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LBM 2025 (Tag 2): Übliche Verdächtige und ein paar unübliche

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 31. März 2025 | 19:00:59 | Roland Müller

Droemer Knaur gehört zweifellos zu den üblichen Verdächtigen der Verlagsbranche. Nichts, womit wir uns am zweiten Tag unseres Messebesuchs über Gebühr aufhalten wollen. Die Rotunde im Zentrum des Messestandes ist bereits von der Frankfurter Buchmesse her bestens bekannt und unübersehbar.

S. Fischer wiederum stellt „Dream Count“ von Chimamanda Ngozi Adichie groß heraus. Was mehr als berechtigt ist. Denn die teils in den USA lebende Nigerianerin mit dem wunderbar klangvollen Namen hat damit einen Roman über vier sehr unterschiedliche Frauen vorgelegt, der sicher eines der Highlights des Lesejahres 2025 ist. Lesetipp!

Nichtdestotrotz zieht es uns zum Stand des diesjährigen Gastlandes Norwegen. Fünfeinhalb Millionen Einwohner sind zugleich (fast) fünfeinhalb Millionen Leserinnen und Leser. Und fast genau so viele Geschichten in Folge einer uralten Erzähltradition. Ein paar davon wollen wir uns näher anschauen.

Also noch ein kurzer Blick auf die freundlichen Gesichter, die die Seitenwände des Stands zieren und rein!

Licht, leicht, skandinavisch (nein, nicht IKEA, wir sind hier schlieslich nicht in Schweden) präsentieren die Norweger einen Traum im Frühling. Und es ist ganz schön voll, obwohl wir einigermaßen früh unterwegs sind.

Natürlich steuern zuallererst die Bücher von Karl Ove Knausgård an. „Das dritte Königreich“ springt uns zuallererst ins Auge. Der jüngste Band der Reihe „Der Morgenstern“. Ein neuer Stern erscheint am Firmament und in Norwegen stirbt niemand mehr. Mit allen Konsequenzen, die das zeitigt. Vielleicht nicht der stärkste Band der Romanreihe, aber wieder ein echter Knausgård.

Was wohl als nächstes kommt? Ein viertes Königreich? Es wird spannend werden zu sehen, wie lange die Idee trägt. Angeblich hat der Autor ja bereits bevor er überhaupt mit dem Schreiben des ersten Bandes begonnen hatte, die Titel aller Bände festgelegt. Zugzwang nun? Schreibzwang?

Maja Lunde darf man als bekannt voraussetzen. Spät estens mit den vier Romanen des Klimaquartetts hat sie sich als exzellente Climate Fiction Autorin eingeführt, angefangen mit „Die Geschichte der Bienen“. Mit „Für immer“ legt sie nun etwas Neues vor, das uns thematisch spontan an das eben erwähnte dritte Königreich erinnert. Denn in Lundes Roman kommt an einem gewöhnlichen Tag Anfang Juni die Zeit zum Stehen. Sie vergeht nicht mehr. Niemand stirbt, niemand wird mehr geboren. Eine faszinierende Idee mit verwrrenden Konsequenzen. Absolut lesenswert!

Wieviel bodenständiger kommt da Lars Myttings „Die Glocke im See“ daher. Erster Band einer Roman-Trilogie, die in einem kleinen, abgelegenen Dorf in Norwegen spielt, im Jahr 1880 (alle Bände beim Insel Verlag Berlin, bereits auf deutsch erschienen). Sehr atmosphärisch und bereits beim ersten Anlesen all das vermittelnd, wofür norwegische Erzählkunst steht.

Während wir in weiteren Büchern blättern, warten wir auf Trude Teige, die auf der kleinen Bühne ein Interview geben wird, moderiert von Günther Frauenlob – was für ein überaus passender Name (denken wir, ohne den Inhalt des Interviews vorwegzunehmen).

