FBM 2025 Tag 2: Bambus, Conquista und ein Monsterauge
Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 16. Oktober 2025 | 21:12:15 | Roland Müller

Die Headline deutet es bereits an: Heute, am Messe-Donnerstag, haben wir uns auf den Weg gemacht zum Pavillon des diesjährigen Ehrengasts der Frankfurter Buchmesse, die Philippinen. Ohne zu ahnen, was uns erwarten würde. Denn jeder Ehrengast hat seine ganz eigene Philosophie, der Gestaltung seines Messeauftritts. Das gilt auch für die Philippinen. Un um es gleich vorwegzunehmen: Was wir vorfanden, war der krasse Gegensatz zur bemühten, oft barocken Opulenz des italienischen Pavillons vom Vorjahr. In jeder Beziehung!

Maximaler Minimalismus. Inseln im leeren Raum. Eine Metapher auf das südostasiatische Land, das aus mehr als 7.000 Inseln besteht. Das Baumaterial und die Konstruktion der offenen Leseinseln erinnerte an traditionellen Bambusbau. Tatsächlich aber wurden alle Inseln aus in einem hellen Beigeton lackierten Stahlrohren zusammengebaut. Die Optik jedoch blieb die luftige, schwebende Leichtigkeit jener Pflanze, von der auf den Philippinen fast 200 verschiedene Arten existieren.

Wir gehen ein paar Schritte weiter hinein in den Raum. Die Inseln sind teils Leseinseln, bestückt mit Büchern, …

…teils tragen sie riesige Projektionsflächen, die bespielt werden. Die imposanteste davon zeigte eine Endlos-Videosequenz eines Auges, das blinzelt, schaut und schließlich eine Träne fließen lässt. Eine Metapher auf die Befindlichkeit des Landes und seiner Menschen?

Wir umrunden die Installation und scheun uns weiter um. Auch dahinter wieder Bücher.

Wir sind recht früh am Tag hier im Pavillon und können uns deshalb noch sehr ungezwungen bewegen. Die Besucherzahl ist noch überschaubar, was sich im Laufe des Tages ändern wird.

Wir sehen uns eines der „Bücherhäuser“ genauer an.

Im Innern der luftigen Konstruktion sind längs beider Wände Bücher nach Themenbereichen sortiert präsentiert. Beginnend mit der Geschichte der Philippinen, über Natur, Architektur, Traditionen usw.

Das mit Abstand dickste und schwerste Buch der Präsentation trägt einen bezeichnenden Titel. Der Inhalt: Die minuziöse Aufzeichnung der Eroberund der philippinischen Inseln durch die Spanier im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Geschrieben von einem der „Verursacher“ höchstselbst. Wer weiß, wie sich die Konquistadoren andernorts aufgeführt haben, kann sich in etwa ausmalen, was sich auf den Philippinen abgespielt haben muss.

Ein paar Schritte weiter entdecken wir auf einer weiteren Leseinsel die Antwort auf das historische Trauma der Eroberung und den Grundstein des heutigen Selbstverständnisses der Philippinen:

José Protacio Mercado Rizal y Alonso Realonda – kurz José Rizal – war ein philippinischer Schriftsteller, Arzt und Kritiker des Kolonialismus. Er wird als Nationalheld geradezu kultisch verehrt und sein Andenken am 30. Dezember, dem Jahrestag seiner Hinrichtung 1896 durch die spanische Kolonialregierung, offiziell gefeiert. Nicht zuletzt wegen seines Romans „Noli me Tangere“, der die Rebellion gegen die spanische Besatzung lostrat und schlussendlich die Philippinen in die Selbstständigkeit führte. Braucht es noch einen weiteren Beweis, dass ein Buch den Lauf der Geschichte verändern kann?

Beeindruckt vom Gesehenen und Gelesenen schauen wir uns weiter um. Auf einer der Bühneninseln gibt Dr. Ramón Pagayon Santos, ein philippinischer Komponist und Ethnomusikologe, eine Einführung in die philippinische Musik, die eine sehr tiefe und grundsätzliche Bedeutung für das Selbstverständnis der Menschen hat. Eine der vielen Brücken, die die zahllosen Inseln und ihre spezifischen lokalen Ethnien verbinden.

Exotische Klänge im Ohr werfen wir einen Blick hinüber zu einer zwanzig Meter breiten Projektionsfläche, über die langsam ein Spazierstock hinwegwandert. Wenig später wird er regelrecht lebendig, windet sich in Teilen wie eine Schlange. Faszinierend und irgendwie gespenstisch. Aber vielleicht auch genau das, wofür ein so mythenreiches Land wie die Philippinen steht. Alles kan n schlagartig eine andere, eine neue Form annehmen.

