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Leipziger Buchmesse 2024: Tag 2 und spannende Begegnungen

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 22. März 2024 | 19:35:05 | Roland Müller

Manchmal verbirgt sich das Profane im Abstrakten. Oder das Abstrakte im Profanen. Beides haben wir auf der Leipziger Buchmesse angetroffen. Angefangen bei diesem Detail der berühmten Treppe, die längst zum Keyvisual der LBM geworden ist.

Während wir an diesem zweiten Messetag zu besagter Treppe spazieren, wehen unter dem Rund der Glashalle die Kriegsflaggen der dominierenden Clans, ähem, die Fahnen der öffentlich-rechtlichen Kultursender.

Während besagte Treppe beweist, dass sie zwar als farbiges Aushängeschild der Messe herhält, aber alles andere als barrierefrei ist. Und ja, wir wissen natürlich, dass es Fahrstühle und Rolltreppen gibt. Aber viele Besucher wollen nun mal ihren Fuß auf die Stufen setzen, die mittlerweile die Bücherwelt bedeuten. Warum also nicht auch die Räder?

Oben angekommen, beobachten wir beim Weitergehen durch einen der Verbindungstunnel zu Halle 3 ein Fotoshooting dreier Cosplayerinnen. Es schien uns je, dass hier eine Menge Professionalität eingezogen ist. Kaum eine Cosplayerinn oder ein Cosplayer ohne begleitenden Hoffotografen.

Wie wandern enlang zahlloser Stände, die neben Literatur auch die notwendigen Accessoires für die Playercommunity anbieten. Wobei kleine Übertreibungen durchaus vorkommen mögen.

Mittlerweile haben wir uns auch daran gewöhnt, zwischen literaturbeflissenen Familien, Paaren und Einzelkämpfern immer wieder Kreaturen zu treffen, die aus ihren Rollen in die Realität entsprungen scheinen. Macht nichts. Solange es allen Spaß bereitet.

Nach einer kurzen Runde durch Halle 3 kehren wir zurück unter die Glaskuppel und platzieren uns unmittelbar gegenüber dem Podcast-Stand von detektor.fm … eine gute Wahl, wie sich schnell herausstellt. Denn hier entwickelt sich gerade ein Interview mit einer der Preisträgerinnen des Preises der Leipziger Buchmesse, Bora Chung. Deren kongeniale Übersetzung der Sammlung von zehn so geistreichen wie witzigen und gleichwohl tiefschürfenden Kurzgeschichten, erschienen unter dem Titel Der Fluch des Hasen bei CulturBooks und geschrieben von Ki-Hyang Lee, ist umgehend auf unserer Leseliste gelandet. Lesetipp! Neben ihr sitzt übrigens Sachbuchautor Tom Holert, dessen Text/Bild Essay „ca. 1972“ das vielleicht wichtigste Wendejahr in der bundesrepublikanischen Geschichte be- und durchleuchtet.

Zurück im Getümmel schlendern wir bei Ullstein vorbei und erhaschen bei Ullstein einen Blick aufs plakative Grün von Marc Raabes neuestem Thriller Die Dämmerung. Unnötig, den hier noch vorzustellen. Schließlich ist Marc auf Insta ausreichend gegenwärtig.

Einen Stand weiter, bei Propyläen Econ lächelt uns Omri Böhm an, der Gewinner des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2024. Einer der ganz wenigen Sachbuchautoren, der es schafft, hoch komplexe Inhalte in einfache, klar verständliche Worte zu fassen. Und darüber hinaus mit seinem Entwurf eines Radikalen Universalismus leidenschaftlich und absolut überzeugend mitten im Kant-Jahr einen humanistischen Ansatz wiederbelebt, mit dem sich jenseits allen Identitätsgeschwafels die Ungerechtigkeit in der Welt kompromisslos bekämpfen lässt. Lesetipp!

Nach den Ereignissen neulich in Frankfurt gewarnt, gelingt es uns, rechtzeitig einen großen Bogen um den Stand von Bastei Lübbe zu machen, wo es wieder zu den erwarteten Verdichtungen im Gedränge kam. Nicht lustig. Was sich hier wohl während der Signierstunden abspielen mag?

