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FBM 2025 Tag 2: Bambus, Conquista und ein Monsterauge

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 16. Oktober 2025 | 21:12:15 | Roland Müller

Die Headline deutet es bereits an: Heute, am Messe-Donnerstag, haben wir uns auf den Weg gemacht zum Pavillon des diesjährigen Ehrengasts der Frankfurter Buchmesse, die Philippinen. Ohne zu ahnen, was uns erwarten würde. Denn jeder Ehrengast hat seine ganz eigene Philosophie, der Gestaltung seines Messeauftritts. Das gilt auch für die Philippinen. Un um es gleich vorwegzunehmen: Was wir vorfanden, war der krasse Gegensatz zur bemühten, oft barocken Opulenz des italienischen Pavillons vom Vorjahr. In jeder Beziehung!

Maximaler Minimalismus. Inseln im leeren Raum. Eine Metapher auf das südostasiatische Land, das aus mehr als 7.000 Inseln besteht. Das Baumaterial und die Konstruktion der offenen Leseinseln erinnerte an traditionellen Bambusbau. Tatsächlich aber wurden alle Inseln aus in einem hellen Beigeton lackierten Stahlrohren zusammengebaut. Die Optik jedoch blieb die luftige, schwebende Leichtigkeit jener Pflanze, von der auf den Philippinen fast 200 verschiedene Arten existieren.

Wir gehen ein paar Schritte weiter hinein in den Raum. Die Inseln sind teils Leseinseln, bestückt mit Büchern, …

…teils tragen sie riesige Projektionsflächen, die bespielt werden. Die imposanteste davon zeigte eine Endlos-Videosequenz eines Auges, das blinzelt, schaut und schließlich eine Träne fließen lässt. Eine Metapher auf die Befindlichkeit des Landes und seiner Menschen?

Wir umrunden die Installation und scheun uns weiter um. Auch dahinter wieder Bücher.

Wir sind recht früh am Tag hier im Pavillon und können uns deshalb noch sehr ungezwungen bewegen. Die Besucherzahl ist noch überschaubar, was sich im Laufe des Tages ändern wird.

Wir sehen uns eines der „Bücherhäuser“ genauer an.

Im Innern der luftigen Konstruktion sind längs beider Wände Bücher nach Themenbereichen sortiert präsentiert. Beginnend mit der Geschichte der Philippinen, über Natur, Architektur, Traditionen usw.

Das mit Abstand dickste und schwerste Buch der Präsentation trägt einen bezeichnenden Titel. Der Inhalt: Die minuziöse Aufzeichnung der Eroberund der philippinischen Inseln durch die Spanier im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Geschrieben von einem der „Verursacher“ höchstselbst. Wer weiß, wie sich die Konquistadoren andernorts aufgeführt haben, kann sich in etwa ausmalen, was sich auf den Philippinen abgespielt haben muss.

Ein paar Schritte weiter entdecken wir auf einer weiteren Leseinsel die Antwort auf das historische Trauma der Eroberung und den Grundstein des heutigen Selbstverständnisses der Philippinen:

José Protacio Mercado Rizal y Alonso Realonda – kurz José Rizal – war ein philippinischer Schriftsteller, Arzt und Kritiker des Kolonialismus. Er wird als Nationalheld geradezu kultisch verehrt und sein Andenken am 30. Dezember, dem Jahrestag seiner Hinrichtung 1896 durch die spanische Kolonialregierung, offiziell gefeiert. Nicht zuletzt wegen seines Romans „Noli me Tangere“, der die Rebellion gegen die spanische Besatzung lostrat und schlussendlich die Philippinen in die Selbstständigkeit führte. Braucht es noch einen weiteren Beweis, dass ein Buch den Lauf der Geschichte verändern kann?

Beeindruckt vom Gesehenen und Gelesenen schauen wir uns weiter um. Auf einer der Bühneninseln gibt Dr. Ramón Pagayon Santos, ein philippinischer Komponist und Ethnomusikologe, eine Einführung in die philippinische Musik, die eine sehr tiefe und grundsätzliche Bedeutung für das Selbstverständnis der Menschen hat. Eine der vielen Brücken, die die zahllosen Inseln und ihre spezifischen lokalen Ethnien verbinden.