Eine weitere Insel. Diesmal werden philippinische Autoren und ihre Werke vorgestellt.

Wieder ein Schwenk. Nun ein Thema, das bei uns längst von der Tagespolitik ins Abseits verbannt wurde. Hier hat es eine enorme Aktualität. Denn die Inseln der Philippinen werden in der Folge der massiven Klimaerwärmung in der westpazifischen Region immer häufiger und immer heftiger von Stürmen und schweren Unwettern heimgesucht. Es kann nicht ausbleiben, dass die Literatur dies zum Thema macht. Mehr als bei uns allemal. Trotz Organisationen wie den Climate Fiction Writers Europe, denen ja auch ich selbst angehöre. Womöglich können wir genau da etwas von den Philippinen lernen.

Viele Eindrücke. Zu viele vielleicht. Und das trotz der minimalistischen, fast kargen Präsentation. So nehmen wir dankbar das Angebot an, uns auf einer genau dafür geschaffenen Insel zu entspannen und zu verarbeiten, was wir heute gesehen haben. Allerdings, nach einer Weile meldet sich der Magen. Mittagszeit!

Auch wenn die angebotene philippinische Küche sehr verf¨hrerisch scheint, bleiben wir unserer Lieblingsadresse, dem gestern bereits gelobten Ramen Jun Westend treu. Damit das stabile Herbstwetter erhalten bleibt, haben wir auch brav alles aufgegessen.

Den Nachmittag verbringen wir durch die Hallen mäandrierend. Mittlerweile bei deutlich mehr Publikumsverkehr als noch am Vormittag. Das nutzt auch Denis Scheck mit seiner Druckfrisch-Ausgabe von der Frankfurter Buchmesse. Hier mit der Historikerin Marianne Ludes und deren Roman „Trio mit Tiger“ über Max und Mathilde Beckmann im Amsterdamer Exil. Spannende Lektüre übrigens!

Und dann haben wir ja noch einen speziellen Termin. Wir wollen eine liebe Kollegin treffen, mit der Uwe Ritzer, Markus Brauckmann und ich neulich einen Literatur-Podcast bestritten haben (Folge #245 von Sprenger spricht) – Theresia Graw. Und da Gila und ich ihren Roman „In uns der Ozean“ gleichermaßen lieben (er erzählt die Lebensgeschichte der berühmten Umweltaktivistin Rachel Carson, die gewissermaßen die weltweite Umweltbewegung begründet hat), habe wir ihre Signierstunde natürlich eigennützig gekapert.

Es war eine große Freude, die Stimme persönlich kennenzulernen, mit der ich damals nur akustisch zu tun hatte. Danke, liebe Theresia!

Danach versackten wir dann kurz beim traditionellen Icetea-Empfang für Autor:innen und Blogger:innen am Stand von Syndikat e.V. – sehr lustig wie immer die Kolleginnen und Kollegen. Allen voran natürlich Vorstandsmitglied Klaus Maria Dechant!

Gut gelaunt ging’s weiter, eigentlich Richtung Ausgang. Denn wir wollten noch einen Blick in Halle 4.1 werfen. Aufgehalten wurden wir von Michel Friedmann, der am Stand der Süddeutschen Zeitung im Rahmen der Präsentation seines neuen Buches „Mensch“ einen sehr emotionalen und trotzdem geschliffenen Dialog zum Thema Antisemitismus in Deutschland führte und darüber, was der Einzelne tun kann – ausgehend von seiner eigenen Familiengeschichte. Wer die nicht kennt: Seine Eltern und seine Großmutter zählten zu jenen Menschen, die auf Oskar Schindlers Liste standen und gerettet werden konnten vor der Vergasung.

Insofern dauerte es eine Weile, bis wir endlich in Halle 4.1 eintrafen und dort in der wirklich hintersten Ecke versteckt die Centre Stage fanden. Gerade rechtzeitig, um die so spannende wie von der Realität längst überholte Podiumsdiskussion zum Thema „Kotau vor der Tech-Wirtschaft oder Fair Play“ mitzuverfolgen.

Was blieb danach, an diesem zweiten Tag der Frankfurter Buchmesse? Nun, da können wir eigentlich nur den vom unvergessenen Marcel Reich-Ranicki so gern zitierten Satz von Berthold Brecht wiederholen: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
In diesem Sinne sehen wir uns morgen wieder. An gleicher Stelle. Mit vermutlich noch mehr offenen Fragen, den ersten und zahlreichen Lesetipps von der diesjährigen Buchmesse und dere einen oder anderen Begebenheit, die wir heute noch garnicht auf dem Schirm haben. Bis dann!
Kommentare deaktiviert für FBM 2025 Tag 2: Bambus, Conquista und ein Monsterauge







