Lohnt sich noch ein Blick in Sigrid Boos „Dienstmädchen für ein Jahr“, ein 30er-Jahre Bestseller in neuer Übersetzung? Oder gar in Nina Lykkes „Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben“? Nein, leider. Denn es geht los …

Wir lauschen einem langen und ausführlichen Interview mit einer glänzend aufgelegten Trude Teige. Mit der Neuauflage ihrer gesellschaftskritischen Kriminalromane um die TV-Journalistin Kajsa Coren darf man sie mit Fug und Recht als eine der besten Krimiautorinnen Norwegens bezeichnen. Zumal sie jede Menge Know-how aus ihrer eigenen Berufszeit als TV-Journalistin mit dem Schwerpunkt Politik in ihren Romanen verarbeitet. Dass sie wie ich bei den Aufbau Verlagen verlegt wird, ist ein gutes Gefühl.

In Nachbarschaft zum Stand des Gastlandes Norwegen prangt das blau-gelbe Signet des ukrainischen Standes. Wir treffen ein, als ein prominenter ukrainischer Philosoph auf der Bühne zu Wort kommt.

Wir lauschen Kostjantyn Sihows flammendem Plädoyer und verstehen ein klein wenig besser als eh schon, was für Europa auf dem Spiel steht.

Was wir als im westen Deutschlands Sozialisierte nicht wussten: Seit 1961 pflegt Leipzig eine Städtepartnerschaft mit Kiew. Und der Ukrainische Kultur- und Bildungsverein Oseredok Leipzig e.V. organisiert seitdem zahlreiche kulturelle Projekte und Kooperationen zwischen beiden Städten.

Wir entspannen uns von dem plötzlichen Einbruch der Weltpolitik und des unsäglichen russischen Überfalls auf die Ukraine in dem, was der österreichische Gemeinschaftsstand als „Kaffeehaus“ apostrophiert. Allerdings ganz ohne den degenerierten Charme eines bspw. Wiener Kaffeehauses. Egal. Kaffee hilft immer!

Mittlerweile lacht draußen die Sonne auf das Dach der Glashalle und auf die gewächshauswarmen Verbindungstunnel zwischen den Messehallen. Also schalten wirum auf Messe-Tunnelblick und eilen weiter.

… und landen mitten in einer Lesung eines uns unbekannten Independent Verlags auf der Leseinsel der Jungen Verlage und eines genauso unbekannten Autors. Ein Glücksfall, wie sich schnell zeigt. Mit „Gesicht zur Wand“ legt Hans-Gerd Pyka, ein stämmiger und schlagfertiger Autor in unseren eigenen besten Jahren einen Roman vor, der uns (wie gesagt, beide westdeutsch sozialisiert) die Augen öffnet für eine Zeit und eine Gesellschaft vor, während und nach dem Mauerfall. Hans-Gerd Pyka erzählt mit Witz die bewegende Geschichte eine Jugendlichen und Heranwachsenden, der mit der DDR-Obrigkeit in Konflikt gerät, unter abenteuerlichen Umständen aus der DDR flieht und im westen einen holprigen Neuanfang versucht. Magisch! Und damit ein klarer Lesetipp!

Natürlich haben wir uns daraufhin den unabhängigen Verlag mit Namen Dreiviertelhaus genauer angeschaut, der schräg gegenüber der Leseinsel einen winzigen 800-Euro-Eckstand belegte. Ein kleines, feines Programm, auf das wir sich ein Auge haben werden. Denn genau das macht den Reiz der Leipziger Buchmesse aus: Man entdeckt kleine, sehr engagierte Verlage mit lesenswertem Programm.

Nach einem langen, anstrengenden Messetag beobachten wir, wie die Grünflächen des Messegeländes zunehmend zur Picknickzone werden. So schön grün kann eine Buchmesse sein!

In diesem Sinne wünschen wir Euch erholsame Lesestunden mit Eurer Bücherbeute, falls Ihr selbst auf der LBM wart. Und wenn nicht, stöbert Ihr einfach durch unsere Lesetipps und überschüttet Eure Lieblingsbuchhandel mit Euren Bestellungen. Morgen berichten wir hier an gleicher Stelle über den dritten und vierten Messetag. Also stay tuned!

