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Ein Nachruf am Welttag des Buches

Veröffentlicht in Arktis, Gesellschaft, Klimakrise, Literatur, Medien, Politik | 23. April 2023 | 10:09:24 | Roland Müller

Birgit Lutz: "Nachruf auf die Arktis", btb Verlag 2022 (Verlagsgruppe Random House)

Klar, heute ist der 23. April 2023, der Welttag des Buches. Also Anlass, ganz generell über das Schreiben, das Lesen und die wunderbare Welt der Bücher zu schwadronieren. Das tun heute aber schon andere Blogger. Ich möchte stattdessen die Gelegenheit nutzen, hier ein Buch vorzustellen, das über diesen Tag hinaus zur Pflichtlektüre gehören sollte. Für jedermann und jederfrau in unserem westlichen Kulturkreis. Die Autorin Birgit Lutz, Journalistin und Expeditionsleiterin mit mehr Arktiserfahrung als ich sie je ansammeln werde, ist mit Nachruf auf die Arktis etwas gelungen, was mir bisher unmöglich schien – Eine umfassende Beschreibung aller Aspekte der Klimakrise, wie sie sich im arktischen Raum darstellt, eingebettet in eine Spitzbergen-Tour und angereichert mit Beobachtungen, Einschätzungen und Informationen führender Wissenschaftler. Dies reicht von den klimatologischen und glaziologischen Tatsachen über ökonomische Effekte bis zur psychologischen und philosophischen Einordnung der Geschehnisse.

Nach 246 von 490 Seiten, die ich in den wenigen Tagen seit Erwerb gelesen, nein verschlungen habe, kann ich nur meinen Hut ziehen. Birgit Lutz, der man die persönliche, tief emotionale Betroffenheit anmerkt, die das dramatische Siechtum der Arktis in ihr auslöst, versucht mitunter verzweifelt, sich und uns zu vermitteln, dass doch noch etwas zu retten sei. Obgleich die wissenschaftlichen Fakten anzeigen, dass wir gerade von einem Kipppunkt zum nächsten schlittern. Etwas, das Wissenschaftlern, mit denen Lutz spricht, die Tränen in die Augen treibt. Tränen der Ohnmacht, des Verzweifelns an der Ignoranz der medialen Öffentlichkeit, ja der Medien insgesamt. Noch können wir die Welt retten, so lautet die Unterzeile des Titels. Können wir das tatsächlich? Und vor allem: Wollen wir es? Oder sind die psychologischen Verdrängungsmechanismen längst so weit gediehen, dass wir bis zuletzt wegschauen werden? Je mehr ich in diesem Buch versinke, um so mehr Verständnis wächst in mir für die Letzte Generation und ihre Verzweiflung über die immer noch rein wirtschaftspolitisch und lobbyfreundlich agierende Politik hierzulande und weltweit. Trotzdem ist Nachruf auf die Arktis ein Buch, das Mut machen soll und kann. Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen. Hart backbord oder hart steuerbord, ganz egal.

Mich selbst bestärkt die Lektüre darin, weiter und noch mehr als zuvor, auf meinen ökologischen Fußabdruck zu achten. Es bestärkt mich außerdem darin, meine eigenen Buchprojekte voranzutreiben – mein erster von mehreren in der Arktis spielenden Umwelt-Thrillern erscheint im Frühjahr 2024 im Aufbau Verlag, Berlin. Und nicht zuletzt bestärkt es mich darin, politisches Handeln, wirtschaftliche Interessen und die oft unheilige Verflechtung von beidem noch stärker zu hinterfragen als ich es bisher schon tat.

Meine abschließende Einschätzung zu Nachruf auf die Arktis kann also nur lauten: sechs Sterne von fünf möglichen …

© Foto: Roland Müller

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Ein historisches Datum

Veröffentlicht in Gesellschaft, Politik, Technologie | 15. April 2023 | 20:19:02 | Roland Müller

Der 15. April 1912 markierte ein historisches Datum, das bis heute unmissverständlich klarmacht, dass sich die Natur nicht durch Technik kontrollieren lässt. Die Titanic, wie kaum ein Menschenwerk vor ihr Symbol für die Hybris, eben diese absolute Kontrolle ausüben zu können, hat in jener Nacht mit ihrem Untergang verdeutlicht, wo unsere Grenzen liegen. Jenseits heroisierender Hollywood Blockbuster erinnert uns diese vor 111 Jahren passierte Katastrophe bis heute an unsere Grenzen und daran, mit einer gewissen Demut rationale Risikoabschätzungen zu treffen und ihnen gemäß zu entscheiden. Was das mit dem heutigen 15. April 2023 zu tun hat?