Wir schwimmen uns erfolgreich frei und verweilen eine Zeit lang bei mdr KULTUR, wo mit Frank Goldammer ein ebenso unterhaltsamer wie humoriger Krimiautor interviewt wurde. Seine sieben Bände um den Dresdner Ermittler Max Heller dürften mittlerweile zu einem festen Bestandteil jeder gut bestückten Krimibibliothek geworden sein. Hier präsentierte er mit Zeiten des Verbrechens den achten Band als Vorgeschichte zu den bereits bekannten. Wenn auch nur ein Bruchteil des Witzes und der Selbstironie von Goldammer in diesem Krimi steckt, dann ist erlesenswert. Lesetipp!

Eine Ecke weiter, beim Forum Offene Gesellschaft, wurde ein Thema diskutiert, über das sich ein etablierter und erfolgreicher Krimiautor vermutlich keinen Kopf machen muss. „Bücher machen: wer kann sich das leisten?“ stand als Frage im Raum und auf dem Wanddisplay. Ein so spannendes wie heikles Thema, geht es doch dabei um die Spielregeln des Buchmarktes schlechthin und, natürlich, auch um die Kommerzialisierung und deren Folgen. Die unter anderem darin bestehen, das viele Themen, die vermeintlich keine ausreichend große Zielgruppe finden, bei Publikumsverlagen einfach unter den Tisch fallen. Die Diskutierenden machten dies am Beispiel eines Buches fest, das die Geschichten der ersten Generation der damals so genannten „Gastarbeiter“ eingefangen hat und für die nachfolgenden Generationen festzuhalten versucht. Und dafür gibt’s keinen ausreichend großen Markt? Hm.

Wir ziehen weiter, passieren dabei das Abbild der geschrumpften Kuppel des Bundestags und denken bei uns, ob sich daraus womöglich ein erfolgter Schrumpfungsprozess unserer demokratischen Strukturen, ihrer politischen Entscheidungsträger und ganz generell dem Demokratieverständnis ableiten ließe.

Ncht weit davon entfernt ergötzten sich einige grobgestrickte Lehrer (-innen haben wir keine entdeckt) an einer Präsentation zum Thema Dialektik für Lehrerinnen. Offenbar besteht da in den Schulen amssiver Nachholbedarf. Vielleicht ergänzt durch eine handfeste Nahkampfausbildung?

Natürlich haben wir kurz Halt gemacht beim Team von Volksverpetzer

… und einen Stand weiter bei der Truppe von Correctiv. Der jüngste investigative Coup hat ja jede Menge Schlagzeilen gemacht und endlich dafür gesorgt, dass die schweigende Mehrheit schlagartig erkannt hat, dass ihr Schweigen nun ein Ende haben muss, bevor sie irgendwann vielleicht tatsächlich zum Schweigen gebracht wird.

Beim Forum Literatur + Audio bekommen wir mit einem Ohr mit, wie an eine uns unbekannte Autorin ein Preis vergeben wird für eine Quintillion verkaufter Hörbücher. Wir sind gebührend beeindruckt. Ob da BookTok im Spiel war? Immerhin darf man konstatieren, dass der Hörbuchmarkt sich für die Verlage und die Autoren überaus erfreulich entwickelt.

Und wer sitzt da bei btb auf dem Bänkchen unter dem Porträt von Ferdinand von Schirach? Richtig, Ferdinand von Schirach. Vermutlich mit seiner Lektorin ins Gespäch über sein nächstes Werk vertieft. Muss ja kein Theaterstück sein, diesmal.

Eigentlich reicht das jettz für diesen zweiten Messetag. Das sagen uns auch unsere Füße. Deshalb werfen wir einen vorletzten Blick auf die Zusammenrottungen diverser Cosplayerinnen-Clans und wenden ns langsam wieder dem Ausgang zu.

Dabei stolpern wir regelrecht über Katja Riemann, die sich gerade von Messebesuchern zu einer Widmung nötigen ließ. Ja, prominente Autorinnen haben’s nicht leicht. Aber wohl nirgendwo sonst als hier auf der Leipziger Buchmesse ist die Distanz zwischen begeisterten leserinnen und ihren Autorinnen so gering.

Bevor wir dann doch den heutige Messetag hinter uns lassen, ist abschließend für diesen Rundgang noch eine tiefe Verbeugung vor Fiston Mwanza Mujila agesagt. Der in Österreich lebende Kongolese ist brillant und hat den diesjährigen Preis der Literaturhäuser verliehen bekommen. Zum einen, weil er nach Tram 83 nun mit Der Tanz der Teufel erneut einen herausragenden Roman vorgelegt hat, der uns tief eintauchen lässt in die kongolesische Gesellschaft, insbesondere in jene der geschundenen und ausgebeuteten armen Teufel, die dem Buch seinen Namen gegeben haben. Zum anderen, weil Mwanza Mujila, der sich selbst eher als Sprachkomponist denn als Schriftsteller begreift, eine unglaubliche Lese-Performance an den Tag legt. Er hält keine Lesung, er tanzt, schreit, flüstert Sprache, dass es einen buchstäblich vom bequemen Lesesessel haut. Großes Sprachkino. Und Lesetipp sowieso!