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Augen zu und durch?

Veröffentlicht in >Mission Statement, Gesellschaft, Internet, Kultur, Medien, Politik | 15. Februar 2025 | 14:52:32 | Roland Müller

Es ist absehbar, dass dieses Jahr 2025 eines wird, das uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die Welt scheint zunehmend aus den Fugen zu geraten. Das Recht des Stärkeren wird allerorts neu installiert. Rechtes Gedankengut, klassisches und postklassisches, sickert in die Mitte der Gesellschaft ein. Ein neuer Imperialismus wird unverhüllt zur Schau getragen und oft genug gefeiert, jenseits des Atlantiks ebenso wie weit im Osten. Und oft genug auch hierzulande. Fast immer sind es alte, weiße Männer, die an den Stellhebeln der Macht zerren. Die Hoffnung, dass das nur ein Klischee sei, hat sich längst zerschlagen. Und hinter ihnen eine Riege von Tech-Milliardären, die ihre Chance gekommen sieht, sich und ihre Geschäftsmodelle final von jeder Regulierung zu befreien. Und sich selbst von uns. Mars, wir kommen!

Augen zu und durch? Ist das alles, was uns bleibt? Wählen, was uns als das geringste Übel erscheint? Zum Beispiel bei den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar. Ja, was das Wählen angeht! Augen zu? Nein! Wir werden hier im digitalen Café weiter den digitalen Kulturraum durchleuchten und wo es uns notwendig scheint, Entwicklungen kommentieren, die kommentiert werden müssen. Zeigen, was ist. Das, was man als das Kerngebot eines guten, kritischen Journalismus verstehen kann. Zeigen, was ist und dies mit gebotener Distanz zur Sache und zu den Rezipienten. Jene Art von Journalismus, die in vielen breitstreuenden Medien zunehmend in Vergessenheit zu geraten scheint. Sei es aus zu großer Nähe zur Macht und ihren von uns gewählten Entscheidern. Sei es aus Angst um die eigenen Pfründe, jetzige und zukünftige. Journalismus, der nicht mehr als unbequem empfunden wird, verfehlt seinen Auftrag.

Wir werden weiter im Rahmen unserer naturgemäß begrenzten Möglichkeiten versuchen, dem oben formulierten Anspruch gerecht zu werden. Ihr werdet weiterhin keine Werbeeinblendungen hier im Café erleben. Klickzahlen sind uns vollkommen egal. Wir sind und bleiben unabhängige Beobachter und Kommentatoren, niemandem verpflichtet außer dem deutschen Presserecht. Das gilt für mitunter politische Einlassungen ebenso wie für die anstehenden Reportagen. Die erste große in diesem Jahr von der im März anstehenden Leipziger Buchmesse. Die dieses Jahr passenderweise unter dem Motto steht: „Worte bewegen Welten“. Dem schließen wir uns gern an. Insofern gilt wie alle Jahre wieder: Stay tuned!

Euer Café Digital Team.

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Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern ein erfolgreiches Jahr 2025!

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik, Technologie, Unterhaltung | 02. Januar 2025 | 11:03:26 | Roland Müller

Auch wenn das neue Jahr vermutlich genauso weitergeht, wie das alte Jahr endete, wünschen wir Euch und uns Zuversicht, Einsicht und Nachsicht im Umgang mit den Menschen und Geschehnissen, die dieses Jahr für uns bereithalten wird. Tut, was Ihr tun könnt, um ihm einen positiven Verlauf zu geben. Und freut Euch auch in 2025 auf kritische Berichterstattung, fundierte Rezensionen und unterhaltsame Reportagen hier im digitalen Café. CU!

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Magdeburg, Weihnachten und die rechte Lust am Manipulieren von Fakten

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Medien, Politik | 24. Dezember 2024 | 10:20:55 | Roland Müller

Eigentlich wollten wir rechtzeitig zum Weihnachtsfest die üblichen Wünsche an unsere Leserinnen und Leser versenden. Frieden in der Welt, Freundschaft unter den Menschen und die Hoffnung auf ein gutes Leben für alle auf dem engen Erdball. Stattdessen sehen wir uns – ausgelöst durch die Amokfahrt in Magdeburg – in der Pflicht, ein paar Gedanken zu dem Welt- und Menschenbild zu äußern, das derzeit von rechten und leider auch weniger rechten politischen Kreisen verbreitet wird. Ein Faktencheck, der offenbar notwendig ist.