Exotische Klänge im Ohr werfen wir einen Blick hinüber zu einer zwanzig Meter breiten Projektionsfläche, über die langsam ein Spazierstock hinwegwandert. Wenig später wird er regelrecht lebendig, windet sich in Teilen wie eine Schlange. Faszinierend und irgendwie gespenstisch. Aber vielleicht auch genau das, wofür ein so mythenreiches Land wie die Philippinen steht. Alles kan n schlagartig eine andere, eine neue Form annehmen.

Eine weitere Insel. Diesmal werden philippinische Autoren und ihre Werke vorgestellt.

Wieder ein Schwenk. Nun ein Thema, das bei uns längst von der Tagespolitik ins Abseits verbannt wurde. Hier hat es eine enorme Aktualität. Denn die Inseln der Philippinen werden in der Folge der massiven Klimaerwärmung in der westpazifischen Region immer häufiger und immer heftiger von Stürmen und schweren Unwettern heimgesucht. Es kann nicht ausbleiben, dass die Literatur dies zum Thema macht. Mehr als bei uns allemal. Trotz Organisationen wie den Climate Fiction Writers Europe, denen ja auch ich selbst angehöre. Womöglich können wir genau da etwas von den Philippinen lernen.

Viele Eindrücke. Zu viele vielleicht. Und das trotz der minimalistischen, fast kargen Präsentation. So nehmen wir dankbar das Angebot an, uns auf einer genau dafür geschaffenen Insel zu entspannen und zu verarbeiten, was wir heute gesehen haben. Allerdings, nach einer Weile meldet sich der Magen. Mittagszeit!

Auch wenn die angebotene philippinische Küche sehr verf¨hrerisch scheint, bleiben wir unserer Lieblingsadresse, dem gestern bereits gelobten Ramen Jun Westend treu. Damit das stabile Herbstwetter erhalten bleibt, haben wir auch brav alles aufgegessen.

Den Nachmittag verbringen wir durch die Hallen mäandrierend. Mittlerweile bei deutlich mehr Publikumsverkehr als noch am Vormittag. Das nutzt auch Denis Scheck mit seiner Druckfrisch-Ausgabe von der Frankfurter Buchmesse. Hier mit der Historikerin Marianne Ludes und deren Roman „Trio mit Tiger“ über Max und Mathilde Beckmann im Amsterdamer Exil. Spannende Lektüre übrigens!

Und dann haben wir ja noch einen speziellen Termin. Wir wollen eine liebe Kollegin treffen, mit der Uwe Ritzer, Markus Brauckmann und ich neulich einen Literatur-Podcast bestritten haben (Folge #245 von Sprenger spricht) – Theresia Graw. Und da Gila und ich ihren Roman „In uns der Ozean“ gleichermaßen lieben (er erzählt die Lebensgeschichte der berühmten Umweltaktivistin Rachel Carson, die gewissermaßen die weltweite Umweltbewegung begründet hat), habe wir ihre Signierstunde natürlich eigennützig gekapert.

Es war eine große Freude, die Stimme persönlich kennenzulernen, mit der ich damals nur akustisch zu tun hatte. Danke, liebe Theresia!

Danach versackten wir dann kurz beim traditionellen Icetea-Empfang für Autor:innen und Blogger:innen am Stand von Syndikat e.V. – sehr lustig wie immer die Kolleginnen und Kollegen. Allen voran natürlich Vorstandsmitglied Klaus Maria Dechant!

Gut gelaunt ging’s weiter, eigentlich Richtung Ausgang. Denn wir wollten noch einen Blick in Halle 4.1 werfen. Aufgehalten wurden wir von Michel Friedmann, der am Stand der Süddeutschen Zeitung im Rahmen der Präsentation seines neuen Buches „Mensch“ einen sehr emotionalen und trotzdem geschliffenen Dialog zum Thema Antisemitismus in Deutschland führte und darüber, was der Einzelne tun kann – ausgehend von seiner eigenen Familiengeschichte. Wer die nicht kennt: Seine Eltern und seine Großmutter zählten zu jenen Menschen, die auf Oskar Schindlers Liste standen und gerettet werden konnten vor der Vergasung.

