LBM 2025 (Tag 2): Übliche Verdächtige und ein paar unübliche
Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 31. März 2025 | 19:00:59 | Roland Müller

Droemer Knaur gehört zweifellos zu den üblichen Verdächtigen der Verlagsbranche. Nichts, womit wir uns am zweiten Tag unseres Messebesuchs über Gebühr aufhalten wollen. Die Rotunde im Zentrum des Messestandes ist bereits von der Frankfurter Buchmesse her bestens bekannt und unübersehbar.

S. Fischer wiederum stellt „Dream Count“ von Chimamanda Ngozi Adichie groß heraus. Was mehr als berechtigt ist. Denn die teils in den USA lebende Nigerianerin mit dem wunderbar klangvollen Namen hat damit einen Roman über vier sehr unterschiedliche Frauen vorgelegt, der sicher eines der Highlights des Lesejahres 2025 ist. Lesetipp!

Nichtdestotrotz zieht es uns zum Stand des diesjährigen Gastlandes Norwegen. Fünfeinhalb Millionen Einwohner sind zugleich (fast) fünfeinhalb Millionen Leserinnen und Leser. Und fast genau so viele Geschichten in Folge einer uralten Erzähltradition. Ein paar davon wollen wir uns näher anschauen.

Also noch ein kurzer Blick auf die freundlichen Gesichter, die die Seitenwände des Stands zieren und rein!

Licht, leicht, skandinavisch (nein, nicht IKEA, wir sind hier schlieslich nicht in Schweden) präsentieren die Norweger einen Traum im Frühling. Und es ist ganz schön voll, obwohl wir einigermaßen früh unterwegs sind.

Natürlich steuern zuallererst die Bücher von Karl Ove Knausgård an. „Das dritte Königreich“ springt uns zuallererst ins Auge. Der jüngste Band der Reihe „Der Morgenstern“. Ein neuer Stern erscheint am Firmament und in Norwegen stirbt niemand mehr. Mit allen Konsequenzen, die das zeitigt. Vielleicht nicht der stärkste Band der Romanreihe, aber wieder ein echter Knausgård.

Was wohl als nächstes kommt? Ein viertes Königreich? Es wird spannend werden zu sehen, wie lange die Idee trägt. Angeblich hat der Autor ja bereits bevor er überhaupt mit dem Schreiben des ersten Bandes begonnen hatte, die Titel aller Bände festgelegt. Zugzwang nun? Schreibzwang?

Maja Lunde darf man als bekannt voraussetzen. Spät estens mit den vier Romanen des Klimaquartetts hat sie sich als exzellente Climate Fiction Autorin eingeführt, angefangen mit „Die Geschichte der Bienen“. Mit „Für immer“ legt sie nun etwas Neues vor, das uns thematisch spontan an das eben erwähnte dritte Königreich erinnert. Denn in Lundes Roman kommt an einem gewöhnlichen Tag Anfang Juni die Zeit zum Stehen. Sie vergeht nicht mehr. Niemand stirbt, niemand wird mehr geboren. Eine faszinierende Idee mit verwrrenden Konsequenzen. Absolut lesenswert!

Wieviel bodenständiger kommt da Lars Myttings „Die Glocke im See“ daher. Erster Band einer Roman-Trilogie, die in einem kleinen, abgelegenen Dorf in Norwegen spielt, im Jahr 1880 (alle Bände beim Insel Verlag Berlin, bereits auf deutsch erschienen). Sehr atmosphärisch und bereits beim ersten Anlesen all das vermittelnd, wofür norwegische Erzählkunst steht.

Während wir in weiteren Büchern blättern, warten wir auf Trude Teige, die auf der kleinen Bühne ein Interview geben wird, moderiert von Günther Frauenlob – was für ein überaus passender Name (denken wir, ohne den Inhalt des Interviews vorwegzunehmen).

