WELTBILD, das einstmals katholische Vorzeigeunternehmen, wird zu Grabe getragen. Endgültig. Bereits 2014 war das Unternehmen, damals noch einer der Großen der Buchhandelsfilialisten, in Insolvenz gegangen, konnte aber zurechtgestutzt weitere zehn Jahre überleben. Bis jetzt. Am 31. August diesen Jahres werden alle verbliebenen Filialen und Shops geschlossen und das Unternehmen abgewickelt. Viel ist das allerdings nicht mehr, was da noch geblieben ist: 440 der einstmals weit über 6.000 Mitarbeitenden, 12 der ehedem 300 Filialen. Erhebliche Lagerbestände, die nun mit Megarabatten herausgehauen werden (siehe oben).
Woran lag es, dass WELTBILD dermaßen vor die Hunde ging und in den vergangenen zehn Jahren offenbar kein schlüssiges Marktkonzept mehr aufwies? Amazon, der übermächtige Versandgigant? Sicher auch, aber nicht entscheidend. Glaubt man dem Branchengeflüster, waren auch nach der vermeintlichen Gesundschrumpfung eine aufgeblähte und viel zu teure IT einer der Totengräber. Kein Investor mochte es sich antun, erst mit dieser IT aufzuräumen (Kosten!), dann eine neue Struktur aufzusetzen (Kosten!) und schließlich noch ein Geschäftsmodell entwickeln, das in heutigen Zeiten wettbewerbsfähig ist (Kosten!). traurig insbesondere für die verbliebenen Angestellten. Aber ganz ehrlich: Wird jemand WELTBILD vermissen? Wird eine Lücke gerissen im Markt der Buchhandelsfilialen? Wohl kaum.
Ein wesentlich größerer Verlust für den Buchhandel und den Buchmarkt als solchen ist hingegen die Einstellung eines seit 1966 existierenden und seit Jahren auch online präsenten Branchenmagazins: BuchMarkt. Auch hier werden in diesem Jahr die Türen geschlossen. Die Dezemberausgabe 2024 wird die letzte sein, die publiziert wird. Und auch hier sind die Gründe klar, wenn man die Aussagen des Geschäftsführers Julian Müller ernst nimmt: „Die Lage der Printmedien-Landschaft ist aktuell so angespannt wie wohl selten zuvor. Diese sich verschärfende Situation erfasst auch die BuchMarkt Media GmbH. Wir ziehen mit diesem Schritt daher die notwendigen Konsequenzen, die wir sehr bedauern“. (Hier geht’s zum kompletten Interview!)
Bedauerlich vor allem für eine Branche, die nun alleinig auf das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels angewiesen bleibt. Ob sich wohl irgendwann wieder jemand traut, im langen Schatten des Börsenblatts sein eigenes Ding aufzuziehen? So wie sich das anno 1966 der legendäre und 2023 leider verstorbene Christian von Zittwitz traute? Es wäre zu wünschen.
Gestern wäre James Baldwin 100 Jahre alt geworden. Heute kann man ohne Übertreibung sagen, dass er nicht nur der vielleicht bedeutendste afroamerikanische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts war, sondern auch aktueller ist denn je. Und nein, er war keiner, den man heranziehen könnte, um irgendwelche identitären Definitionen zu rechtfertigen. Jede Ideologie war ihm fremd. Auch damit entzieht er sich heutigen Vereinnahmungsversuchen. Emanzipation und Menschlichkeit, das war sein Ding. Seinen Blick auf die USA und sein Eindruck, dass Hass und Spaltung die Gesellschaft immer mehr prägen und schließlich zerreißen würden, darf man getrost als prophetisch verstehen.
