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Nur ein Midwestern Boy?

Veröffentlicht in Gesellschaft, Politik | 28. Januar 2020 | 16:07:40 | Roland Müller

Der Wirtschaftsclub Rhein-Main e.V. – 1950 gegründet von jungen Unternehmern und Führungskräften der Wirtschaft im I.G.- Farben- Haus in Frankfurt am Main. Im Gegensatz zu bestehenden Vereinigungen in Deutschland aus der Vorkriegszeit ist dies von Anfang an keine ausschließliche Unternehmer-Vereinigung. Angestellte Manager, Führungskräfte und Arbeitnehmer wurden einbezogen. Dadurch konnten Interessenvertretungen verhindert werden, und es entstand ein „dritter Ort“ mit absoluter Neutralität in parteipolitischer, sozialer, religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht. Im Mittelpunkt der Veranstaltungen stehen bis heute der Austausch von Meinungen und Ideen sowie eine Kontaktaufnahme zu potentiellen Geschäftspartnern. Besonders spannend ist die Auswahl von Gästen und Rednern, die übers Jahr im Wirtschaftsclub auftreten.
Wir hatten das Vergnügen, bei einem wenige Tage zurückliegenden Treffen des Wirtschaftsclubs den US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, kennenzulernen. Nun ja, was heißt schon kennenzulernen? Die Ambivalenz seiner Person eilt ihm ja voraus. Nicht nur in medialen Kreisen wie der FAZ, die ihn als „Brachialdiplomaten“ charakterisiert. Oder die TAZ, die als seine Lieblingsbeschäftigung das Drohen ausgemacht haben will. Wir jedenfalls wollten uns selbst ein Bild machen. In Frankfurt am Main, in der Villa Bonn.
Worauf achteten wir also beim Auftritt von Richard Grenell, der sich selbst mit einem berechnenden Augenzwinkern als „Midwestern Boy“ bezeichnet, als einen ganz normalen Vertreter jenes Mittleren Westens der USA, aus dem sich der Löwenanteil von Trumps Wählern oder besser gesagt Fans rekrutiert? Richtig: auf seine Körpersprache, auf seine Gestik. Und weniger auf das, was er tatsächlich sagte.
Oh ja, der Mann hat Ausstrahlung, Charisma sogar. Und er weiß davon Gebrauch zu machen. Insbesondere, wenn er mit seinen deutschen Freunden spricht und sie vor dem Feind warnt. Was natürlich und schon immer das böse, böse Russland ist. Ein zwar einfaches, wenn nicht sogar eindimensionales Bild. Aber in Anbetracht des Putin’schen Machtbewusstseins zumindest nicht ganz unzutreffend.
Kontrolliert, selbstbewusst, sich jederzeit seiner Gestik bewusst präsentiert sich Mr. Grenell als charmanter Wolf im Wolfspelz. Der einfache Junge aus dem Mittleren Westen weiß ganz genau, was er anbietet und was er einfordert. Dass er dies in einer alles andere als diplomatischen Sprache tut, mag in seiner Natur liegen. Die er immer wieder nicht ohne ein gerüttelt Maß an Koketterie und, wer weiß, Narzissmus inszeniert. Was, wir müssen es zugeben, nicht ohne Eindruck bleibt auf die Anwesenden und uns.
Was bleibt als Fazit? Richard Grenell ist knallhart, sehr direkt, überaus berechnend und im deutschen Walde der Wolf, dem kein Rotkäppchen begegnen mag. Nichtdestotrotz sind seine Argumente präzise, in Teilen nachvollziehbar und zumindest ernsthaft zu diskutieren. Beispielsweise, wenn es um die ja nicht gerade neuen Forderungen Washingtons nach mehr finanziellem und materiellem Engagement Deutschlands in der Nato geht. Weniger goutieren kann man das brachiale Feindbild, mit dem er durch die Lande reist. Aber nun ja, „America First“ lässt vermutlich keine andere Weltanschauung zu. So oder so: ein spannender Auftritt eines sehr interessanten Mannes.

(Copyright Fotos: Roland Müller)

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