Was aussieht wie der Anmarsch zu einer riesigen Demo ist in der Tat ein kleiner Ausscnitt der letzten zweihundert Meter zum Eingang der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Wir sind ein klein wenig gestresst. Nicht wegen der Menge um uns herum. Sondern weil wir drei Trams ausfallen lassen mussten, bevor wir uns in eine hineinquetschen konnten. Unser Hotel mag nur vier Stationen von der Messe entfernt sein, das entpuppte sich aber als Handikap. Denn alle eintreffenden Straßenbahnen der Linie 16 trudelten an „unserer“ Haltestelle dermaßen überfüllt ein, dass wir uns erst in die vierte Bahn wagten.
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Denn wie sich herausstellte, hatte die Messeleitung sich eine Neuerung gegenüber dem Vorjahr einfallen lassen. Oder soll ich sagen Verschlimmbesserung? Zumal eine, die sich anfangs gar nicht erkennen ließ und auch online nirgends angekündigt war.
Eine massive Absperrung verhnderte den direkten, frontalen Weg in die Eingänge. Stattdessen mussten die Menschenmassen sich teilen und von ganz rechts und ganz links in Absperrung umgehen, um kanalisiert zu werden. Die Folge: Großes Chaos und kreuz und quer herumschiebende Besucher. Wir benötigten insgesamt vierzig Minuten, um in die Glashalle zu gelangen. Doppelt solange wie letztes Jahr!
Aber dann endlich war es geschafft, und die legendäre Messetreppe kam in Sicht.
Noch ein Blick zurück auf die Bühne von ARD, ZDF und 3sat. Bühne? Ach herrje! Siedendheiß fiel uns eingedenk des längst implodierten heutigen Zeitplans ein, dass wir um diese Zeit eigentlich …
… einem Interview von Thea Dorn mit dem norwegischen Autor Karl Ove Knausgård über seinen Roman „Die Schule der Nacht“. Ein faszinierendes Buch und ein ebensolcher Autor. Wir atmen tief durch und sind nun endlich auch mental auf der Leipziger Buchmesse angekommen. Über Knausgård wird noch mehr zu sagen sein, wenn wir morgen den Stand des Gastlands Norwegen besuchen. Deshalb an dieser Stelle nur der Tipp: Autor und Werk unbedingt im Auge behalten!
An dem unvermeidlichen Ober-Mainzelmännchen Ded vorbei ziehen wir weiter. Tiefer in die Messehallen jenseits der zentralen Glashalle.
Ei weiterer wichtiger Anlaufpunkt des heutigen Tages ist das Forum Literatur in Halle 2. Hier werden die Nominierten für den prestigeträchtigen Preis der Leipziger Literaturmesse vorgestellt. In diesem Fall die fünf Kandidaten der Abteilung Belletristik. Darunter der wie immer wunderbar schalkhafte und selbstironische Wolf Haas, der seinen „Wackelkontakt“ präsentiert. Und ja, das ist durchaus doppeldeutig gesagt und gemeint. Unser heimlicher Favorit. Auch wenn die spätere Preisverkündung … nun ja, wir wollen nicht spoilern. Ärgerlich war vielmehr, wie wenig Fläche die Messeverantwortlichen für diese Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatten, immerhin ein Aushängeschild der LBM.
Also warteten wir garnicht erst ab, wer sich nach Wolf Haas noch zu Wort melden würde und besuchen zwei unserer Lieblingsverlage im Doppelpack. Denn der mare Verlag und der Verlag Klaus Wagenbach fanden sich Seite an Seite platziert. Sehr praktisch!
So bot sich eine schöne Gelegenheit, die Neuheiten im mare-Programm anzuschauen und einen Schritt weiter die legedären Salto-Bände von Wagenbach in Augenschein zu nehmen.
Einer der größeren Stände auf dieser Messe ist der des Recherchenetzwerks Correctiv. Ja, wir selbst sind Fans und Unterstützer. Insofern war uns manches bereits bekannt, was der Stand zu bieten hatte (dazu vielleicht morgen mehr, wenn’s um Lesetipps geht).