Insofern dauerte es eine Weile, bis wir endlich in Halle 4.1 eintrafen und dort in der wirklich hintersten Ecke versteckt die Centre Stage fanden. Gerade rechtzeitig, um die so spannende wie von der Realität längst überholte Podiumsdiskussion zum Thema „Kotau vor der Tech-Wirtschaft oder Fair Play“ mitzuverfolgen.

Was blieb danach, an diesem zweiten Tag der Frankfurter Buchmesse? Nun, da können wir eigentlich nur den vom unvergessenen Marcel Reich-Ranicki so gern zitierten Satz von Berthold Brecht wiederholen: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

In diesem Sinne sehen wir uns morgen wieder. An gleicher Stelle. Mit vermutlich noch mehr offenen Fragen, den ersten und zahlreichen Lesetipps von der diesjährigen Buchmesse und dere einen oder anderen Begebenheit, die wir heute noch garnicht auf dem Schirm haben. Bis dann!

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FBM 2025 Tag 1: Literadtour, Bücherautomaten und ein Messe-Mayer

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 15. Oktober 2025 | 20:31:50 | Roland Müller

Aus aktuellem Anlass beginnen wir unsere diesjährige Berichterstattung von der Frankfurter Buchmesse nicht mit den üblichen Bildern, sondern starten direkt mittendrin, auf der Agora zwischen den heiligen Messehallen. Denn hier trifft am Mittwochmorgen, pünktlich um 10 Uhr 30, unser Held ein: ein junger Mann, der in sieben Monaten mehr als 10.000 Kilometer durch 16 Bundesländer zurückgelegt hat, um mit seiner „Literadtour“ Menschen fürs Lesen zu begeistern.

Herzlich willkommen, lieber Lennart Schäfer! Es war uns ein Vergnügen, dich auf Instagram als einer der ersten Follower auf dieser langen Strecke zu begleiten. Mehr als 10.000 Kilometer mit einem E-Lastenrad voller Bücher, Klamotten, Verpflegung und Reparaturmaterial, das ist schon mal eine Ansage. Von den sieben Plattfüßen unterwegs ganz zu schweigen.

Während Lennarts Start vor sieben Monaten noch lediglich bei Buchmarkt-Insidern und natürlich den Buchhandlungen und Verlagen, die er ansteuerte, Aufsehen erregte, sieht das heute, nach dieser Marathon-Tour des jungen Buchbotschafters schon anders aus. Ein ganzer Pulk TV-Teams, Pressefotografen und Journalisten erwarteten den jungen Mann beim Zieleinlauf und stellten Fragen, Fragen, Fragen. Na klar, wir natürlich auch. Und nun sind wir sehr gespannt darauf, wie Lennart weitermachen wird mit seiner Mission, für die er brennt. So viel hat er uns schon verraten: Er wird die Erlebnisse auf dieser Tour in einem Buch verarbeiten, sobald er zurück ist in seiner Heimatstadt Hamburg. Nach allem, was wir hören, hat sich auch bereits ein Verlag gemeldet …

Nach diesem luftigen Start in den Messemittwoch lassen wir uns beschwingt in die Messehallen treiben, schwimmen mit dem um diese Zeit noch moderaten Besucherstrom Richtung Halle 3.

Die Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat ist am Vormittag des ersten Messetages noch menschenleer.

Auch die Messehallen füllen sich erst langsam. Wir genießen das und wollen uns noch nicht ausmalen, was hier in den kommenden Tagen los sein wird.

Auch bei den Mörderischen Schwestern stapeln sich noch keine Leichen. Wirklich ungewohnt. Das wird sich im Verlauf der Messe aber ändern, ganz sicher!

Dafür treffen wir einen lieben Autorenkollegen, Oliver Baier, der am Stand von Mainbook seinen Debüt-Thriller „Frankfurt Beats“ präsentiert. Wir konnten ihm ja neulich bereits auf einer Lesung lauschen und sind ziemlich begeistert von dieser beklemmenden Mischung aus Frankfurt Vibes und psychologisch tief ausgearbeiteten Figuren.

Wir schlendern weiter und schauen am Stand von Reclam ein paar Besuchern über die Schulter, als sie am Reclam-Bücher-Automat Notizbücher ziehen. Eine witzige Idee in nostalgischer Verpackung.