Womit wir für heute wieder am Ende unserer kleinen Messereportage angekommen sind. Morgen geht’s in alter Frische weiter. CU again!

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FBM 2023 – Freitag (3/5): Sloweniens Dichter-Dichte

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 20. Oktober 2023 | 21:15:26 | Roland Müller

Waben der Worte. So lautet das Motto, das sich Slowenien als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2023 gegeben hat. Ein schönes und durchaus poetisches Bild für ein kleines Land, das literarisch mehr Größe zeigt als manches andere von mehrfacher Fläche und Bevölkerungszahl. Aber wir wollen nichts vorwegnehmen …

Der slowenische Pavillon wird wie von früheren Buchmessen bekannt von einem langen Tisch gesäumt, auf dem aktuelle Literatur aus und über Slowenien ausliegt und natürlich die beliebten Stofftaschen eingesackt werden können, zusammen mit Informationen zum literarischen Schaffen des Landes, Lesezeichen, Schreibstifte etc. – Wir haben uns schon eingedeckt und betreten den Pavillon …

… und biegen scharf rechts ab in eine mit langen Gazebespannungen abgetrennte Rotunde, in der soeben fünf slowenische Autor:innen und ein deutscher Übersetzer eine gemeinschaftliche Lesung abhalten – begleitet von einem Cellisten. „My Neighbour on the Cloud“ offenbart zweierlei: die melodische Eleganz und Schönheit der slowenischen Sprache und die poetische Wucht der Worte in ihrer deutschen Übersetzung. Wir sind beeindruckt von diesem Erstkontakt und schauen uns nun im Pavillon selbst um …

Licht, offen, hell, unkompliziert, alles dem Buch und dem Lesen untergeordnet. keine spektakuläre Show, Konzentration auf das Wesentliche. Von der Decke abgehängt das fast einzige spielerische, fast flatterhafte Element: wie Wolken aus feiner Spitze schweben unregelmäßig runde Schirme vor den Beleuchtungskörpern.

Spitze, tatsächlich. Also ein „altmodischer“ und gewiss ein romatischer Stoff. Die wie Beton erscheindenden teils als Wolken, teils als Stufen ausgeformten Sitzelemente bestehen tatsächlich aus einem Schaumstoff, hergestellt aus recyceltem Plastikabfall.

Folienverspiegelte Standwände trennen Regale und Sitzgelegenheiten voneinander. Teils mit informellen Bildschirmen ausgestattet, teils exemplarischen Autor:innen gewidmet. Indem wir uns darin spiegeln, gehen Autor und Leser eine unmittelbare Beziehung ein. Simpel, aber wirkungsvoll.

Wir machen es uns für einen Moment gemnütlich, betrachten die sitzenden, schmökernden und umherwandernden Besucher:innen. Links von uns die Theke einer kleinen Cafeteria mit slowenischen Spezialitäten (dazu später mehr). Vor uns die Glasfront zur Agora der Buchmesse und der Sitzbereich der Gastronomie.

Die teils bepflanzten Schaumstoffmöbel laden zum entspannten Lesen ein. Die extrem funktionalen Bücherregale stellen nicht ihr Design zur Schau, sondern rücken das ins rechte Licht, worauf es dem Ehrengast der Buchmesse offenbar ankommt: Bücher!

Jene slowenischen Autorinnen und Autoren, die sich auf den Weg nach Frankfurt gemacht haben, um hier ihr Schreiben, ihre Kultur einem größeren Publikum vorzustellen, sind in einer nostalgisch anmutenden Bilderwand verewigt.

Der Gastronomiebereich vor einem großen LED-Bildschirm wirkt eher wie ein französisches Bistro.

Eine Kinderschaukel sticht uns ins Auge. Darunter der Name Helena Kraljic. Eine Autorin? Ja, eine Kinderbuch-Autorin. Womit wir an jenem Punkt unserer heutigen, slowenischer Literatur gewidmeter Berichterstattung angekommen sind, an dem wir kurz innehalten …(Sorry an der Stelle, aber die Software verweigert eine einwandfreie Darstellung der Sonderzeichen, die die slowenische Schrift und Namen oft schmücken. Ich muss also darauf verzichten, diese darzustellen).

