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Flug LH 8802 – eine Zeitreise

Veröffentlicht in Kultur, Technologie | 20. Mai 2008 | 20:56:31 | Roland Müller

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Ich gebe es gerne zu: In ein, zwei Dingen sind wir hier im Café ganz schrecklich nostalgisch. Das mag einerseits ein gewisses Gegengewicht sein zur durch immer wieder neue Technologieschübe befeuerten Beschleunigung unseres Alltagslebens. Andererseits ist gerade der wache, vergleichende Blick zurück auf das, was vielleicht vor Jahrzehnten State-of-the-art war, mitunter recht erhellend. Wie sagte doch neulich jemand: Der Stress von heute ist die gute alte Zeit von morgen. In diesem Sinne soll dieser Artikel einer Erfahrung geschuldet sein, die erst wenige Tage jung und zugleich über 70 Jahre alt ist – einem Flug mit der perfekt restaurierten Junkers Ju 52-3m der Deutschen Lufthansa Berlin-Stiftung vom Flughafen Frankfurt quer über Hochtaunus und das Rhein-Main-Becken zurück zum Flughafen Frankfurt.

Fliegen. Wer macht sich heute, im Zeitalter des Linien- und Charterflug-Massenbetriebs, noch Gedanken über das, was einmal der uralte Menschheitstraum vom Fliegen war? Ein Traum, wie ihn Antoine de Saint-Exupéry geträumt haben mag. Nein, heutzutage bucht man spontan und online irgendeinen Schnäppchen-Billigflug, schert sich den Teufel um die Emissionen und träumt sich allenfalls an Flugziel, unter Palmen, umschwärmt von drallen Schönheiten, in der Hand einen Blue Lagoon oder einen Tequila Sunrise, im Hintergrund der Klang einer Steelband. Pah, Äußerlichkeiten für fliegerische Weicheier! Wir schnallen uns die Lederkappe auf den Kopf, legen die Fliegerbrille an, knöpfen die Bomberjacke zu und machen uns auf zum Flughafen Frankfurt am Main, um am Gate A8 in den Lufthansa-Flug LH 8802 einzuchecken.

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Nach einer kurzen Rundfahrt mit dem Shuttle-Bus kreuz und quer über den Flughafen biegen wir schließlich auf das abgesperrte Gelände der Lufthansa Technik ein. Der Bus stoppt, Hydraulik schnaufend. Und unser Blick fällt durchs Fenster nach draußen. Ja, das steht sie, die Tante Ju. Und wie winzig sie wirkt im Vergleich zu heutigen Linienjets…

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Wir steigen aus dem Bus aus und umrunden staunend den dreimotorigen Vorläufer heutiger Linienmaschinen. Die Lufthansa hat, einer alten Tradition folgend und wohl als Reminiszenz an das frühere Hauptquartier der Gesellschaft, der Maschine den Namen „Berlin Tempelhof gegeben.

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Die an Wellblech erinnernde Beplankung der alten Dame lässt einen schon ins Grübeln kommen. Sowas kann wirklich fliegen. „Jawohl“, bestätigt uns der Flugkapitän, „wenn auch nicht besonders schnell“. Wir erfahren, dass die drei neunzylindrigen Sternmotoren je 410 kW entwickeln und eine Reisegeschwindigkeit von gut 180 km/h ermöglichen. Das prügelt mancher Pendler auf der A66 aus seinem Golf. Ungetuned.

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Trotzdem macht so ein Sternmotor mit seinen fetten Zylindern einiges mehr her als selbst der attraktivste Volkswagenantrieb. Die Pratt & Whitney Hornet Kolbenmotoren der ehedem als „Iron Annie“ titulierten Ju 52/3m, die bis 1984 mit der Kennung D-CDLH und seitdem als D-AQUI am Himmel unterwegs ist, machen einen zwar tierischen, aber irgendwie auch… gutturalen und beruhigenden Lärm.

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Ob das, was dabei aus den Auspuffrohren quillt, als Ergebnis der Verbrennung von 120 Liter Flugzeugbenzin pro Stunde, neuesten Abgasnormen entspricht, darf natürlich bezweifelt werden…

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Immerhin steht die alte Dame auf kräftigewn Beinen und wird uns gewiss schon nach wenigen hundert Metern Rollbahn in die Lüfte tragen – einer der großen Vorzüge der Ju und einer der Gründe, warum dieses Baumuster zum robusten Allzwecktransporter für Fracht und Passagiere in den dreißiger Jahren wurde. Und zum Rückgrat der damals noch jungen Lufthansa, die mit der Ju beispielsweise in acht Stunden (!) die Strecke Berlin – Rom flog.

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Doch jetzt wir’s langsam Zeit, an Bord zu gehen. Die Crew ist bereits zum Empfang angetreten. Alles gestandenen Lufthansa-Piloten und -Ingenieure sowie eine reizende Saftschu…, sorry, eine Purcerette, die ausnehmend gut drauf sind. Ehrenamtlichen Dienst tun zu dürfen auf der D-AQUI, das gilt als eine hohe Auszeichnung in Lufthansa-Diensten.

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Wir nehmen Platz in den Ledersesseln, die in Einzelreihen rechts und links des Mittelgangs platziert sind. Durchaus bequem. Bequemer sogar als in der Economy-Class aktueller Lufthansa-Maschinen. Oder ist das schlicht eine Folge des nostalgischen Interieurs?