Was uns aber doch überraschte, war die Wiederkehr eines alten Bekannten: Ex-Spiegel-Mann Cordt Schnibben is back! Mit einem vom Correctiv Verlag verlegten Roman mit dem lapidaren Titel „Lila Eule“. Der etwas psychedelische Look des Cover-Designs täuscht nicht. Es handelt sich nämlich um einen OstWest-LSD-Beatclub-Roman. Und jetzt frage keiner nach dem Genre. Liebesgeschichte, Agententhriller und ein Aufstand des westdeutschen Spießbürgertums in wilder und gelungener Mischung. Und ja, da können wir nicht anders. Das ist unser erster Lesetipp auf dieser Messe!
Inspiriert ziehen wir weiter und landen mitten im Forum Mensch und KI. Hier treffen wir auf ein illustres Trio auf der Bühne: Anke Domscheit-Berg, die aus dem Bundestag ausgeschiedene Linke und vermutlich die einzige Mandatsträgerin im abgewickelten 20. Bundestag, die tatsächlich intensive Ahnung von der Materie Digitalisierung und KI hatte. Außen Prof. Dr. Christian Pentzold von der Uni Lipzig, ein ausgewiesener Experte in Sachen Medien- und Kommunikationstechnologie. Und in der Mitte Svea Eckert vom Chaos Computer Club als Moderatorin. Was sich entspann, war eine ebenso fundierte wie angsteinflößende Diskussion darüber, wer vom Aufkommen der KI profitiert und welche sozialen, ökonomischen und machttechnischen Folgen dies haben wird.
Mit einem KI-Tunnellick fliehen wir in einen ebensolchen, um einen weiteren, kleinen und unabhängigen Verlag aufzusuchen, den wir schon länger auf unserer Beobachtungsliste haben.
8280-edition.ch – ein Verlag mit einem eher sperrigen Namen. Angesiedelt am Bodensee, in Kreuzlingen, auf der schweizerischen Seite der Bodenseeregion. Geleitet von Stephan Militz. Aus dem kleinen, feinen Programm des überaus rührigen Verlags stechen einige Werke hervor.
Beispielsweise die Crawford Chroniken meiner geschätzten Kollegin Cor Nightingale, der Debüt „Die Krähen von Greengate“ soeben für den Seraph nominiert worden ist, einer der wichtigsten Literaturpreise für phantastische Literatur! Dazu morgen mehr.
Nach einem längeren Plausch mit dem Verleger ziehen wir weiter und wieder zurück zur Bühne von ARD, ZDF und 3sat. Denn es wird Zeit für Buchzeit: Gert Scobel diskutiert mit den Literaturexpertinnen Barbara Vinken, Sandra Kegel und Katrin Schumacher ausgewählte Neuerscheinungen des Bücherfrühlings. Und zwar: Vigdis Hjorth: „Wiederholung“, Anne Enright: „Vogelkind“; beides fulminante Lesetipps! Sowie Emmanuel Carrère: „Ich lebe und ihr seid tot – Die Parallelwelten des Philip K. Dick“ (Scobels persönlicher und sehr ambivalener Vorschlag) und den Debütroman von Yukiko Tominaga: „Vermissen auf Japanisch“.
Und dann ist es endlich soweit: Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse steht an. Stattfinden wird er im neuen, begrünten Atrium im Erdgeschoss unter der Glaskuppel. Vergeben wirdern die Preise in dern Kategorien Übersetzung, Belletristik und Sachbuch.
60.000 Euro warten auf die Gewinner, zu vergeben von einer siebenköpfigen Jury. And the winner is:
In der Kategorie beste Übersetzung: Aus dem Belarussischen von Thomas Weiler; Ales Adamowitsch, Janka Bryl, Uladsimir Kalesnik: „Feuerdörfer. Wehrmachtsverbrechen in Belarus – Zeitzeugen berichten“ (Aufbau)
In der Kategorie Belletristik: Kristine Bilkau: „Halbinsel“ (Luchterhand)
In der Kategorie Sachbuch: Irina Rastorgueva: „Pop-up-Propaganda. Epikrise der russischen Selbstvergiftung“ (Matthes & Seitz Berlin)
Wer sich die Begründungen der Jury genauer durchlesen möchte, kann das hier tun.
Für uns endet dieser erste Messetag mit einer gewissen Erschöpfung, dem abschließenden Besuch einer spannenden Viererlesung, über die wir separat berichten werden und der Erkenntnis: Mein Gott, das war erst der erste Messetag! In diesem Sinne: CU again tomorrow!
Tags: LBM 2025, Leipziger Buchmesse 2025, Preis der Leipziger Buchmesse
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