Leipziger Buchmesse 2024: Tag 2 und spannende Begegnungen
Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 22. März 2024 | 19:35:05 | Roland Müller
Manchmal verbirgt sich das Profane im Abstrakten. Oder das Abstrakte im Profanen. Beides haben wir auf der Leipziger Buchmesse angetroffen. Angefangen bei diesem Detail der berühmten Treppe, die längst zum Keyvisual der LBM geworden ist.
Während wir an diesem zweiten Messetag zu besagter Treppe spazieren, wehen unter dem Rund der Glashalle die Kriegsflaggen der dominierenden Clans, ähem, die Fahnen der öffentlich-rechtlichen Kultursender.
Während besagte Treppe beweist, dass sie zwar als farbiges Aushängeschild der Messe herhält, aber alles andere als barrierefrei ist. Und ja, wir wissen natürlich, dass es Fahrstühle und Rolltreppen gibt. Aber viele Besucher wollen nun mal ihren Fuß auf die Stufen setzen, die mittlerweile die Bücherwelt bedeuten. Warum also nicht auch die Räder?
Oben angekommen, beobachten wir beim Weitergehen durch einen der Verbindungstunnel zu Halle 3 ein Fotoshooting dreier Cosplayerinnen. Es schien uns je, dass hier eine Menge Professionalität eingezogen ist. Kaum eine Cosplayerinn oder ein Cosplayer ohne begleitenden Hoffotografen.
Wie wandern enlang zahlloser Stände, die neben Literatur auch die notwendigen Accessoires für die Playercommunity anbieten. Wobei kleine Übertreibungen durchaus vorkommen mögen.
Mittlerweile haben wir uns auch daran gewöhnt, zwischen literaturbeflissenen Familien, Paaren und Einzelkämpfern immer wieder Kreaturen zu treffen, die aus ihren Rollen in die Realität entsprungen scheinen. Macht nichts. Solange es allen Spaß bereitet.
Nach einer kurzen Runde durch Halle 3 kehren wir zurück unter die Glaskuppel und platzieren uns unmittelbar gegenüber dem Podcast-Stand von detektor.fm … eine gute Wahl, wie sich schnell herausstellt. Denn hier entwickelt sich gerade ein Interview mit einer der Preisträgerinnen des Preises der Leipziger Buchmesse, Bora Chung. Deren kongeniale Übersetzung der Sammlung von zehn so geistreichen wie witzigen und gleichwohl tiefschürfenden Kurzgeschichten, erschienen unter dem Titel Der Fluch des Hasen bei CulturBooks und geschrieben von Ki-Hyang Lee, ist umgehend auf unserer Leseliste gelandet. Lesetipp! Neben ihr sitzt übrigens Sachbuchautor Tom Holert, dessen Text/Bild Essay „ca. 1972“ das vielleicht wichtigste Wendejahr in der bundesrepublikanischen Geschichte be- und durchleuchtet.
Zurück im Getümmel schlendern wir bei Ullstein vorbei und erhaschen bei Ullstein einen Blick aufs plakative Grün von Marc Raabes neuestem Thriller Die Dämmerung. Unnötig, den hier noch vorzustellen. Schließlich ist Marc auf Insta ausreichend gegenwärtig.
Einen Stand weiter, bei Propyläen Econ lächelt uns Omri Böhm an, der Gewinner des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2024. Einer der ganz wenigen Sachbuchautoren, der es schafft, hoch komplexe Inhalte in einfache, klar verständliche Worte zu fassen. Und darüber hinaus mit seinem Entwurf eines Radikalen Universalismus leidenschaftlich und absolut überzeugend mitten im Kant-Jahr einen humanistischen Ansatz wiederbelebt, mit dem sich jenseits allen Identitätsgeschwafels die Ungerechtigkeit in der Welt kompromisslos bekämpfen lässt. Lesetipp!
Nach den Ereignissen neulich in Frankfurt gewarnt, gelingt es uns, rechtzeitig einen großen Bogen um den Stand von Bastei Lübbe zu machen, wo es wieder zu den erwarteten Verdichtungen im Gedränge kam. Nicht lustig. Was sich hier wohl während der Signierstunden abspielen mag?
Wir schwimmen uns erfolgreich frei und verweilen eine Zeit lang bei mdr KULTUR, wo mit Frank Goldammer ein ebenso unterhaltsamer wie humoriger Krimiautor interviewt wurde. Seine sieben Bände um den Dresdner Ermittler Max Heller dürften mittlerweile zu einem festen Bestandteil jeder gut bestückten Krimibibliothek geworden sein. Hier präsentierte er mit Zeiten des Verbrechens den achten Band als Vorgeschichte zu den bereits bekannten. Wenn auch nur ein Bruchteil des Witzes und der Selbstironie von Goldammer in diesem Krimi steckt, dann ist erlesenswert. Lesetipp!
