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Schokolade

Jahrmarkt der Bücher und der Eitelkeiten – ein Spaziergang über die Frankfurter Buchmesse (2)

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien | 19. Oktober 2008 | 17:04:47 | Roland Müller

Unser Aufmacher deutet es bereits an: Am heutigen letzten Tag der 60. Frankfurter Buchmesse wollen wir ein wenig nach der Inspiration suchen, nach dem großen Leitthema der Messe. Was also, abgesehen vom viel diskutierten und überfälligen Ehrengast Türkei, hat uns inspiriert? Nun, da war doch diesen von praktisch allen Medien hochgespielte und -gespülte Thema eBook, oder? Diese neuen, handlichen Buchlesemaschinchen, mit denen Teile des Buchhandels einerseits Angst, andererseits Hoffnungen verknüpfen. Gut, dachten wir uns, dann machen wir uns doch mal auf die Suche…

Leichter gesagt als getan. Bis wir schließlich irgendwo ganz hinten in Halle 4.0 einen Messestand fanden, an dem zumindest einige der aktuellen eBook-Lesegeräte verfügbar waren, mussten wir eine geschlagene halbe Stunde umherirren. Nicht unbedingt ein Hinweis darauf, dass der Medienhype der vergangenen Tage wirklich seine Berechtigung gehabt hätte. Unauffindbar waren zudem die beiden derzeitigen Reader-Flaggschiffe, das für Deutschland vollmundig angekündigte Sony PRS-505 und das von Amazon in den USA bereits über 200.000mal verkaufte Kindle. Ein Hype sieht anders aus! Wir beschränkten uns also darauf, das Vorgefundene ein wenig näher in Augenschein zu nehmen…

Wir beginnen mit dem französischen Bookeen Cybook Gen3 für recht happige 350 Euro. Es unterstützt das Mobipocket-Format sowie PalmDoc, HTML, TXT, PDF, JPG, GIF, PNG sowie MP3, verfügt über 64 MB RAM und einen Slot für SD-Karten und verblüfft mit einem wirklich guten, mattierten, gestochen scharfen Bildschirm von nahezu papierweißer Farbe. Etwa taschenbuch groß, weniger als 1 Zentimeter dünn und keine 180 Gramm schwer. So weit, so gut. Bedienung über den flachen Rahmen seitlich seitlich eingepasste winzige Drucktasten (4 Funktionstasten links und 2 rechts, letztere zur Lautstärkesteuerung des Kopfhörerausgangs), dazu auf der Front unten rechts ein runder Navigationsblock. Die Tasten, um es klar zu sagen, sind eine Katastrophe. Extrem schwergängig und ohne definierten Druckpunkt. Erfahrungsgemäß sind es gerade solche ergonomischen Kleinigkeiten, die sich im Alltagsbetrieb zum Ärgernis auswachsen.Insofern können wir den positiven Test hier nicht in allen Punkten nachvollziehen und wenden uns dem nächsten Kandidaten zu.

Das iRex iLiad ist groß! Was bei einem eBook-Reader eigentlich ein Vorteil ist. Großer Bildschirm = buchgerechte Seitenabbildung. Das iRex Liad ist bereits seit 2006 auf dem Markt und aktuell in zweiter Generation verfügbar.  Was man einigen Details und nicht zuletzt dem etwas billigen Kunststoffchassis auch anmerkt. Im Großen und Ganzen können wir Joachim Uhls Eindrücke bestätigen: Praktisch für jene, die viel mit Texten im Studium arbeiten oder ergänzend zum Laptop solche mit sich führen müssen. Als „literarischer Reader“ für unterwegs ist das Teil mit knapp 500 Euro (mit WiFi nochmals 100 Euro mehr) eigentlich zu teuer, auch wenn darin bereits 50 eBooks inbegriffen sind). Und bei weitem nicht so intuitiv zu bedienen wie wir gehofft hatten. Die Software neigt zur Bockigkeit. Manche Eingabeversuche wurden ignoriert, weil wir mit dem Touchscreen nicht wirklich klarkamen.  Und wir brauchten eine Weile, bis wir kapiert hatten, dass die lange, vertikale Leiste links durch Daumenschub nach links zum Blättern dient. Dieses YouTube-Video illustriert die Bedienung genauer.