Ein Stück weiter präsentieren auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage die Verantwortlichen der Kurt Wolff Stiftung den Jubiläumskatalog der unabhängigen Verlage. Längst so etwas wie die Bibel der kleinen, unabhängigen Verlage. Die Stiftung versteht sich als Interessenvertretung der zahllosen deutschsprachigen unabhängigen Verlage und engagiert sich für eine vielfältige Verlags- und Literaturlandschaft.

Nachdem sich mittlerweile – es geht auf 13 Uhr zu – Hunger in uns breitmacht und wir nicht unbedingt das durchaus vielfältige und schon mal fette Angebot der diversen Food-Trucks und Stände auf der Agora nutzen wollen, besuchen wir unseren Geheimtipp außerhalb der Messe. Im Ramen Jun Westend in der nahegelegenen Wilhelm-Hauff-Str. 10 meditieren wir über unser weiteres Messebegehen, während wir eine köstliche Ramen schlürfen (und schlabbern, sorry, aber das gehört dazu). Da wir um die Beliebtheit der Adresse wussten, haben wir rechtzeitig vorher online reserviert. Solltet Ihr auch tun!

Zurück auf der Messe stand unser einziger fixer Termin des Tages an, ein Treffen mit Kolleginnen und Kollegen des Autoren-Forums Montségur. Aber naja, viele kamen nicht. Immerhin aber eine liebe Freundin und Kollegin. Allein wegen ihr hat sich das Date gelohnt (Danke nochmal, Inez!).

Anschließend stürzten wir uns wieder in den nun schon zunehmenden Messetrubel. Vorbei an den üblichen Verdächtigen des Droemer Knaur Verlags.

Und zumindest heute ließen wir auch Sen Lin Yus „Alchemised“ links liegen, ein 1.200 Seiten schweres Dark Fantasy Epos, das nach allem, was zu hören ist, auf einer Fanfiction des Harry-Potter-Universums basiert, in dem Draco und Hermine ein Kind bekommen. Um Urheberrechtsstreitigkeiten zu vermeiden, wurden alle derartigen Bezüge rausgewaschen. Ullstein hat den weltweiten Megaseller ins Programm genommen und mit einer bombastischen Startauflage von 300.000 Exemplaren plus entsprechendem Marketing-Budget in die deutsche Lesewelt gesetzt.

Wir lassen die Fantasy hinter uns und steuern den Stand der Aufbau Verlage an, die derzeit ihren achtzigjährigen Verlagsgeburtstag feiern. Unser Besuch ist durchaus nicht ganz uneigennützig und natürlich von Neugier getrieben.

Und ja, das sieht doch ausgesprochen gut aus, was da unter dem Imprint Aufbau Taschenbuch Verlag im Regal platziert ist. Auch wenn es sich immer noch ein wenig weird anfühlt, zugleich Berichterstatter vom literarischen Hochamt des Buchmarktes, der Frankfurter Buchmesse, zu spielen und selbst Thriller-Autor zu sein. Wer mir auf Instagram folgt (@rm.eisrausch) weiß, dass ich „Eisfalle“ für den eisigsten Thriller des Jahres halte. Und hey, ich muss es ja wissen, oder?

Und dann treffen wir ihn doch noch. Gerade wollen wir uns auf den Nachhauseweg machen, den Messe-Mayer! Matthias Mayer mit Klarnamen, seit vielen Jahren ein Berichterstatter vom Geschehen im Buchmarkt und vor allem hinter dessen Kulissen. Was er im für ihn typischen Outfit tut und im für ihn typischen ironischen und satirischen Ton. Ein Genuss, ihm auf buchmarkt.de zu folgen und zu begleiten. Wir können’s nur empfehlen!

Soviel für heute, am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse 2025. Morgen geht’s weiter und zwar heftig! Schließlich müssen wir uns ja den Pavillon des Ehrengasts Philippinen genauer anschauen und einen Blick auf deren hierzulande noch viel zu unbekanntes literarisches Schaffen werfen. CU tomorow!

