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Schokolade

Jahrmarkt der Bücher und der Eitelkeiten – ein Spaziergang über die Frankfurter Buchmesse (1)

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien | 18. Oktober 2008 | 14:02:29 | Roland Müller

„Es muss nicht immer Mac sein!“, dachten wir uns und machten uns nach einer guten, heißen Tasse Kaffee auf nach Mainhattan, wo vom 15. bis 19. Oktober 2008 die 60. Frankfurter Buchmesse für das gewohnte Chaos aus Leselust, Verkehrsstau, Prominentenzirkus und Medienrummel sorgt. Speziell heute und morgen, an den beiden Besuchstagen fürs „normale“ Publikum. Unser Rundgang, der am Mittwoch und am gestrigen Freitag stattfand, soll all jenen unserer Leser, die entweder selbst nicht nach Frankfurt reisen können oder aber sich spontan entscheiden, doch noch das Bad in der Menge der Leseratten zu suchen, einen Eindruck  vermitteln. Ganz subjektiv, mit Blick auf die Skurrilitäten am Rande und gewürzt mit ein paar handfesten Café Digital Lesetipps. Machen wir uns also auf den Weg mitten hinein in den Rummel um 400.000 Neuerscheinungen auf der größten Buchmesse der Welt…

Bereits vorm Haupteingang zur Messe ist Gelegenheit zum Wühlen in Bücherkisten: Hier haben Antiquariate und private Bücherverkäufer ihre Zelte aufgeschlagen – buchstäblich. Wir lassen sie erst einmal links liegen und machen uns ganz gezielt auf den langen Weg zur Halle 3, unserem Tagesziel…

Wer noch nicht hier gewesen ist, macht sich keine Vorstellung von der gigantischen Größe der Frankfurter Messehallen. Insbesondere die modernisierte Halle 3 ist mit ihren drei Geschossen und dem großen Dach-Oval auch architektonisch recht gelungen. Voller Bücher, versteht sich. Vor allem aber voller Menschen!

Wir werfen uns also ins Getümmel und fahren mit den Rolltreppen aus der Eingangsebene 3.1 hinunter zum Parterre 3.0, wo wir dann die Halle betreten.

Alles wie erwartet. Obwohl heute (diese Fotos entstehen, wie gesagt, am Mittwoch und Freitag, während der Fachbesuchertage also), bereits viel Betrieb auf den Gängen herrscht, wird sich dies am Wochenende noch einmal dramatisch steigern. Bereits jetzt ist aber klar: Es werden wieder neue Besucherrekorde zu vermelden sein. Die aktuellen Zahlen lassen ein Plus von rund 3% zum Vorjahr erwarten.

Gleich eingangs von Halle 3.0 fällt uns zwischen den gigantischen Ständen von Gräfe & Unser, dem Bertelsmann Buchclub und Piper ein winziger Alkoven in den Standfronten auf. Hier hat sich – auch das ein typischer Bestandteil der Messe – ein junger, enthusiastischer Nachwuchsautor mit seinen ersten Werken „eingenistet“. Felix Busse ist hauptberuflich Steward bei einer Airline und verarbeitet nebenberuflich seine Reise-, Kultur-, Kunst- und Kulinarikerfahrungen im eigenen „Vielflieger-Verlag“ zu Büchern. Und ganz nebenbei promotet er hierzulande noch das Werk des kubanischen Malers Victor Moreno. Es sind in der Tat diese „Paradiesvögel“, die der Buchmesse ihren immer noch vorhandenen Charme geben.

Ein paar Meter weiter stolpern wir bei Hanser über einnen Stapel „Supraplanung“ von Prof. Harro von Senger. Das unserer Meinung nach wichtigste und hellsichtigste Buch, das in den letzten 30 Jahren über China erschienen ist. Und das wir ja im Café bereits rezensiert haben. 2009, wenn die VR China Ehrengast der Buchmesse ist, wird dieses Buch hoffentlich bei Hanser eine etwas prominentere Präsentation am Stand erleben als im Stapel zwischen allerlei herkömmlicher Wirtschaftsliteratur.

Tja, und während wir so durch die Gänge bummeln, nur unterbrochen von dem einen oder anderen Rempler so geschäftig wie blind umherschießender Verlagsmitarbeiter, Agenten und Einkäufer,wird uns klar: Die Buchmesse ist vor allem auch ein Vermarktungsspektakel der mehr oder weniger Prominenten, die mit oder ohne Ghostwriter hier ihr publizistisches Schaffen präsentieren. Mittendrin, fast erwartet, Franz Müntefering, der SPD-Mann für gewisse Zeiten und – natürlich – Autor. Bloggerbeschossen, versteht sich. Was seit den Kohlschen Ergüssen niemanden verwundern muss, der den latenten Mitteilungsdruck kennt, der in PoBerl (das vielzitierte „Politische Berlin“), der auf vielerlei Blasen lastet. Egal. Wir ziehen weiter…

