Ein Besuch im Verlagshaus Römerweg
Keine Frage, die kleinen, unabhängigen Verlage sind das Salz in der Suppe des Büchermarktes. Oft, nein allzuoft betrieben von Enthusiasten, die mit viel Herzblut und meist dünner Kapitaldecke genau jene Bücher verlegen, die im brodelnden Mainstream der großen, in der Regel konzerngebundenen Publikumsverlage untergehen. Wenn sie überhaupt verlegt würden. Einen dieser Verlage, das Verlagshaus Römerweg in der gleichnamigen Straße in einem Villenviertel Wiesbadens, habe ich kürzlich besucht. Ausgelöst wurde dieser Besuch einerseits durch einen Blick ins überaus spannende und überraschend vielfältige Herbstprogramm 2024 und andererseits durch eine spontane, wechselseitige Kontaktaufnahme via Instagram.
Schon ein erster Blick in den Konferenzraum zeigte (nach freundlichem Empfang an der Eingangstür): Hier werden Bücher gelebt und geliebt – das Haus der schönen Bücher, wie man sich zu Recht selbst bezeichnet. Und was auch sofort offensichtlich war: Das Verlagshaus Römerweg ist tatsächlich kein einzelner, unabhängiger Verlag, der eine Handvoll Bücher im Jahr veröffentlich, sondern eher eine Verlagsgruppe. Ein unabhängiger Verlag mit einer stattlichen Zahl von Imprints und bis zu sechzig Neuerscheinungen jährlich. Alle Achtung! Wie ich später erfahren werde, hat der Verlagsgründer Lothar Wekel das Verlagshaus 2014 als Dach für den 2003 von ihm gegründeten Marix Verlag etabliert, nachdem er in den Folgejahren immer wieder wie die Jungfrau zum Kinde dazu kam, kleine, ebenfalls unabhängige Verlage unter seine Fittiche zu nehmen, als deren Inhaber bspw. mangels Nachfolgeregelung an ihn herantraten, um ihr Lebenswerk zu bewahren. So gehören heutzutage Corso, Edition Erdmann, Marix Verlag, Waldemar Kramer, Weimarer Verlagsgesellschaft und die Berlin University Press zu einem kleinen, feinen Verlagsimperium en miniature, das sich kein bisschen hinter den großen Adressen im Verlagswesen verstecken muss. Am allerwenigsten, was die literarische Qualität und die physische Ausstattung seiner Produkte angeht.
Ich unterhalte mich lange mit Karina Bertagnolli, der Gattin des Verlagsgründers, die unter anderem für das Design und die Ausgestaltung der Bücher verantwortlich zeichnet – ein besonders schönes Beispiel ist die spezielle Klappenbroschur einiger Bücher des Verlagshauses –, sich aber auch um PR- und Pressearbeit kümmert. Ich staune, was sich da in wenig mehr als zwanzig Jahren aus einer ursprünglich privaten Sammelleidenschaft für Literatur entwickelt hat. Und das praktisch vor meiner Haustür, keine fünfzehn Fahrminuten entfernt.
Bei näherem Hinschauen findet sich Erstaunliches in den Regalen. Ganz neu zum Beispiel der erstmalig ins Deutsche übersetzte Roman der sardischen Schriftstellerin Grazia Deledda „Blicke der Liebe und des Leids“. Einer der Romane, der ihr 1926 den Literaturnobelpreis einbrachte, als erster und bis heute einziger italienischen Autorin. Dass Deledda damit endlich auch in Deutschland aus dem Reich des Vergessens gerissen wird, ist nicht zuletzt der herausgebenden und -ragenden Dramaturgin, Kuratorin und Übersetzerin Klaudia Ruschkowski zu verdanken, die eine ganze Reihe bedeutender italienischer Schriftstellerinnen für das Verlagshaus entdeckt und ins Deutsche übersetzt hat.
Eine weitere Perle im Programm, wie mir Bertagnolli versichert, sei „Weisses Harz“ (hier besprochen im Podcast „Lesart“) der frankokanadischen Schriftstellerin Audrée Wilhelmy. Ein exemplarisches Beispiel für die hohe Kunst des im angloamerikanischen Sprachraum verbreiteten und beliebten Nature Writing. Etwas, was ich hierzulande außer vielleicht in Büchern, die bei Matthes & Seitz verlegt wurden, in dieser Entwicklungsstufe noch nicht lesen durfte. Es war praktisch unvermeidbar, dass ich dieses Buch mitnahm, um es demnächst hier im digitalen Café ausführlich zu rezensieren. Ich hoffe, dabei auch als Autor noch etwas hinzuzulernen. Schließlich spielen meine eigenen Thriller um John Kaunak im abtauenden Eis der Arktis und müssen allein schon aufgrund der exotischen Location ein gewisses Maß an Nature Writing beinhalten, um die Leserinnen und Leser in die Geschichte hineinzuziehen.
Ich lasse den Blick erneut rundum schweifen. Regale über Regale. Verblüffend für ein Verlagshaus, das lediglich von einer Handvoll Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Leben erhalten wird, ist die Fülle und Vielfalt des Programms der insgesamt sechs Imprints. Allein die Sachbücher: Von Otfried Höffes „Immanuel Kant heute“ über Giuliano Turones „Geheimsache Italien“ bis zu Kipkers und Venske-Caprareses „Realitäten in der Virtualität“ … das ist weiß Gott ein breites Spektrum. Wobei mir freundlicherweise – als intensiv KI-Interessiertem – letzteres Buch zum Abschied meiner kleinen Verlagsbegehung in die Hand gedrückt wurde. Ich werde es gern lesen und ebenfalls im digitalen Café besprechen.
Zusammenfassend darf ich sagen: Ich bin beeindruckt von dem, was ich in Wiesbaden gehört und gesehen habe. Solange wir hier in Deutschland unabhängige, inhabergeführte Verlage wie das Verlagshaus Römerweg haben, mache ich mir um die Vielfalt und Qualität des literarischen Angebots keine Sorgen. Auch wenn ich weiß, wie prekär die finanzielle Lage vieler Independents in diesen Zeiten ist. Ich kann nur die Daumen drücken und Christoph Sieber zitieren: Weitermachen, weitermachen, weitermachen!
(Copyright aller Fotos liegt beim Autor Roland Müller)