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Frankfurter Buchmesse 2025

Veröffentlicht in Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 13. Oktober 2025 | 13:22:01 | Roland Müller

Übermorgen geht’s los! Wie alle Jahre wieder seit 2007 werden wir tagesaktuell von der Frankfurter Buchmesse berichten. Als Euer Auge und Ohr lassen wir uns durch die heiligen Hallen treiben, werden zahllose Bücher herauspicken, anlesen und gegebenenfalls empfehlen. Wir werden Autorinnen und Autoren treffen, Standpersonal nerven, unerwartet über allerlei Prominente stolpern und all die wunderbaren Neuerscheinungen, mehr oder weniger nervigen Hypes und skurrilen Begebenheiten des Buchmarktes in Bild und Text hier im digitalen Café veröffentlichen. Und Abend für Abend von Mittwoch bis Sonntag werden wir erschöpft ins Bett allen, nachdem wir unser Material gesichtet, betextet und online gestellt haben. Ihr seid doch wieder dabei? Aber klar!

Euer Buchmesse-Team von Cafedigital.de

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LBM 2025 (Tag 1): Einlass-Chaos und Preis-Spektakel

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Literatur, Medien, Unterhaltung | 28. März 2025 | 07:48:36 | Roland Müller

Was aussieht wie der Anmarsch zu einer riesigen Demo ist in der Tat ein kleiner Ausscnitt der letzten zweihundert Meter zum Eingang der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Wir sind ein klein wenig gestresst. Nicht wegen der Menge um uns herum. Sondern weil wir drei Trams ausfallen lassen mussten, bevor wir uns in eine hineinquetschen konnten. Unser Hotel mag nur vier Stationen von der Messe entfernt sein, das entpuppte sich aber als Handikap. Denn alle eintreffenden Straßenbahnen der Linie 16 trudelten an „unserer“ Haltestelle dermaßen überfüllt ein, dass wir uns erst in die vierte Bahn wagten.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. Denn wie sich herausstellte, hatte die Messeleitung sich eine Neuerung gegenüber dem Vorjahr einfallen lassen. Oder soll ich sagen Verschlimmbesserung? Zumal eine, die sich anfangs gar nicht erkennen ließ und auch online nirgends angekündigt war.

Eine massive Absperrung verhnderte den direkten, frontalen Weg in die Eingänge. Stattdessen mussten die Menschenmassen sich teilen und von ganz rechts und ganz links in Absperrung umgehen, um kanalisiert zu werden. Die Folge: Großes Chaos und kreuz und quer herumschiebende Besucher. Wir benötigten insgesamt vierzig Minuten, um in die Glashalle zu gelangen. Doppelt solange wie letztes Jahr!

Aber dann endlich war es geschafft, und die legendäre Messetreppe kam in Sicht.

Noch ein Blick zurück auf die Bühne von ARD, ZDF und 3sat. Bühne? Ach herrje! Siedendheiß fiel uns eingedenk des längst implodierten heutigen Zeitplans ein, dass wir um diese Zeit eigentlich …

… einem Interview von Thea Dorn mit dem norwegischen Autor Karl Ove Knausgård über seinen Roman „Die Schule der Nacht“. Ein faszinierendes Buch und ein ebensolcher Autor. Wir atmen tief durch und sind nun endlich auch mental auf der Leipziger Buchmesse angekommen. Über Knausgård wird noch mehr zu sagen sein, wenn wir morgen den Stand des Gastlands Norwegen besuchen. Deshalb an dieser Stelle nur der Tipp: Autor und Werk unbedingt im Auge behalten!

An dem unvermeidlichen Ober-Mainzelmännchen Ded vorbei ziehen wir weiter. Tiefer in die Messehallen jenseits der zentralen Glashalle.

Ei weiterer wichtiger Anlaufpunkt des heutigen Tages ist das Forum Literatur in Halle 2. Hier werden die Nominierten für den prestigeträchtigen Preis der Leipziger Literaturmesse vorgestellt. In diesem Fall die fünf Kandidaten der Abteilung Belletristik. Darunter der wie immer wunderbar schalkhafte und selbstironische Wolf Haas, der seinen „Wackelkontakt“ präsentiert. Und ja, das ist durchaus doppeldeutig gesagt und gemeint. Unser heimlicher Favorit. Auch wenn die spätere Preisverkündung … nun ja, wir wollen nicht spoilern. Ärgerlich war vielmehr, wie wenig Fläche die Messeverantwortlichen für diese Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatten, immerhin ein Aushängeschild der LBM.