…Und landen vor einem Display mit Frank Koschembars lesenswertem „Grafik für Nichtgrafiker“. Eine Pflichtlektüre für alle Einzel- und Zweifelkämpfer, die selbst gestalten ohne wirklich zu wissen, was sie da tun und warum sie es so und nicht anders tun. Anders gesagt: ein Café Digital Lesetipp! Denn der Autor weiß von seinem Talent Gebrauch zu machen, ohne erhobenen Zeigefinger und in verständlicher Sprache die wichtigsten Spielregeln einer gelungenen grafischen Gestaltung zu vermitteln. Für Web und Print. Vielleicht ein Beitrag zu ein wenig weniger visueller Umweltverschmutzung.

Zwei Quergänge weiter streift uns der Hauch der bibliophilen Zukunft. Der Münchner Verlag ars edition demonstriert hier mit einem dem Thema UFOs gewidmeten großformatigen Kinderbuch eine ziemlich abgedrehte aber gleichwohl neue Idee fürs Kinderzimmer, in dem schon alles herumliegt, was lifestylige Eltern ihren Sprösslingen so zukommen lassen. Tagesschaupräsentiert und durchaus eindrucksvoll produziert das besagte Großformat, über einen Kamerascanner im heimischen Breitwand-TV erfasst und auf den Bildschirm appliziert, Bewegtbilder, die idealerweise spektakuläre Zusatzinformationen zum Geschriebenen liefern. Oder auch einfach nur einen netten Showeffekt für Wenigleser. Ob das die Kids zum häufigeren Griff nach Büchern verleiten mag? Keine Ahnung. Aber immerhin ist ein solches Hybridbuch eine neue Idee.

Und wie wir dann so weiterschlendern, versperrt uns einerseits ein Kamerateam den Weg. Und andererseits eine Horde glattrasierter, spiralverkabelter und reichlich muskulöser Herren. Nanu? Hoher Besuch? Wir sehen, wen die Bodyguards im Schlepptau haben und murmeln ein gleichwohl vernehmliches „Nein, den fiotografieren wir nicht!“. Was einige Buchmessebesucher rundherum zu spontaner Zustimmung veranlasst: „Kann ich gut verstehen!“ und „Muss wirklich nicht sein…“. Wir lassen Landesvater Koch also vorbeiziehen und konzentrieren uns auf Wichtigeres.

Titten zum Beispiel! (Entschuldigung für die garstige Wortwahl). Denn zwischen all dem gutbildungsbürgerlichen und Belletristischen findet sich auch ein Stand mit Offensichtlicherem. Herrlich anzuschauen, mit welch unbewegtem Blick die einen daran vorbeiziehen und die anderen dann doch einen Blick riskieren. Ja, die Buchmesse hat auch ihre verdeckten Reize.

Zu den offensichtlicheren Reizen hingegen gehört der Langenscheidtmann, der als überlebensgroßer Diktionär verkleidet kleine Tütchen mit Gummibärchen unters bildungshungrige Volk bringt. Warum er allerdings junge, attraktive Damen bevorzugt statt unsereiner… nun ja, auch Wörterbücher sind wohl nur Menschen.

Am Kopfende von Halle 3.0 stoppen wir kurz, um in eines der zahlreichen Interviews hineinzuhören, die von vielen Verlagen – in diesem Fall dem SPD-eigenen Vorwärts Verlag – mit prominenten Politikern und/oder Autoren (vor)geführt wurden. Immerhin war das Thema in diesem Fall so interessant wie die Interviewte: die Kölner SPD Bundestagsabgeordnete Lale Akgün äußerte sich zum Stand der Integration und zum diesbezüglichen Status der Türkei und knüpfte hierbei nahtlos an ihre früheren und durchaus interessanten Ausführungen zur wohl niemals endenden Migrationsdebatte an.

Bevor es dann doch zu parteipolitisch wurde, haben wir das Thema und den Gang gewechselt. Was uns zu einem weniger offensichtlichen Trend der diesjährigenBuchmesse führte. Weitgehend von den Medien unbemerkt, die sich auf die (faktisch kaum zu findenden, dazu aber morgen mehr!) eBooks konzentrierten: der Transfer von Büchern auf Mobiltelefone! Klingt absurd? Nun, wer weiß… Vielleicht sind ja Mobilebooks gar kein so dummer Gedanke. Denn im Gegensatz zum eBook brauche sie keine zusätzliche und teure Hardware, sondern bedienen sich jener, die eh jeder in der Tasche trägt. Nur die Kleinheit des Displays könnte ein problem sein. Obwohl ja hier das iPhone bereits Wege aufzeigt, die physikalischen Grenzen zu durchbrechen…

Doch kommen wir wieder zuruuck zum kern des literarischen Schaffens, den Autoren. Wir geben ja gerne zu, dass wir eine Schwäche für Käuze haben. Autoren also, die alles sind, nur nicht Mainstream. Wenn sie dann auch noch genau so aussehen, um so besser. Ein perfekter Vertreter dieser Spezies ist Ulrich Holbein. Verlegt im Schweizer Ammann Verlag singt der skurrile Literat mit dem Faible fürs Exzentrischedas Hohelied der Narren in seinem neuesten Machwerk „Narratorium“. Was uns dann auch einen weiteren Café Digital Lesetipp wert ist! Wie eigentlich sein gesamtes Werk. Nur… Vorlesen, das kann er wahrlich nicht.