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Nachdem die drei Kolbenmotoren ihren wummernden Betrieb aufgenommen haben (Startreihenfolge rechts – links – Mitte), rollen wir langsam hinaus in Richtung Runway, vorbei an den riesigen Wartungshallen der Lufthansa Technik. Übrigens mehrfach fotografiert von etlichen Verkehrspiloten aus den Cockpits parkender Jets heraus. Scheint, dass wir nicht die Einzigen sind mit nostalgischen Gefühlen für Tante Ju.

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Während des Roll-outs kommt es zu einer Begegnung, die durchaus historische Dimensionen aufweist. Bedenkt man, dass die Junkers Ju 52 das Standard-Transportflugzeug jener Herrschaften war, die das bis heute unvorstellbare Genozid an den europäischen Juden begangen haben – ausgeführt mit genau der gleichen industriellen Präzision und Zuverlässigkeit, die auch ihr technisches Gerät auszeichnete, dann hat diese Begegnung mit der El-Al-Maschine schon ihre ganz eigene Qualität.

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Endlich! Wir heben ab. In einer engen Rechtskurve zieht der Kapitän die alte Dame über die parkenden Kurz- und Mittelstreckenjets hinweg und nimmt Kurs auf den nahen Hochtaunus.

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Ich nutze die Chance und das freundliche Angebot der Stewardess, einen Blick ins enge Cockpit zu werfen. Wenig Armaturen, gemessen an dem Elektronik-Chaos eines Linienjets. Direkt im Blickfeld der Kompass, darunter zentral die Instrumente der drei Motoren für Drehzahl, Öldruck, etc. Ein tolles Gefühl, durch das auch nach oben verglaste Cockpit zu schauen.

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Der Pilot, wie üblich links sitzend, ist ein altgedienter Flugkapitän der Lufthansa, der ansonsten eine Boeing im Linienverkehr fliegt. Er grinst breit und verhehlt nicht, dass das hier das wirkliche Fliegen für ihn ist.

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Währenddessen kümmert sich der Copilot um die Navigation. Ganz klassisch, anhand der Jeppesen Flugkarten. Witzigerweise liegt die Zentrale der Boeing-Tochter Jeppesen für die westliche Hemisphäre nur wenige Kilometer von hier entfernt in Neu-Isenburg.

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Ich fädele mich wieder aus dem Cockpit heraus und werfe einen Blick zurück in die Maschine, wo die Passagiere sichtlichen Spaß an diesem Rundflug haben. Was Wunder. Schade nur, dass unser Flug so kurz ist, gerade mal vierzig Minuten. Und schon sind wir wieder im Landeanflug.

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In der Tat, ein Blick auf die praktischerweise direkt auf den Motoren montierte Spritstandanzeige macht klar, dass im tank weniger als eine Viertelfüllung übrig ist. Das würde zwar noch für die eine oder andere Flugstunde reichen, aber bei den Preisen! Das vordere Instrument auf der Triebwerksabdeckung ist übrigens ein Ölstandsmesser. Tja, damals, vor mehr als siebzig Jahren, war’s noch nichts mit Sensortechnik…

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Bevor wir uns nach der blitzsauberen Landung (kein Applaus, gottlob!) wieder auf den Weg zurück ins Café machen, wo bereits der Artikel über Sicherheit am Mac auf seine Fertigstellung wartet, werfen wir noch einen Blick auf den Bordingenieur, der wie nach jedem noch so kurzen Flug auch diesmal wieder jedes der drei Kolbentriebwerke akribisch in Augenschein nimmt auf Verschleißspuren. Tja, Geeks und Nerds sind eben überall…

Flüge mit der Ju 52/3m D-AQUI der Deutschen Lufthansa Berlin-Stiftung können ebenda gebucht werden, was ich hiermit nur jedem Flugbegeisterten wärmstens empfehlen kann.

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5 Antworten zu “Flug LH 8802 – eine Zeitreise”

  1. 21. Mai 2008 um 07:05:22 | marathonido sagt:

    Liebes Café, herzlichen Dank für den kleinen Rundflug. Hat irgendwie angesteckt…

    Beste Grüße,

    m.

  2. 21. Mai 2008 um 07:34:02 | Dirk Kirchberg sagt:

    Geniale Reportage! Danke! Und nun muss ich überlegen, wie ich meiner Frau diesen Rundflug als „journalistische Pflichtaufgabe“ verkaufe… 😉

  3. 21. Mai 2008 um 08:19:27 | Roland sagt:

    Freut mich, wenn’s gefällt. Demnächst wird es so etwas wie eine – historisch gesehen – Fortsetzung geben. Ein ähnlicher Rundflug mit einem originalen „Rosinenbomber“ (DC-3) über Berlin. Start und Ziel Berlin-Tempelhof, Berlins historischer Flughafen, der leider, leider, demnächst geschlossen wird…

    CU then!

  4. 05. Mai 2016 um 16:05:40 | Dr. Gerhard Huhn sagt:

    Hallo,

    ich möchte gerne das Foto aus dem Cockpit (Hände am Steuerrad) für einen Präsentationsfilm in eine Keynote Präsentation einbauen. Thema: »Willenskraft und Motivation«.

    Ist das ok?

    Würde mich sehr über Ihr Einverständnis freuen.

    Mit besten Grüßen

    Dr. Gerhard Huhn

  5. 24. Juni 2016 um 15:14:18 | Roland Müller sagt:

    Kein Problem, verwenden Sie das Foto ruhig 🙂