Es ist traurig, mitanzusehen, wie die Faktenlage ignoriert, aktiv geleugnet oder sogar bewusst verbogen wird, um ein Bild unserer bundesdeutschen Gesellschaft zu zeichnen, das mit der Realität nichts mehr zu tun hat.

Und damit sind wir beim Thema Muslime in Deutschland. Beziehungsweise bei der bewussten und mutwilligen Pauschalierung, die jetzt gerade wieder stattfindet. Wobei im Falle des Amokfahrers von Magdeburg in der rechten Wagenburg vollständig ausgeblendet wird, dass der gebürtige Saudi, der seit zwanzig Jahren in Deutschland lebt und als Arzt praktiziert, sich selbst sowohl in einem Interview mit der islamophoben US-amerikanischen RAIR-Foundation (Rise Align Ignite Reclaim) als auch in zahlreichen Social Media Beiträgen als bekennender AfD-Anhänger, Wilmers- und Musk-Fan geoutet hat. Ein saudischer Ex-Muslim, der in Ostdeutschland lebt, die AfD liebt und Deutschland für seine Toleranz gegenüber Islamisten bestrafen will? Nein, dieser Taleb al-abdulmohsen passt in keines der gängigen Muster. Trotzdem wird er von rechten Kreisen fröhlich instrumentalisiert. Ein Grund mehr, dass wir uns einmal anschauen, wie es generell um die tatsächliche Zahl von schweren Straftaten steht, die hierzulande von Migranten begangen werden.

Natürlich blicken wir in den sozialen Medien wie hypnotisierte Kaninchen ausschließlich auf jene Gewaltdelikte, die von Menschen mit Migrationshintergrund begangen werden. Denn nur diese Zahl lässt sich ja instrumentalisieren.

1997 war der Blickwinkel noch medial begrenzt. Die lokale und regionale Tagespresse informierte über das, was sich im unmittelbaren Umfeld zutrug. Die geringe Zahl spektakulärer Gewalttaten schaffte es ins Fernsehen. So weit, so gut.

Die Relation war ein Spiegel der Realität. Doch dann kamen die Sozialen Medien auf. Vermeintlich neutrale Plattformen mächtiger Tech-Konzerne aus den USA und mittlerweile auch aus der VR China. Getrieben von Algorithmen, nur eines sollten: Maximale Verweildauer der User auf der jeweiligen Plattform erzielen. Koste es, was es wolle. Und ja, wer auch immer die Programmierenden waren, sie wussten um die Abgründe der menschlichen Psyche. Das gilt erst recht für die rechten Teams, die nun auf den Plan traten.

Mit den Sozialen Medien traten Gruppierungen unterschiedlichster Couleur auf die Bühne, um die neuen medialen Möglichkeiten für ihre eigenen kruden Interessen zu nutzen. Verschwörungserzähler, die bisher allenfalls ein paar hektisch fotokopierter Flugblätter loswerden konnten, fanden ein breites Publikum. Rechte Parteien nutzten den „bad news are good news“ Kern der Algorithmen, um ihre eigene verquaste und verzerrte Weltsicht als Wirklichkeit zu verkaufen und Angst zu schüren. Eine Angst, die auf den fruchtbaren Boden bestehender Vorurteile fiel. Man musste nur den Blickwinkel ausreichend verengen …

Schaut man durch eine braune Brille auf die Welt, sieht man eben nur Sch****. So wie man durch eine rosarote Brille nur Barbieland sieht. Das eine wie das andere hat mit der Realität, in der wir leben, nichts zu tun. Wichtig ist nur eine einzige Frage: Wem nützt es? Wer will Angst schüren und warum? Diese Frage müssen wir uns jeden Tag aufs Neue stellen. Auch und gerade nach Geschehnissen wie in Magdeburg.