Also warteten wir garnicht erst ab, wer sich nach Wolf Haas noch zu Wort melden würde und besuchen zwei unserer Lieblingsverlage im Doppelpack. Denn der mare Verlag und der Verlag Klaus Wagenbach fanden sich Seite an Seite platziert. Sehr praktisch!

So bot sich eine schöne Gelegenheit, die Neuheiten im mare-Programm anzuschauen und einen Schritt weiter die legedären Salto-Bände von Wagenbach in Augenschein zu nehmen.

Einer der größeren Stände auf dieser Messe ist der des Recherchenetzwerks Correctiv. Ja, wir selbst sind Fans und Unterstützer. Insofern war uns manches bereits bekannt, was der Stand zu bieten hatte (dazu vielleicht morgen mehr, wenn’s um Lesetipps geht).

Was uns aber doch überraschte, war die Wiederkehr eines alten Bekannten: Ex-Spiegel-Mann Cordt Schnibben is back! Mit einem vom Correctiv Verlag verlegten Roman mit dem lapidaren Titel „Lila Eule“. Der etwas psychedelische Look des Cover-Designs täuscht nicht. Es handelt sich nämlich um einen OstWest-LSD-Beatclub-Roman. Und jetzt frage keiner nach dem Genre. Liebesgeschichte, Agententhriller und ein Aufstand des westdeutschen Spießbürgertums in wilder und gelungener Mischung. Und ja, da können wir nicht anders. Das ist unser erster Lesetipp auf dieser Messe!

Inspiriert ziehen wir weiter und landen mitten im Forum Mensch und KI. Hier treffen wir auf ein illustres Trio auf der Bühne: Anke Domscheit-Berg, die aus dem Bundestag ausgeschiedene Linke und vermutlich die einzige Mandatsträgerin im abgewickelten 20. Bundestag, die tatsächlich intensive Ahnung von der Materie Digitalisierung und KI hatte. Außen Prof. Dr. Christian Pentzold von der Uni Lipzig, ein ausgewiesener Experte in Sachen Medien- und Kommunikationstechnologie. Und in der Mitte Svea Eckert vom Chaos Computer Club als Moderatorin. Was sich entspann, war eine ebenso fundierte wie angsteinflößende Diskussion darüber, wer vom Aufkommen der KI profitiert und welche sozialen, ökonomischen und machttechnischen Folgen dies haben wird.

Mit einem KI-Tunnellick fliehen wir in einen ebensolchen, um einen weiteren, kleinen und unabhängigen Verlag aufzusuchen, den wir schon länger auf unserer Beobachtungsliste haben.

8280-edition.ch – ein Verlag mit einem eher sperrigen Namen. Angesiedelt am Bodensee, in Kreuzlingen, auf der schweizerischen Seite der Bodenseeregion. Geleitet von Stephan Militz. Aus dem kleinen, feinen Programm des überaus rührigen Verlags stechen einige Werke hervor.

Beispielsweise die Crawford Chroniken meiner geschätzten Kollegin Cor Nightingale, der Debüt „Die Krähen von Greengate“ soeben für den Seraph nominiert worden ist, einer der wichtigsten Literaturpreise für phantastische Literatur! Dazu morgen mehr.

Nach einem längeren Plausch mit dem Verleger ziehen wir weiter und wieder zurück zur Bühne von ARD, ZDF und 3sat. Denn es wird Zeit für Buchzeit: Gert Scobel diskutiert mit den Literaturexpertinnen Barbara Vinken, Sandra Kegel und Katrin Schumacher ausgewählte Neuerscheinungen des Bücherfrühlings. Und zwar: Vigdis Hjorth: „Wiederholung“, Anne Enright: „Vogelkind“; beides fulminante Lesetipps! Sowie Emmanuel Carrère: „Ich lebe und ihr seid tot – Die Parallelwelten des Philip K. Dick“ (Scobels persönlicher und sehr ambivalener Vorschlag) und den Debütroman von Yukiko Tominaga: „Vermissen auf Japanisch“.