… nur um dann schaukelnd erneut in Bewegung zu geraten. In diesem Fall ich selbst in meiner silberblickenden Funktion als Autor dieses Beitrags. Slowenien also. Literatur. Wo fängt man da an? Und wieso weiß man so wenig über Land, Leute und Schreiben? Um dem abzuhelfen, sollen nachfolgend ein paar Highlights der slowenischen Literatur vorgestellt und in aller gebotenen Kürze besprochen werden. Und ja, daraus resultieren auch etliche Lesetipps. Eine ganze Menge sogar, ohne zuviel vorwegnehmen zu wollen. Also los, wir gehen hinüber zu den Bücherregalen und beginnen uns einzulesen …

Gabriela Babnick: Trockenzeit. Die in Göppingen geborene slowenische Literaturkritikerin, Übersetzerin und Autorin legt mit Trockenzeit einen Liebesroman vor. Aber keinen üblichen, den Klischees des Genres folgenden. Sondern eine Geschichte, in der nicht nur Europa und Afrika hart im Raum aufeinandertreffen. Sondern auch zwei Menschen, die ein Altersunterschied von 35 Jahren trennt. Wir werfen einen Blick auf den Rückseitentext des Romans …

Eurozentrismus trifft auf modernes Afrika? Ein spannender Ansatz für einen unkonventionellen Liebesroman.

Evald Flisar: Der Zauberlehrling. Ein Autor mit einer außergewöhnlichen Vita. Und ein Roman,der der seit 1945 meistgelesene aus slowenischer Feder ist. Das wird wohl kaum von ungefähr kommen. Wir werfen einen Blick auf die Rückseite des Buches …

Ein Roman über einen Außenseiter? Das ist immer spannend. Ein Buch über die verzweifelten Versuche des Protagonisten, sich selbst beizubringen, dass er, so wie er ist, „in Ordnung“ ist. Eine erkennbar autobiografische Geschichte, die von einer abenteuerlichen Flucht vor den Exzessen westlicher Zivilisation ins ferne Tibet erzählt. Ein Buch, in dem ein indischer Guru, ein dubioser amerikanischer Sucher nach Wahrheit und ein tibetisches Mädchen ihre Rollen spielen. Bildungsroman? Ja, auch. Abenteuerroman? Sowieso. Und zugleich eine böse Satire auf den westlichen Wahn, das Heil in östlicher Spiritualität zu finden. Großes Erzählkino? Wir blättern auf die erste Seite …

Das wollen wir weiterlesen! Also: Lesetipp!

Weiter im Text. Wir entdecken Drago Jancar: Nordlicht. Auch hier wieder ein Autor mit einer dramatischen Biographie. Zudem einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Sloweniens. Sein bekanntester Roman und in diesen Tagen vielfach durch die Literaturzirkel geschleust ist sicher Als die Welt entstand. Müßig, dazu noch mehr zu erzählen, als die Feuilletons eh schon kolportiert haben. Worum aber geht es in Nordlicht?

Einmal mehr geht es um die beliebteste Handlungs-Location des Autors: seine Heimatstadt Maribor. Diesmal spielt die Handlung in den Jahren kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Ein vergleichsweise dünnes Buch, in dem es Jancar gelingt, die Vorahnung auf Kommendes unglaublich zu verdichten, fast körperlich spürbar zu machen. Wir werfen einen Blick auf die erste Seite …

Kein Zweifel. Das ist hohe Erzählkunst (und augenscheinlich toll übersetzt). Auch da möchten wir sofort weiterlesen. Ergo erneut ein Lesetipp!

Ein wenig benommen greifen wir nach Alma M. Karlin: Einsame Weltreise. Wow, was für eine Frau! Eine Weltreisende. Eine Abenteurerin. Eine autarke, unabhängige Persönlichkeit in einer Welt, die mehr noch als heute durch und durch patriarchal strukturiert und dominiert war. Einst von Selma Lagerlöf für den Literatur-Nobelpreis nominiert. Einsame Weltreise. Um was geht es da? Ein Blick auf die Rückseite …

Im November 1919 bricht die Autorin zu einer Weltreise auf. Solo. Acht Jahre durch fünf Kontinente. Eine Weltumrundung, die sie zu einer der berühmtesten Reiseschriftstellerinnen ihrer Zeit machte. Einer Zeit, zu der derlei Reisen, wenn überhaupt, Männersache war und zwar eine elitäre. Chapeau! Und wie liest sich das? Ein Blick auf die erste Textseite …

Herrje, das hat Witz und Selbstironie. Und klar, da will man weiterlesen. Also nochmal: ein veritabler Lesetipp!