Spätestens nach den Retweets einer rechten, wenn nicht gar neofaschistischen Influencerin durch einen gewissen Silicon-Valley-Multimilliardär sollten wir alle ins Grübeln kommen und hinterfragen, was da getrieben wird. Und unseren Blick zurück auf die Fakten in ihrem Kontext richten. Denn die stehen uns jederzeit zur Verfügung in unserer Demokratie!

Wir bedanken uns bei einem lieben Kollegen, der uns seine Charts für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hat und wünschen Euch allen da draußen einen klaren Blick auf die Fakten, Resistenz gegen die grassierenden Lügen und Halbwahrheiten und natürlich ein schönes Weihnachtsfest im Kreis Eurer Lieben und einen guten Rutsch in ein hoffentlich friedvolleres 2025 als dies 2024 war.

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Tag 5 der FBM 2024: Große Gefühle und alte Helden

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 21. Oktober 2024 | 15:31:57 | Roland Müller

Nachdem heutzutage so ziemlich alles in einer „to go“ Version daherkommt, warum nicht auch Gefühle, große Gefühle sogar? Passenderweise im an eine Werkzeugkiste erinnernden Tragekarton. Schließlich ist gefühlsfokussierte Literatur für Heranwachsende (neudeutsch New Adult) genau das: Werkzeug und Lesezeug zum Bed- und Verarbeiten der eigenen, unterdrückten oder überbordenden (je nachdem) Gefühle und Stimmungen.

Apropos Gefühle: Beim SYNDIKAT, dem Verein der ausgelassen feiernden, schriftstellernden Kriminellen, äh, dem Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur, ging’s mal wieder hoch her. Okay, ich habe gut reden; ich bin ja erst seit kurzem Mitglied. Aber ich will mir gar nicht ausmalen, was auf der nächsten CRIMINALE alles passieren mag.

Sebastian Fitzeks neuestem Wurf, dem „Kalendermädchen“, hat der Verlag eine eigene, aufwändige Installation gewidmet, inklusive Selfiemöglichkeit. Soweit ich gehört habe, gab es tatsächlich Überlebende. Diesmal. Bei seiner Signierstunde im vergangenen Jahr konnte man sich da nicht so sicher sein.

Eigentrlich eine schöne Serie, die sich Hanser Berlin da ausgedacht hat. Allerdings stelle ich mir die Frage, ob die Reihenfolge richtig gewählt ist. Logischer erschiene mir SCHLAFEN, LIEBEN, STREITEN, ALTERN?

Im Display gefällt mir das schon besser. Zumal es für ein längeres Leben spricht, das zudem positiv und hoffnungsvoll endet: Altern, Altern, Altern, Altern, Altern, Schlafen, Lieben, Lieben, Lieben, Streiten, Streiten, Lieben, Schlafen, Lieben, Streiten, Lieben, Streiten, Schlafen, Lieben. Das nenne ich mal altersgerecht!

Auch in diesem letzten Beitrag von der diesjährigen Buchmesse wollen wir Euch noch mit ein paar Lesetipps malträtieren. Zuerst etwas Gewichtigeres: „Die Eisenbahnen Mexikos“ von Gian Marco Griffi.

Eine fulminante, vor schrägen Ideen sprudelnde Abenteuerreise, entstanden während der Corona-Zwangspause, absurd, witzig, sehr gut übersetzt und ein großer Lesespaß gerade in den aktuellen italienischen Zeiten. Lesetipp Nummer 16 (habe ich mich verzählt? Nein? Gut).