Lohnt sich noch ein Blick in Sigrid Boos „Dienstmädchen für ein Jahr“, ein 30er-Jahre Bestseller in neuer Übersetzung? Oder gar in Nina Lykkes „Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben“? Nein, leider. Denn es geht los …

Wir lauschen einem langen und ausführlichen Interview mit einer glänzend aufgelegten Trude Teige. Mit der Neuauflage ihrer gesellschaftskritischen Kriminalromane um die TV-Journalistin Kajsa Coren darf man sie mit Fug und Recht als eine der besten Krimiautorinnen Norwegens bezeichnen. Zumal sie jede Menge Know-how aus ihrer eigenen Berufszeit als TV-Journalistin mit dem Schwerpunkt Politik in ihren Romanen verarbeitet. Dass sie wie ich bei den Aufbau Verlagen verlegt wird, ist ein gutes Gefühl.

In Nachbarschaft zum Stand des Gastlandes Norwegen prangt das blau-gelbe Signet des ukrainischen Standes. Wir treffen ein, als ein prominenter ukrainischer Philosoph auf der Bühne zu Wort kommt.

Wir lauschen Kostjantyn Sihows flammendem Plädoyer und verstehen ein klein wenig besser als eh schon, was für Europa auf dem Spiel steht.

Was wir als im westen Deutschlands Sozialisierte nicht wussten: Seit 1961 pflegt Leipzig eine Städtepartnerschaft mit Kiew. Und der Ukrainische Kultur- und Bildungsverein Oseredok Leipzig e.V. organisiert seitdem zahlreiche kulturelle Projekte und Kooperationen zwischen beiden Städten.

Wir entspannen uns von dem plötzlichen Einbruch der Weltpolitik und des unsäglichen russischen Überfalls auf die Ukraine in dem, was der österreichische Gemeinschaftsstand als „Kaffeehaus“ apostrophiert. Allerdings ganz ohne den degenerierten Charme eines bspw. Wiener Kaffeehauses. Egal. Kaffee hilft immer!

Mittlerweile lacht draußen die Sonne auf das Dach der Glashalle und auf die gewächshauswarmen Verbindungstunnel zwischen den Messehallen. Also schalten wirum auf Messe-Tunnelblick und eilen weiter.

… und landen mitten in einer Lesung eines uns unbekannten Independent Verlags auf der Leseinsel der Jungen Verlage und eines genauso unbekannten Autors. Ein Glücksfall, wie sich schnell zeigt. Mit „Gesicht zur Wand“ legt Hans-Gerd Pyka, ein stämmiger und schlagfertiger Autor in unseren eigenen besten Jahren einen Roman vor, der uns (wie gesagt, beide westdeutsch sozialisiert) die Augen öffnet für eine Zeit und eine Gesellschaft vor, während und nach dem Mauerfall. Hans-Gerd Pyka erzählt mit Witz die bewegende Geschichte eine Jugendlichen und Heranwachsenden, der mit der DDR-Obrigkeit in Konflikt gerät, unter abenteuerlichen Umständen aus der DDR flieht und im westen einen holprigen Neuanfang versucht. Magisch! Und damit ein klarer Lesetipp!

Natürlich haben wir uns daraufhin den unabhängigen Verlag mit Namen Dreiviertelhaus genauer angeschaut, der schräg gegenüber der Leseinsel einen winzigen 800-Euro-Eckstand belegte. Ein kleines, feines Programm, auf das wir sich ein Auge haben werden. Denn genau das macht den Reiz der Leipziger Buchmesse aus: Man entdeckt kleine, sehr engagierte Verlage mit lesenswertem Programm.

Nach einem langen, anstrengenden Messetag beobachten wir, wie die Grünflächen des Messegeländes zunehmend zur Picknickzone werden. So schön grün kann eine Buchmesse sein!
In diesem Sinne wünschen wir Euch erholsame Lesestunden mit Eurer Bücherbeute, falls Ihr selbst auf der LBM wart. Und wenn nicht, stöbert Ihr einfach durch unsere Lesetipps und überschüttet Eure Lieblingsbuchhandel mit Euren Bestellungen. Morgen berichten wir hier an gleicher Stelle über den dritten und vierten Messetag. Also stay tuned!