Und dann ist es endlich soweit: Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse steht an. Stattfinden wird er im neuen, begrünten Atrium im Erdgeschoss unter der Glaskuppel. Vergeben wirdern die Preise in dern Kategorien Übersetzung, Belletristik und Sachbuch.

60.000 Euro warten auf die Gewinner, zu vergeben von einer siebenköpfigen Jury. And the winner is:

In der Kategorie beste Übersetzung: Aus dem Belarussischen von Thomas Weiler; Ales Adamowitsch, Janka Bryl, Uladsimir Kalesnik: „Feuerdörfer. Wehrmachtsverbrechen in Belarus – Zeitzeugen berichten“ (Aufbau)

In der Kategorie Belletristik: Kristine Bilkau: „Halbinsel“ (Luchterhand)

In der Kategorie Sachbuch: Irina Rastorgueva: „Pop-up-Propaganda. Epikrise der russischen Selbstvergiftung“ (Matthes & Seitz Berlin)

Wer sich die Begründungen der Jury genauer durchlesen möchte, kann das hier tun.

Für uns endet dieser erste Messetag mit einer gewissen Erschöpfung, dem abschließenden Besuch einer spannenden Viererlesung, über die wir separat berichten werden und der Erkenntnis: Mein Gott, das war erst der erste Messetag! In diesem Sinne: CU again tomorrow!

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Augen zu und durch?

Veröffentlicht in >Mission Statement, Gesellschaft, Internet, Kultur, Medien, Politik | 15. Februar 2025 | 14:52:32 | Roland Müller

Es ist absehbar, dass dieses Jahr 2025 eines wird, das uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die Welt scheint zunehmend aus den Fugen zu geraten. Das Recht des Stärkeren wird allerorts neu installiert. Rechtes Gedankengut, klassisches und postklassisches, sickert in die Mitte der Gesellschaft ein. Ein neuer Imperialismus wird unverhüllt zur Schau getragen und oft genug gefeiert, jenseits des Atlantiks ebenso wie weit im Osten. Und oft genug auch hierzulande. Fast immer sind es alte, weiße Männer, die an den Stellhebeln der Macht zerren. Die Hoffnung, dass das nur ein Klischee sei, hat sich längst zerschlagen. Und hinter ihnen eine Riege von Tech-Milliardären, die ihre Chance gekommen sieht, sich und ihre Geschäftsmodelle final von jeder Regulierung zu befreien. Und sich selbst von uns. Mars, wir kommen!

Augen zu und durch? Ist das alles, was uns bleibt? Wählen, was uns als das geringste Übel erscheint? Zum Beispiel bei den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar. Ja, was das Wählen angeht! Augen zu? Nein! Wir werden hier im digitalen Café weiter den digitalen Kulturraum durchleuchten und wo es uns notwendig scheint, Entwicklungen kommentieren, die kommentiert werden müssen. Zeigen, was ist. Das, was man als das Kerngebot eines guten, kritischen Journalismus verstehen kann. Zeigen, was ist und dies mit gebotener Distanz zur Sache und zu den Rezipienten. Jene Art von Journalismus, die in vielen breitstreuenden Medien zunehmend in Vergessenheit zu geraten scheint. Sei es aus zu großer Nähe zur Macht und ihren von uns gewählten Entscheidern. Sei es aus Angst um die eigenen Pfründe, jetzige und zukünftige. Journalismus, der nicht mehr als unbequem empfunden wird, verfehlt seinen Auftrag.

Wir werden weiter im Rahmen unserer naturgemäß begrenzten Möglichkeiten versuchen, dem oben formulierten Anspruch gerecht zu werden. Ihr werdet weiterhin keine Werbeeinblendungen hier im Café erleben. Klickzahlen sind uns vollkommen egal. Wir sind und bleiben unabhängige Beobachter und Kommentatoren, niemandem verpflichtet außer dem deutschen Presserecht. Das gilt für mitunter politische Einlassungen ebenso wie für die anstehenden Reportagen. Die erste große in diesem Jahr von der im März anstehenden Leipziger Buchmesse. Die dieses Jahr passenderweise unter dem Motto steht: „Worte bewegen Welten“. Dem schließen wir uns gern an. Insofern gilt wie alle Jahre wieder: Stay tuned!

Euer Café Digital Team.

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