Ach ja, wir leben (mal wieder) in einer Zeit, die sich nach Helden sehnt. Genaugenommen nach Heldinnen, aber das ist eine andere Geschichte. Nachdem Frank Schätzing sich (meine Vermutung und natürlich völlig haltlos) von seinem derzeitigen Verlag überreden ließ, sein erfolgreiches Romandebüt „Tod und Teufel“ (1995 erstmals bei Emons verlegt) zu einer Trilogie auszubauen, ist die Cover-Präsenz von „Helden“ auf dieser Messe geradezu übermächtig. Nicht nur in den Regalen und auf der Bühne von ARD/ZDF/3sat …

Sondern auch draußen auf der Agora. Ein Schätzing fast auf Augenhöhe mit dem Kölner Dom, sorry, dem Messeturm. Wir sind ja hier in Frankfurt.

Wo wir nun schon mal wieder draußen herumirrten, schafften wir es gerade noch rechtzeitig, dem Frankfurt Pavillon einen Besuch abzustatten. Zumal das filigrane Riesenei, dass die Architektur da mitten zwischen den Messehallen ausgebrütet hat, ein sehr spannendes Thema anbot:

Das Panel bestand aus vier Menschen, die wir jeden für sich besonders schätzen und teils sogar penetrant auf BookTok folgen. Knut Cordsen und sein Sidekick Miriam Fendt (Entschuldigung, nein, Miriam ist kein Sidekick, sondern eine mehr als adäquate Partnerin) von Literally. Dann @yannik s., der sympathische BookToker, der für den abwesenden Ole Liebl eingesprungen ist (gute Performance!) sowie Dr. Johannes Hilje, einer der bestvernetzten Politik- und Kommunikationsberater der Republik.

Das Thema des BookTok-Panels versprach einige Brisanz, und soviel können wir sagen: Die 50 Minuten Talk hielten, was das Thema versprach. Und wie erwartet lautet die Antwort auf die plakative Frage, unter der die Veranstaltung angekündigt worden war: Jein!

Nachdem sich der recht beliebte Phoenix-Podcast „Denken mit Kinnert und Welzer“ gerade auf der ARD/ZDF/3sat-Bühne materialisierte, legten wir eine kurze Pause ein, um den Erkenntnissen der ewigen Jung-Unternehmerin und -Politikerin Diana Kinnert und dem oft utopisierenden Soziologen Harald Welzer zu lauschen. Alles bisherigen Podcasts des Duos finden sich übrigens hier! Oft hörenswert.

Zurück in Halle 3 wird’s an diesem Sonntagnachmittag zusehens voller. Bei Taschen sowieso, und das nicht nur wegen dem Eyecatcher „Berlin, Berlin“ von Helmut Newton. Einmal mehr ist der Taschen-Stand (was für ein Wort!) einer der bestgestalteten der Messe. Kennt man ja.

Wir schieben uns auf der Suche nach den letzten Lesetipps weiter durch fröhliche Gewühl und danken den Messegöttern für die in diesem Jahr erstmal doppeltbreiten Hauptgänge. So, lieber Herr Boos, hätten wir uns das schon früher gewünscht. Soll mal einer sagen, der Hype um New Adult hätte nicht seine guten Seiten.

Mit „Favorita“ von Michelle Steinbeck (Schweizerin und weder verwandt noch verschwägert mit dem großen John Steinbeck) treffen wir auf ein würdiges Werk. Würdigungen und Interviews gibt’s da draußen schon genug. Die hier, diese oder diese. Wir sparen uns das also.

Und ja, Ihr vermutet richtig. Dieser Roman ist ein echter Pageturner und unser Lesetipp Nummer 17.

Ideal für zwischendurch, weil in handliche Kapitelchen gegliedert und trotzdem profund literarisch fällt uns am Stand der Aufbau Verlage „111 Action Szenen der Weltliteratur“ in die lesehungrigen Finger (geht das?). Als Nr. 477 der wunderbaren Anderen Bibliothek, die erst seit kurzer Zeit zu Aufbau gehört, lernen wir hier eine große Zahl renommierter Literaten von einer ganz anderen Seite kennen. Spannend: Aus mancher der geschilderten, ihnen zugestoßenen Begebenheiten/Actionszenen hätte man durchaus auch schriftstellerisch Honig saugen können. Lesetipp Nummer 18, perfekt für zwischendurch.