Die Kartengrafik eingangs des Buches macht deutlich, über welche Stationen Karlins Reise führte. Beeindruckend.

Cvetka Lipus: Weggehen für Anfänger. Jeder zweite Slowene, so die offizielle Lesart, schreibt Gedichte. Jeder Zweite! Was für eine Vorstellung, würden hierzulande mehr als 40 Millionen Deutsche dichten. Selbst wenn man die Installateure mitzählte … sorry, ich schweife ab. Und ja, Poesie ist nicht unbedingt meins. Aber schauen wir mal. Zuerst auf die Rückseite …

Die Poesie schreibende Tochter eines Schriftstellers. Erfahrungsgemäß ist bei einem Gedichtband der Blick auf die rückwärtige Produktauslobung eher hinderlich. Also machen wir es uns einfach und schlagen eine beliebige Seite des Buches auf …

Puh. Das ist richtig gut, richtig berührend. Und frei von dem – Entschuldigung – verquast Sülzigen, das mir allzuoft Poesie vergällt. Zudem zweisprachig. Ich bin begeistert. Meine mich begleitende Gattin eh. Schon wieder also ein … ich traue es mich kaum auszusprechen: Lesetipp, jawohl!

Roman Rozina: Hundert Jahre Blindheit. Der große Gesellschaftsroman, der große Familenroman, das ist ein ganz spezielles literarisches Genre. Nicht erst seit Thomas Manns Buddenbrocks. 2022 ausgezeichnet mit dem renommierten Kresnik-Preis, dem wichtigsten Literaturpreis Sloweniens halten wir hier einen monumentalen Familienroman in Händen, der am Vorabend der Moderne spielt. Sagt der Verlag. Was sagt uns die Rückseite?

Nicht wesentlich mehr. Aber auf jeden Fall ein Buch, das in die Hand zu nehmen sich lohnen sollte.

Daraufhin etwas ganz anderes … Goran Vojnovic: Tschefuren raus! Der 2008 veröffentliche Debütroman des Autors machte aus dem Stand Furore. Man könnte auch sagen, er wirbelte jede Menge Staub auf. Denn es geht um Ausgrenzung und Rassismus in Slowenien. Ein in jeder Epoche heikles Thema. Und heutzutage vielleicht noch mehr als in früherer Zeit. Zudem lässt sich dieser schmale Band jederzeit auf jedes beliebige europäische Land anwenden. Was sagt uns die Rückseite dazu?

„Abgedreht und melancholisch“ – das klingt schon mal gut. Und wie liest sich das? Wie gehabt werfen wir einen Blick auf die erste Textseite …

Ich-Perspektive und ein raketenschneller Einstieg in einer knallharten Straßensprache. Jeder Satz ein Faustschlag. Toll übersetzt von Klaus Detlef Olof. Was soll man da sagen, außer: Lesetipp!

Damit kommen wir nun zum Hansdampfinallengassen der slowenischen Literaturszene. Ales Steger: Das Lachen der Götter. Lyriker, Romancier, Übersetzer, Verleger, Kurator … Der Man lässt nichts aus. Und einen subtilen Humor hat er obendrein. Jedenfalls lässt das im Göttiunger Wallstein-Verlag erschienene Bändchen diesen Schluss zu. Denn darin adaptiert Šteger Player des griechischen Götterpantheons und lässt sie im profanen Alltag hernieden agieren. Witzig und lesenswert.

Ungeplant mogelt sich doch noch ein weiterer Gedichtband zwischen unsere subjektive Auswahl lesenswerter slowenischer Literatur. Fabjan Hafner: Erste und letzte Gedichte. Übersetzt von keinem Geringeren als Peter Handke. Der Titel des schmalen Bands verweist möglicherweise (?) auf die traurige Tatsache, dass Hafner 2016 gerade mal fünfzigjährig verstorben ist. Selten haben wir kürzere, reduziertere Dichtkunst gesehen …

Auch hier ist wieder die Zweisprachigkeit zu loben. Ansonsten: Sehr gut, kontemplativ und alles, was ein Gedicht auszeichnen sollte.