Polymer Vision verkauft seinen Readius als „The first pocket eReader“. Und dem kann kaum widersprochen werden. Denn was am Polymer Vision Readius auf den ersten Blick fasziniert, ist das ausrollbare OLED Graustufen-Display. 12,5 cm Bildschirmdiagonale, guter Kontrast auch ohne Hintergrundbeleuchtung und mit entsprechend geringem Stromverbrauch. Auch wenn nur 16 Graustufen dargestellt werden, sollte dies zum Bücherlesen eigentlich völlig ausreichend sein. Wobei der eReader der Philips-Tochter eigentlich ein UMTS-Handy ist. Inklusive Webbrowser, E-Mail-Client und RSS-Feed-Reader, HSDPA, USB 2.0, Bluetooth 2.0 und einem Slot für MicroSDHC-Karten. 30 Stunden Akkulaufzeit sind durchaus ein Wort.


Ein bisserl Star Trek ist das ja schon. Aber: Ein offizieller Verkaufspreis ist bisher nicht zu erfahren. 320 x 240 Pixel Auflösung ist nach heutigen Kriterien auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Und die mehrfachen Verzögerungen bei der Markteinführung lassen Befürchtungen aufkommen, ob das oder der Readius tatsächlich marktreif ist. Zudem macht uns die Tatsache, dass unter der Oberfläche ausgerechnet Microsoft Windows CE läuft, auch nicht unbedingt glücklicher. Insofern könnte man unsere Buchmesseerfahrungen in Sachen eBook-Reader zusammenfassen: Abwarten und Kaffee trinken. Und dabei ganz analog ein gutes Buch lesen!

Dass wir dann im Anschluss an unsere ernüchternden Erfahrungen mit eBook-Readern doch einen Yogi-Tee geschlürft haben, liegt schlicht daran, dass auf der Buchmesse kein Kaffee zu bekommen war, der unseren Ansprüchen genügt hätte…

Dafür haben wir um so mehr die Tatsache goutiert, dass die 60. Frankfurter Buchmesse komplett rauchfrei war – außer vor den schweren Glastüren der Messehallen! Denn draußen fanden dann wie gewohnt die Gruppen der Nikotinabhängigen zueinander, um beim gemeinsamen Drogenkonsum das Gesehene Revue passieren zu lassen.

Wir lustwandelten derweil über den riesigen Stand des S. Fischer Verlags und stießen dabei einmal mehr auf einen Prominenten. Diesmal war’s Roger Willemsen, der Essayist, Moderator, Herausgeber, Autor, Hansdampf in fast allen intellektuellen Gassen und Meister des Diffusen, dem man allerdings weder einen gewissen Charme, noch eine sensible Antenne fürs Zeitgeistige absprechen kann. Was aufs Allerschönste sein neues Werk „Der Knacks“ illustriert, bei S. Fischer erschienen, in dem Willemsen dieser unserer deutschen Gesellschaft, die das Scheitern so überaus selbstverliebt zelebriert, die perfekt passende Philosophie von der (O-Ton Südddeutsche Zeitung) „ohnmächtigen Isolation des Einzelnen“ präsentiert. Geschieht uns recht! Und ja, das ist wieder ein Café Digital Lesetipp!