Betrachtet man sein Schaffen und seine Intentionen zu seinen Lebzeiten, fällt auf, dass er als Essayist und Journalist gewürdigt und geliebt wurde. Als Schriftsteller und Romancier jedoch selbst heutzutage nicht immer als der gehandelt wird, der er tatsächlich war: einer der ganz Großen der US-Literatur. Wieso er selbst heute noch vor allem als homosexueller Man of Color wahrgenommen wird, mag daran liegen, dass er zu Zeiten von Dr. Martin Luther King und Malcolm X eine der wichtigsten Stimmen der afroamerikanischen Kulturszene war. Das und sein damaliges Outcoming scheint bis heute für viele Menschen auf vielen Plattformen wichtiger zu sein als seine Romane. Die, angefangen bei Giovannis Zimmer, über Ein anderes Land bis zu Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort, Weltliteratur sind.
Veröffentlicht in Gesellschaft, Politik | 08. Juli 2024 | 15:55:09 | Roland Müller
Vive la France? Oder eher Vive les Français? Der Ausgang der Wahlen zur zuvor von Macron aufgelösten Nationalversammluung hat einen deutlich anderen Ausgang genommen, als von vielen Medien befürchtet und vorhergesagt. Le Pens RN erreichte statt eines glanzvollen Siegs nur einen frustrierenden dritten Platz. Die riskante Wette von Emmanuel Macron scheint aufgegangen zu sein. Allerdings hat seine Bewegung deutlich Federn lassen müssen, während das äußerst breite und heterogene Links-Bündnis unter Jean-Luc Mélenchon den Wahlsieg für sich reklamieren kann und nun erpicht darauf scheint, eine Regierung zu bilden.
Und schon beginnt das Gegrummel in den eigenen Reihen. Möglicherweise lösen sich die Sozialisten aus dem linken Bündnis und schlagen sich auf die Seite des Macron-Lagers. Macron hat zwischenzeitlich das Rücktrittsgesuch von Premierminister Attal abgelehnt. „Vorerst“, wie er betont. Und Marine Le Pen stellt eine versteinerte Miene zur Schau, kann sie doch nun aller Voraussicht nach ihre Hoffnungen darauf, bei der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren Macron vom Thron zu stürzen, erst einmal begraben.
Kennt Emmanuel Macron seine Landsleute besser als der Rest Europas das tut? War sein Ausrufen von Neuwahlen unmittelbar nach dem Disaster bei der Wahl zum EU-Parlament mehr als nur der spontane Entschluss eines risikofreudigen Ex-Investment-Bankers, „all in“ zu gehen? Und wie soll es nun weitergehen? Die Mitte im klassischen politiktheoretischen Sinne ist in unserem Nachbarland deutlich abgeschmolzen. Und im Vergleich zu zahlreichen Nachbarländern inklusive Deutschland hat die Kunst des Koalitionenschmiedens in Frankreich bisher wenig Tradition. Fürs Erste müssen wir uns also zurücklehnen und beim kommenden Spektakel zuschauen. Mehr oder weniger entspannt.
Was man allerdings aus dieser Wahl und vor allem aus der geradezu apokalyptisierenden Berichterstattung in den Medien lernen kann: In einer Republik mit demokratischer Verfassung steckt eine ganze Menge mehr Widerstandskraft gegen den rechten und rechtsextremen Nationalismus als man uns das einreden will. Hierzulande, da sind wir uns sicher, ist das nicht anders.
Ist das die neue Cancel-Culture bei den öffentlich-rechtlichen Sendern der ARD? So könnte man ein wenig provokant und ganz sicher überspitzt fragen, nachdem der SWR im Rahmen seiner rigiden Sparmaßnahmen ab 2025 die beiden Literatursendungen Lesenswert und Lesenswert Quartett aus dem Kulturprogramm löscht.
Insbesondere letztere empfanden wir hier im digitalen Café immer als eine perfekte Ergänzung zum bekannteren Literarischen Quartett des ZDF. Insa Wilke, Ijoma Mangold, Moderator Denis Scheck und ein wechselnder Gast sprachen differenziert und sehr unterhaltsam über aktuelle Literatur. Ein Thema, das ansonsten in den Programmen eher stiefmütterlich behandelt und in der Regel ins Spätprogramm verbannt wird.