Jede Kultur birgt einen reichen Schatz an Volksmärchen. Das gilt auch für Slowenien. Ein idealer Einstieg in eine kulturelle Tradition und oft genug ein tiefer Blick in die Seele seiner Bewohner:innen. Anja Stefan: Hinter den neun Bergen. Ein wunderschönes Märchenbuch mit wirklich tollen Illustrationen, wie ein schneller Blick mittenhinein zeigt …

Das wäre doch vielleicht ein prima Vorlesebuch zu Weihnachten für die lieben Plagen im passenden Alter? Nur so als abschließender Lesetipp!

Abschließen werden wir an dieser Stelle auch unseren Bericht zum heutigen Messe-Freitag. Um so mehr, als kurz darauf Max Moor mit seinem ttt-Team im Schlepptau in den Slowenien-Pavillon einfällt. Naja, wir waren halt wieder mal schneller als das Fernsehen 😉

Wir ziehen uns auf einen gemütlichen Aussichtsplatz zurück, genießen Cappuccino und Apfelstrudel (alternativ gerne auch Prekmurska Gibanica) und treffen uns mit lieben Kolleg:innen …

Hans Peter Roentgen und Heike Wiechmann. Es wurde noch ein langes, lustiges Gespräch über Agenten, Autoren und Foren.

Damit genug für heute. Morgen ist auch noch ein Tag. Und zwar ein besonders anstrengender. Denn wenn die Buchmesse alle Schleusen öffnet, wird’s sehr, sehr eng in den Hallen. Gleichwohl: Wir werden wieder vor Ort sein als Euer Auge und Ohr auf der größten Buchmesse der Welt. CU tomorrow!

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Hurra, wir lesen noch!

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien | 17. Oktober 2022 | 14:25:17 | Roland Müller

Wir tun mal so, als habe es die Corona-Pandemie nie gegeben. Denn endlich, endlich findet die Frankfurter Buchmesse wieder physisch statt. In voller Pracht und mit immer noch gebotener Vorsicht. Anlass für uns, ihr nach knapp zweijähriger Sendepause des digitalen Cafés unsere volle Aufmerksamkeit zu widmen. Voraussichtlich ab Mittwoch werden wir wieder im Dienste unserer Leser:innen durch die Hallen und Flure der Frankfurter Messe streifen und festhalten, was festzuhalten ist, kritisieren, was zu kritisieren und empfehlen, was zu empfehlen ist.

Insofern: stay tuned!

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Frankfurter Buchmesse 2013 (4): Digitales und Analoges

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Literatur, Medien | 13. Oktober 2013 | 21:22:05 | Roland Müller

Aufmacher4

Zwei Prozent weniger Besucher als bei der sehr erfolgreichen letztjährigen Frankfurter Buchmesse, dafür aber viele zufriedene Gesichter bei Verlagen und Autoren. Das Buchgeschäft brummt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die überwiegende Mehrzahl der Verleger sich besonnen hat, E-Books als selbstverständliche zusätzliche Darreichungsart für mobile Leser in ihr Geschäftsmodell zu integrieren.Daneben und darüber hinaus etablieren sich aber auch immer mehr Book-on-demand Anbieter zur Befriedigung der persönlichen Eitelkeit jener Autoren, die aufgrund ihres sehr speziellen gewählten Themas, einer geringen allgemeinen Vermarktungsfähigkeit oder nicht ganz ausreichender textlicher Qualität im herkömmlichen Verlagswesen keine Heimat finden…

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Frankfurter Buchmesse 2012 – letzter Aufruf

Veröffentlicht in Kultur, Kunst, Literatur, Medien | 14. Oktober 2012 | 16:13:29 | Roland Müller

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Der Sonntag ist der klassische Horrortag jeder Frankfurter Buchmesse. Die Messe neigt sich ihrem Ende zu, fast alles ist gesagt, fast alles ist gesehen. Und gerade am zweiten der beiden für „normale“ Besucher geöffneten Messetage ergießt sich ein nicht enden wollender Strom von Literatouristen, Schnäppchenjägern, Displayabgreifern und Sonntagsausflüglern in die Hallen. Das Standpersonal ist geschafft vom Bisherigen, genervt vom letzten Ansturm und will eigentlich nur noch nach Hause. Wir nicht. Denn wir sind noch nicht am Ende unserer Berichterstattung und werden heute noch ein paar Beobachtungen machen, Autoren treffen und letzte Lesetipps verkünden. Darunter der in unseren Augen wichtigste und vielleicht größte literarische Wurf dieser Messe… mehr… »

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