Natürlich kann es eingedenk unseres Alters nicht ausbleiben, dass wir uns auch in „Honey“ verliebt haben, Victor Lodatos Hymne auf eine alte Dame von bemerkenswerter … ja was? Lebenslust, Weisheit, Resilienz? Alls das und noch viel mehr. Wunderbar zu lesen. Ergo: Lesetipp Nummer 19!

Zurück bei Klett Cotta – mittlerweile qält uns der Durst, kein Wunder bei der trockenen Luft in den Messehallen – wären wir natürlich begeistert, zu „Trinken wie ein Dichter“. Am besten alle 99 Drinks.

Und am liebsten mit den Verursachern der Rezepturen. Wirklich schade, dass das leider nekrophile Züge annehmen würde. Denn die Toten trinken nicht mehr.

Nicht wirklich erstaunlich ist die Trinkfreude der im Buch versammelten Literaten. Es soll auch heutzutage noch Autor:innen geben, die … aber lassen wird das und genießen einfach diesen 20. Lesertipp.

Apropos: Die Platzierung des Bändchens in der Reihe unmittelbar über „Eine kurze Geschichte der Trunkenheit“ von Mark Forsyth hat was. Wirklich!

Einigermaßen geschafft von einem erneut langen Messetag machen wir uns final auf in Richtung Halle 1.2 – dumm nur, dass wir dazu an Bärbel Schäfers Bücher Talk vorbei müssen. Die sich redlich müht, einen gewissen alten Herrn im Zaum zuhalten, der sich seit Jahrzehnten in den gleichen patriachalen Posen gefällt. Müßig, zur Person Thomas Gottschalk noch weitere Worte zu verlieren. Und auch keine Links zu Person oder Verlag. Wir haben ihn vor ewigen Jahren mal auf einer Agenturfeier erlebt. Eine prägende Erfahrung bis heute. Dummerweise besteht heutzutage die Gefahr, dass seine Statements Wasser auf die Mühlen gewisser blauer Kreise sind. Also schnell weg hier!

Halle 1.2 am Sonntag. Endlich prall gefüllt. Das Mekka und Medina der New Adult Szene. Der Ort, an dem die dunkelsten Dark Romantasy Träume wahr werden. Wieso sind wir eigentlich hier? Na klar, wegen einem Buch …

Nämlich diesem hier: „Eine Zeit in Orangen“ von Carolin Lüdemann. History Romance, angenehm slow burning, zu finden am Stand des Selfpublishing Verbands. Und online auf den bekannten Portalen. Ein spannendes Set-up, interessante und unerwartet klischeeferne Protagonist:innen und eine exzellent recherchierter Unterbau einer Geschichte, bei der es um Düfte geht und ihre oft unerklärlich unwiderstehliche Anziehungskraft. Unser finaler 21. Lesetipp des diesjährigen FBM-Round-ups. Puh! Apropos Düfte, was ist das …?

Ah, wier schön. Die Quelle des intensiven Popcorn-Dufts, der um die Stände in Halle 1.2 wabert, nennt sich Nerdbar und kommt kaum nach mit dem Nachschub der Rohstoffe. Schöne Idee!

Eine Viertelstunde später stehen wir wieder draußen im nachmittaglichen Nebel, der beginnt, die Mainmetropole und ihre Wahrzeichen einzuhüllen. Was für ein passendes Schlussbild für diesen unseren letzten Berichtstag. Wie nach jeder Buchmesse bleibt die Zukunft von Autor:innen, Verlagen und Büchern im Nebel. Das einzige, was schon jetzt sicher ist: Im nächsten Jahr heißt der Ehrengast: Philippinen. Und natürlich werden wir alles wieder mit launigen Kommentaren und vielen Lesetipps begleiten.

Sollte Euch unser fünfteiliger Rundgang über die 76. Frankfurter Buchmesse gefallen haben, dann empfehlt uns gerne weiter. Schaut ab und zu mal rein ins digitale Café und freut Euch schon jetzt auf die Leipziger Buchmesse im März 2025. Denn auch von der werden wir wieder berichten. CU!

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