Ernüchtert wenden wir uns nun der Halle 4.1 zu und um dies gleich vorwegzunehmen: Wer wenig Zeit hat, sollte ausschließlich diese Halle besuchen. Denn hier sind die interessantesten der kleineren und in der Regel hoch ambitionierten Verlage zu finden. Und allerlei mehr. Allen voran unser Lieblingsverlag Klaus Wagenbach, der pünktlich zur Buchmesse mit Alan Bennetts „Die souveräne Leserin“ einen Volltreffer (Platz 3) in der Bestsellerliste des Spiegel gelandet hat. Ein in jeder Beziehung geniales Büchlein von höchst skurrilem britischem Humor, das den hierzulande wenig bekannten britischen Dramatiker und Theaterregisseur Alan Bennet als rasiermesserscharfen Beobachter und zugleich Meister der Alltagssatire zeigt. Auf die Idee, die fatalen Folgen einer Queen zu beschreiben, die die Lust am Lesen entdeckt, muss man aber auch erst mal kommen… Erschienen in der bibliophil ausgestatteten Salto-Reihe bei Wagenbach und ein glasklarer Café Digital Lesetipp!

Ein paar Stände weiter stoßen wir in einem kleinen Alkoven auf ein Zeitungsprojekt, zu dessen Mut man den Machern nur gratulieren kann. Volltext. In Zeiten des Tageszeitungssterbens ausgerechnet eine „Zeitung für Literatur“ zu starten (Anfang 2007, um genau zu sein), dazu gehört neben unternehmerischem Mut schon ein gewisses Maß an ideellem Wahnsinn. Chapeau! Wir packen uns ein Gratisexemplar der aktuellen Ausgabe ein und sind uns unserer Wochenendlektüre damit gewiss.

Nach einem Abstecher zurück in Halle 3.1, wo wir dann aber doch esoterische Lesungen tibetischer Mönche ebenso links liegen lassen wie die Druckwerke allzu christümelnder Verlage…

…und uns ein paar Gänge weiter nur kurz über die massive Präsenz russischer Geografieverlage wie hier der „Federal Agency of Geodesy and Cartography“ wundern…

…kehren wir wieder reumütig zurück in unsere bevorzugte Halle 4.1 und geraten mitten in einen Sektempfang. Einmal mehr zeigt es sich, dass nichts so sehr Publikum anzieht wie der kostenlose Ausschank alkoholischer Getränke. Wir lassen uns jedoch nicht beirren und setzen unseren Weg fort zu einem weiteren Highlight dieser Halle…

Nach ihrem Auftritt auf der drupa gastiert die 54. TDC – die TDC-Show des renommierten Type Directors Clubs of New York – auch auf der Frankfurter Buchmesse. Was uns eine willkommene Gelegenheit bietet, uns einen Überblick darüber zu verschaffen, was die Kommunikationsbranche derzeit für die besten Arbeiten und die maßgeblichen Trends in der Typografie hält.

Eigentlich könnte und sollte man für eine intensive Begehung dieser Ausstellung abseits des Messetrubels ausreichend Zeit mitbringen und nicht wie wir eim Schnellgang an den verschachtelten Stellwänden vorbeihasten. Nichtdestotrotz: Es fällt auf, das in der Typografie derzeit eine Menge Retroeffekte erkennbar sind, von der Rückkehr des Scribbles bis zu Schreibmaschinentypo und binärer Grafik. Eine Gegenbewegung zur schieren Perfektion des Digitalen? Hoch ästhetisch, spannend, aber vermutlich auch bald wieder überholt. Trotzdem oder gerade deswegen besuchenswert!

Gleich daneben finden wir das offene TV-Studio von 3sat Buchzeit. Da hier im Moment nichts weiter los ist, ziehen wir weiter zu einem weiteren unserer Lieblingsverlage…

Bevor wie diesen aber erreichen, passieren wir allerdings noch große Handwerkskunst. Etwas, was in Zeiten der Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche keinesfalls in Vergessenheit geraten darf. Zum Beispiel der Stand des Kalligraphen Michael Niemann.

