gerade wollen wir uns auf den Nachhauseweg machen, den Messe-Mayer! Matthias Mayer mit Klarnamen, seit vielen Jahren ein Berichterstatter vom Geschehen im Buchmarkt und vor allem hinter dessen Kulissen. Was er im für ihn typischen Outfit tut und im für ihn typischen ironischen und satirischen Ton. Ein Genuss, ihm auf buchmarkt.de zu folgen und zu begleiten. Wir können’s nur empfehlen!

Soviel für heute, am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse 2025. Morgen geht’s weiter und zwar heftig! Schließlich müssen wir uns ja den Pavillon des Ehrengasts Philippinen genauer anschauen und einen Blick auf deren hierzulande noch viel zu unbekanntes literarisches Schaffen werfen. CU tomorow!

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