Verblüffend ist hierbei die Argumentation des SWR (O-Ton), wonach es neben den Sparmaßnahmen darum gehe, „mehr Generationengerechtigkeit durch neue Angebote für digitalaffine Zielgruppen“ herzustellen. Äh, ja? Irgendwie scheint es den Programmverantwortlichen noch nicht gedämmert zu haben, dass das Medium TV per se nicht das geeignete ist, um digitalaffine Zielgruppen zu erreichen. Die erreicht man über Instagram (Bookstagram) und über TikTok (BookTok). Wir wagen zu bezweifeln, dass ein geplantes Mediathek-Format wie Helene HegemannsLongreads da die gewünschte Alternative sein wird. Es braucht kein Ersetzen, es braucht ein Mehr an Literatursendungen. Wie war das noch mal mit dem Bildungsauftrag der öffentllich-rechtlichen Anstalten? Ein wenig wirkt das alles wie ein kopfloses Herumexperimentieren, getrieben von der demographisch begründeten Panik, die jungen Zielgruppen zu verlieren. Die, die man längst verloren hat. So jedoch verliert man möglicherweise auch die gesetzteren Zielgruppen, zumindest jene, die literarisch interessiert sind und sich nicht von den 20Uhr15-Schunkel-Shows anziehen lassen. Und ja, diese Menschen gibt es tatsächlich!
(Copyright-Hinweis: Obiges Bild basiert auf einem Foto von Andreas Hornoff und wurde digital verfremdet)
Alles außer flach. Unter dieses wunderbar selbstironische Motto hat das diesjährige Doppel-Gastland Niederlande & Flandern seinen Gemeinschaftsstand auf der Leipziger Buchmesse gestellt. Wir verstehen das als Aufforderung, eine Runde durch die flachen und Tiefen Gewässer des Bücherangebots zu drehen.
Als erstes Leseopfer haben wir J. J. Voskuils mittlerweile auf sieben Bände angeschwollene Romanserie über die Höhen und Tiefen des Büroalltags in einem volkskundlichen Forschungsinstitut auserkoren. Wer lange genug im Angestelltenverhältnis erwerbstätig war oder gar verbeamtet, dem wird vermutlich bei der Lektüre das (beabsichtigte) Lachen im Halse stecken bleiben. Genau deshalb nach wie vor: Lesetipp!
Eine ganz andere Nummer ist das Fien VeldmansXerox. Ein ungewöhnlicher Debütroman, in der Tat. Geht es doch um Identitätsfindung, die sich in Zwiegesprächen der Protagonistin mit einem Bürodrucker offenbart. Endlich einmal ein humorvoller und trotzdem Denkanstöße setzender Roman auf einem mit reichlich Minen gespickten Themenfeld. Lesetipp!
Wir mäandrieren weiter durch die Hallen und Gänge. Vorbei an den Ständen der großen Publikumsvevrlage wie hier zum Beispiel Suhrkamp. Rappelvoll ist es überall. Und überall sehen wir Menschen, die mit Büchern in der Hand an den Kassen Schlange stehen.
Oder wie bei Piper Bücher anlesen und mehr oder weniger in den Gedanken der Autorinnen versinken. Ist es nich genauu das, was eine Buchmesse ausmacht?
Wobei nicht nur das ganz normale, belletristisch geprägte Programm der Verlage die Menschen anzieht. Sondern vielleicht mehr denn je auch das Programm politischer Bücher. Besonders auffällig ist das bei C.H.Beck …
Democracy sells! So könnte man eingedenk des schnell wachsenden Angebots von Büchern denken, die sich mit dem Zustand, vor allem aber der Bedrohungslage unserer Demokratie auseinandersetzen. Recht so!
Wobei das durchaus auch in sehr handfeste Parolen gefasst werden kann und darf. Leipzig scheint ein besonders geeigneter Ort zu sein für Ansagen mit klarer Kante. Immerhin startete in dieser Stadt die erste, einzige und vor allem erfolgreiche unblutige Revolution der deutschen Geschichte.