Unmittelbar daneben reihen sich einige Stände aneinander, die hochwertige Faksimileausgaben wertvoller historischer Bücher ausstellen. Große Buchkunst im gerade noch bezahlbaren Bereich. Aber bei aller Schönheit der Ausführung wohl doch eher etwas für die Vitrine als fürs Schmökern.

Länger verweilen wir hingegen am „Platz der Buchkunst“. Hier wird sehr ausführlich, didaktisch gut und durchaus spannend das frühere Inventar und die Kunst der Papier- und Buchmacherei beschrieben und betrieben. Was in Zeiten des Online-Publishing, der Weblogs und eBooks durchaus Nachdenklichkeit bei uns hervorruft. Ist das Virtuelle per se vergänglicher? Oder gilt doch irgendwo der Satz „Das Internet vergisst nichts“? Oder vergleichen wir hier nur Äpfel mit Birnen? Zweifelnd ziehen wir weiter…

Und erreichen den Stand des Verlags Hermann Schmidt Mainz. Endlich. Denn hier finden sich unter vielen interessanten Publikationen zwei, denen wir nicht widerstehen können. Auch und gerade, weil beide gegensätzlicher nicht sein könnten.

Da ist zum einen – provokant vom Thema her, gewiss! – das Grafikdesignbuch „NSCI“ von Alexander Koop, in dem sich der Autor in aller Ausführlichkeit und Tiefenschärfe, aber auch mit angemessener Nüchternheit mit der Corporate Identity und dem Corporate Design der Nationalsozialisten auseinandersetzt. Ein auf ganz eigentümliche Art erschreckendes und zugleich faszinierendes Buch. Und damit ein sehr spezieller Café Digital Lesetipp!

Drei Regalfächer weiter rechts werden wir bei Schmidt erneut fündig: „Ost trifft West“ der jungen, seit 1990 in Deutschland lebenden und arbeitenden Chinesin Yang Liu ist eigentlich ein Bilderbuch. Aber ein ganz besonderes. Denn die junge Designerin macht auf so einfache wie verblüffende Art die kleinen Unterschiede zwischen Deutschen und Chinesen sichtbar. Mit den Mitteln des Designs. Ihre side-by-side angeordneten Piktogramme stellen schnell und präzise die unterschiedlichen Denkmuster und Umgangsformen dar, die ihre und unsere Landsleute so grundverschieden machen. All das mit einer sehr subtilen Ironie und fast ganz ohne Worte. Es kann nicht ausbleiben, dass auch dieses Buch ein Café Digital Lesetipp ist.

Und bevor nun nach diesem doch recht langen Buchmesse-Spaziergang irgendeiner der geneigten Leser der Meinung ist, das alles habe mit unserem sonstigen Lieblingsthema Apple doch wohl weniger zu tun, treten wir gerne noch den Beweis an, dass dem nicht so ist. Denn selten haben wir an so vielen Messeständen MacBook und MacBook Pro Laptops entdeckt wie bei der 60. Frankfurter Buchmesse.

Vielleicht ist auch das ein Hinweis darauf, dass Apple auf bestem Wege ist, Mainstream zu werden. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das bringen mag.

So bleibt uns abschließend nur noch der dezente Hinweis darauf, von wo die nächste, dann noch viel ausführlichere Messeberichterstattung des Café Digital „gesendet“ werden wird…

Während draußen über den immer noch gut gefüllten Messehallen zu Frankfurt der Schein der Abendsonne einen anstrengenden und sich dem Ende zuneigenden Messetag in kupferfarbenes Licht taucht, machen wir uns auf den Nachhauseweg – den Kopf voller Bücher.

Wir hoffen, Euch einen zwar sehr selektiven und subjektiven, aber trotzdem informationsreichen Blick auf die diesjährige Frankfurter Buchmesse gegeben zu haben, wünschen Euch viel Spaß bei der empfohlenen Lektüre und bereiten uns nun so langsam darauf vor, im frühen Januar 2009 Euer Auge und Ohr auf der Macworld Conference & Expo in San Francisco zu sein. CU there!

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