Nachdem nun schon mal die Türkei diesjähriger Ehrengast der Buchmesse ist, kann es natürlich nicht ausbleiben, dass wirgleich noch einen weiteren Café Digital Lesetipp nachschicken. Und zwar Osman Engins neues Werk „Lieber Onkel Ömer – Briefe aus Alamanya“, bei dtv erschienen. Wie auch bereits „Tote essen keine Döner“, das uns fast noch besser gefällt. Der seit 30 Jahren in Deutschland lebende und schreibende Satiriker ist eine der kurzweiligsten Entdeckungen an der brodelnden Schnittstelle zwischen tuurkischer und deutscher Kultur und ein Angriff auf die Lachmuskulatur. Auch wenn einem hier und da das Lachen im Halse stecken bleiben mag. Aber genau das zeichnet ja erstklassige Satire aus.

Soviel Satire braucht natürlich ein bildungsbürgerliches Gegengewicht. Eines, das beim Mitreden um Dinge hilft, von denen wir keine Ahnung haben. Café Digital empfiehlt hierfür: „Wissen to go“, erschienen bei Piper und unumgängliche Bibel aller, die nicht aus dem Handgelenk Heisenbergs Unschärferelation erklären können. Ein echter Partyknaller. Oder eine gute Chance, sich bei jeder Party komplett unbeliebt zu machen, ganz wie man’s sehen und benutzen mag…

Sagt jemandem der Name Joachim Kaiser etwas? Nein? Sollte aber. Denn immerhin ist er (links im Bild) ein Urgestein der deutschen Theater-, Literatur- und Musikkritik. Mindestens so bedeutend wie RR. Nur leiser. Ex-Mitglied der legendären „Gruppe 47“ und aktuell Professor für Musik und Darstellende Künste an der Universität Stuttgart. Wenn so einer bei Ullstein nach sechs Jahrzehnten Kritikerdasein „auspackt“, dann ist das lesenswert: „Ich bin der letzte Mohikaner“. Ein weiterer Café Digital Lesetipp, diesmal in Sachen Hochkultur.

Und wie wir so weiter lustwandeln, noch ganz trunken von so viel hehrer Kultur, wen sehen wir da in einer Ecke, ins gespräch vertieft und unter seinem eigenen Plakat: Volker! Jaja, die Buchmesse. An jeder Ecke lauern sie, die Prominenten. Und wir werden so langsam ein wenig fuß- und messemüde.

Vielleicht täte jetzt ein richtiger Reißer gut? Einer, der durch Mark und Bein geht, mit scharfer feder geschrieben und gespickt mit verqueren, verkorksten Charakteren, die man trotzdem oder gerade deswegen einfach liebhaben muss? Der Café Digital Lesetipp: Der neue Erzählungenband „Zähne und Klauen“ von Meister T. C. Boyle, gerne auch als Hörbuch, gedruckt erschienen bei Hanser.

Vom Gedanken an Zähne und Klauen erfrischt, wundern wir uns kaum noch über die Rucksacktouristen der Buchmesse…

…legen eine kurze Rast ein im großzügigen Forum der Frankfurter Allgemeinen und schenken im Vorübergehen allenfalls noch der Handarbeit einen Blick,…

die eine freundliche Asiatin an den gepeinigten Rücken der Messebesucher verrichtet.

Wir lassen uns hinreißen, einen passenden Kalender fürs Redaktionsbüro des digitalen Cafés zu erstehen und sagen uns, geschafft von einem langen Tag, dass auch morgen noch einer ist.

Sprich: Teil 2 unseres Besuchs auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, folgt morgen! Insofern: Stay tuned!

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Eine Antwort zu “Jahrmarkt der Bücher und der Eitelkeiten – ein Spaziergang über die Frankfurter Buchmesse (1)”

  1. 25. März 2010 um 13:09:23 | Annelotte Unsöld sagt:

    Klingt doll! Aber in Leipzig war, wie ich hörte, auch bös was los. Da war ich, als die Grenzen relativ frisch offen waren – war schon irre! In Lpz. gab es ja viel Musikliteratur. Habe ich im TV gesehen.LG von Quietschholz