Ob es vor diesem Hintergrund opportun ist, nach Frau Merkel ausgerechnet auch noch Olaf Scholz zur Ermittlerfigur in einer geplanten Reihe von Kriminalromanen zu machen, möchten wir nicht kommentieren. Man muss nicht auf jeden Zug aufspringen. Aber wer weiß? Vielleicht hat sich da eine Beraterin oder ein Berater im Kanzleramt gedacht, dass daraus ein Imagegewinn für den Vielgescholtenen herausspringen könnte?
Das tun die beiden jungen Verleger und Gründer des Kjona Verlags zum Beispiel nicht. Lars und Flo, bereits ein Leben lang enge Freunde, haben gemeinsam den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und damit in ein Abenteuer mit naturgemäß unklarem Ausgang. Aber: Sie haben alles richtig gemacht, und ihr noch kleines, aber sehr feines und literarisch anspruchsvolles Programm lässt manchen alteingesessenen Verlag schon jetzt alt aussehen. Neugierig, unabhängig und nachhaltig wollen sie sein. Und das sind soe tatsächlich, wie wir nach einem Gespräch am Stand feststellen konnten. Insofern unsere dringende Empfehlung: Schaut Euch die Bücher an, die die beiden verlegen. Jedes einzelne davon ist lesenswert. Lesetipp der besonderen Art!
Wir schlendern weiter und drehen eine Runde über den rustikal anmutenden Gemeinschaftsstand der Schweizer Verlage. Allein hier könnte man sich stundenlang festlesen.
Das gilt in kleinerer Auflage auch für den Stand des Hybrid-Verlages. Wir treffen Autor Michael Knabe (links) und Matthias Schlicke (rechts), den Pressechef, Autor, Lektor und so etwas wie der Haushaltsvorstand des Verlages. Michaels mittlerweile mehrbändige Reihe ziemlich genialer magiefreier Fantasyromane faszinieren uns ebenso wie so manches, was da in den Regalen vor uns ausgebreitet liegt. Müssen wir erwähnen, dass wir den Stand mit ein paar Einkäufen verlassen. Gerade in der Vielzahl der kleinen, engagierten Verlage liegt der eigentliche Reiz der Leipziger Buchmesse im Vergleich zum Kommerzmonster Frankfurter Buchmesse. Beides Messekonzepta haben ihre Berechtigung. Beide ergänzen sich. Anmerkung am Rande: Als sich beiläufig herausstellte, dass Matthias Schlicke vor der Wende als politischer Kabarettist tätig war und unsere Begeisterung für den legendären Dieter Hildebrandt teilt, haben wir uns regelrecht festgequatscht, was die Möglichkeiten der deutschen Sprache angeht, Botschaften zwischen den Zeilen spielen. Hätten wir nicht noch weitere Termine gehabt …
Wenig später lauschen wir auf der Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat dem Gespräch mit Omri Böhm. Einer von jenen Autoren, denen man in diesen kriegsgetriebenen Zeiten unbedingt zuhören sollte.
Mit seinen Aussagen im Kopf sahen wir viele der Cosplayyerinnen, die auf der Messe unterwegs waren, sich präsentierten und sich fotogtafieren ließen, mit anderen Augen. Tun sie nicht im Prinzipg genau das, was auch die meisten Leserinnen und Leser tun? Dem brutalen Hier und Jetzt entfliehen in eine Scheinwelt, in der es zwar oft kaum weniger brutal zugeht, jedoch ohne die Konsequenzen der realen?
Mit diesem Gedanken im Kopf verlassen wir die heiligen Hallen und kämpfen uns durch den mittlerweile strömenden Regen durch zur Station der Tram Linie 16 – wo sich dann zeigt, dass die Flucht aus der Realität und die Kostümierung für eine Parallelwelt auch hier und jetzt ihr Gutes haben kann: sie vermag den Regen abzuhalten 😉
In diesem Sinne verabschieden wir uns für heute von Euch, sortieren unsere Gedanken und Bücher und melden uns morgen mit einer kleinen Nachlese. CU!
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