Eine Ecke weiter, beim Forum Offene Gesellschaft, wurde ein Thema diskutiert, über das sich ein etablierter und erfolgreicher Krimiautor vermutlich keinen Kopf machen muss. „Bücher machen: wer kann sich das leisten?“ stand als Frage im Raum und auf dem Wanddisplay. Ein so spannendes wie heikles Thema, geht es doch dabei um die Spielregeln des Buchmarktes schlechthin und, natürlich, auch um die Kommerzialisierung und deren Folgen. Die unter anderem darin bestehen, das viele Themen, die vermeintlich keine ausreichend große Zielgruppe finden, bei Publikumsverlagen einfach unter den Tisch fallen. Die Diskutierenden machten dies am Beispiel eines Buches fest, das die Geschichten der ersten Generation der damals so genannten „Gastarbeiter“ eingefangen hat und für die nachfolgenden Generationen festzuhalten versucht. Und dafür gibt’s keinen ausreichend großen Markt? Hm.
Wir ziehen weiter, passieren dabei das Abbild der geschrumpften Kuppel des Bundestags und denken bei uns, ob sich daraus womöglich ein erfolgter Schrumpfungsprozess unserer demokratischen Strukturen, ihrer politischen Entscheidungsträger und ganz generell dem Demokratieverständnis ableiten ließe.
Ncht weit davon entfernt ergötzten sich einige grobgestrickte Lehrer (-innen haben wir keine entdeckt) an einer Präsentation zum Thema Dialektik für Lehrerinnen. Offenbar besteht da in den Schulen amssiver Nachholbedarf. Vielleicht ergänzt durch eine handfeste Nahkampfausbildung?
Natürlich haben wir kurz Halt gemacht beim Team von Volksverpetzer …
… und einen Stand weiter bei der Truppe von Correctiv. Der jüngste investigative Coup hat ja jede Menge Schlagzeilen gemacht und endlich dafür gesorgt, dass die schweigende Mehrheit schlagartig erkannt hat, dass ihr Schweigen nun ein Ende haben muss, bevor sie irgendwann vielleicht tatsächlich zum Schweigen gebracht wird.
Beim Forum Literatur + Audio bekommen wir mit einem Ohr mit, wie an eine uns unbekannte Autorin ein Preis vergeben wird für eine Quintillion verkaufter Hörbücher. Wir sind gebührend beeindruckt. Ob da BookTok im Spiel war? Immerhin darf man konstatieren, dass der Hörbuchmarkt sich für die Verlage und die Autoren überaus erfreulich entwickelt.
Und wer sitzt da bei btb auf dem Bänkchen unter dem Porträt von Ferdinand von Schirach? Richtig, Ferdinand von Schirach. Vermutlich mit seiner Lektorin ins Gespäch über sein nächstes Werk vertieft. Muss ja kein Theaterstück sein, diesmal.
Eigentlich reicht das jettz für diesen zweiten Messetag. Das sagen uns auch unsere Füße. Deshalb werfen wir einen vorletzten Blick auf die Zusammenrottungen diverser Cosplayerinnen-Clans und wenden ns langsam wieder dem Ausgang zu.
Dabei stolpern wir regelrecht über Katja Riemann, die sich gerade von Messebesuchern zu einer Widmung nötigen ließ. Ja, prominente Autorinnen haben’s nicht leicht. Aber wohl nirgendwo sonst als hier auf der Leipziger Buchmesse ist die Distanz zwischen begeisterten leserinnen und ihren Autorinnen so gering.
Bevor wir dann doch den heutige Messetag hinter uns lassen, ist abschließend für diesen Rundgang noch eine tiefe Verbeugung vor Fiston Mwanza Mujila agesagt. Der in Österreich lebende Kongolese ist brillant und hat den diesjährigen Preis der Literaturhäuser verliehen bekommen. Zum einen, weil er nach Tram 83 nun mit Der Tanz der Teufel erneut einen herausragenden Roman vorgelegt hat, der uns tief eintauchen lässt in die kongolesische Gesellschaft, insbesondere in jene der geschundenen und ausgebeuteten armen Teufel, die dem Buch seinen Namen gegeben haben. Zum anderen, weil Mwanza Mujila, der sich selbst eher als Sprachkomponist denn als Schriftsteller begreift, eine unglaubliche Lese-Performance an den Tag legt. Er hält keine Lesung, er tanzt, schreit, flüstert Sprache, dass es einen buchstäblich vom bequemen Lesesessel haut. Großes Sprachkino. Und Lesetipp sowieso!
Womit wir für heute wieder am Ende unserer kleinen Messereportage angekommen sind. Morgen geht’s in alter Frische weiter. CU again!
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