Nun, ganz einfach: Auch der heutige Tag ist ein historisches Datum, zumindest hier in Deutschland. Denn heute werden die letzten drei Atomkraftwerke der Republik abgeschaltet. Endgültig. Über die Auswirkungen mag man trefflich streiten. Über die Richtigkeit der vor einer Dekade getroffenen Entscheidung nicht. Denn ihr liegt eine Risikoabwägung zugrunde, die sich nicht widerlegen lässt. Atomstrom ist eine Energieform, die nur vordergründig preiswert und nahezu unerschöpflich ist. Was beides so nicht den Tatsachen entspricht. Keine Energie ist in der Erzeugung teurer als Atomenergie, wenn man die Summe der baulichen Investitionen, Steuervergünstigungen, Subventionen, Instandhaltung und Entsorgung addiert. Knapp 200 Mrd. Euro über die vergangenen 40Jahre, die seitens des Staates auf die Bürger:innen umgelegt wurden. Apropos Entsorgung. Wie war das nochmal? Kein deutsches Endlager für unseren radioaktiven Müll in Sicht, stattdessen eine schier endlose Endlagersuche. Und studiert man die Zahlen des Bundesumweltministeriums, fällt auf, dass die Hälfte des Gesamtetats, eine gute Milliarde Euro, jedes Jahr in die Lagerung des Atommülls aus den letzten 50 Jahren Atomkraftnutzung fließt. Und das für die nächsten 30.000 Jahre. Bis heute bleibt es erschreckend, wie leichtfertig politische Entscheider die strahlenden Hinterlassenschaften und deren Kosten vor sich herschieben. Fast, als gäbe es sie gar nicht.

So gesehen – und erst recht nach Tschernobyl und Fukoshima – ist der heutige 15. April ein guter Tag für dieses Land, seine Menschen und seine Zukunft. Feiern wir ihn!

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Lesen stärkt die Immunität

Veröffentlicht in Gesellschaft, Literatur, Politik | 10. Mai 2020 | 10:37:45 | Roland Müller

Zwei Bücher, die man in diesen Tagen gelesen haben sollte

Nachdem in diesen Tagen immer mehr Menschen in eng gepackten Massen gegen die Einschränkungen auf die Straße gehen, mit denen die Regierung versucht, der Pandemie Herr zu werden, kann ein wenig Fachlektüre nicht schaden, um eine gewisse Resistenz auszubauen gegen die grassierende Unvernunft. Denn die besagten Demonstrationen sind längst unterwandert und instrumentalisiert worden von einem merkwürdigen Amalgam linker wie rechter Verschwörungstheoretiker, Impfgegnern, rechtsnationaler Völkler und knallharter Neofaschisten. Mit der traurigen Folge, dass die durchaus begrüßenswerte kritische Diskussion der durchaus nicht immer angemessenen verfassungseinschränkenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 dabei längst in den Hintergrund getreten ist.

Lesen bildet auch hier. Nämlich eine gesunde Grundimmunität gegen die Einflüsterungen geistig gestörter Apologeten abstruser oder einfach nur gefährlicher Theorien – Menschenfänger, denen es schon immer nur um eines ging: Macht über Menschen zu erlangen.

Wir empfehlen gegen die Einflüsterungen jener, die unter dem Etikett eines neuen Patriotismus den klassischen Faschismus auferstehen lassen wollen Michaela Murgias fundierte und gleichwohl satirische Anleitung „Faschist werden“. Ein tiefsinniger Spaß mit überaus ernstem Hintergrund, der vielleicht dem einen oder anderen die Augen öffnen wird, wer sich da auf unseren Straßen umtut.

Mit Prof. Dr. Michael Butters „Nichts ist, wie es scheint“ lassen sich so ziemlich alle gängigen Verschwörungstheorien wissenschaftlich korrekt als das erkennen, was sie im Grunde sind: Ausdruck einer diffusen Angst und verzweifelter Versuch, einer komplexe Welt mit einfachen Antworten gerecht zu werden, mögen diese auch noch so absurd sein. Butter analysiert kühl, präzise und unwiderlegbar die Mechanismen, die Verschwörungstheorien zugrunde liegen.

Beides zusammen die perfekte Wochenendlektüre in Zeiten wie diesen. Enjoy!

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Stellt Euch vor, es ist Frühling und keiner darf raus…

Veröffentlicht in Gesellschaft, Politik | 19. März 2020 | 15:41:41 | Roland Müller

Bewertet man die geradezu kindliche Ingnoranz, mit der am 16. März in Berlin, Baden-Württemberg und woauchimmer noch Tausende und Abertausende von vorwiegend jugendlichen Müßiggängern den Frühling begangen haben – im kuscheligen Beisammensein unter dem Label „Corona-Party“ – dann steigt die Wahrscheinlichkeit für einen kompletten Lockdown der Republik stündlich. Daran wird aller Voraussicht nicht einmal die Blut-, Schweiß- und Tränenrede unserer Kanzlerin etwas ändern. Auch wenn diese unerwartet klar und eindeutig ausfiel, ohne die übertriebene Emphase eines Macron oder die Theatralik eines Herrn Kurtz.

Richten wir uns also darauf ein, dass irgendwann in den kommenden Tagen das böse, böse Wort „Ausgangssperre“ all jene zur Räson ruft, die das Glöckchen bisher noch nicht klingen gehört haben. Und ergreifen wir – sofern nicht längst geschehen – die notwendigen Schutzmaßnahmen. Nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern vor allem im Interesse unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger!

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Im Anfang war das Wort

Veröffentlicht in Gesellschaft, Medien, Politik | 26. Februar 2020 | 10:49:13 | Roland Müller

Das älteste Prinzip der Menschheitsgeschichte

Überaus lesenswert, wenn man die manipulativen Mechaniken der quasifaschistischen Verstichwortung durchschauen möchte, deren sich insbesondere der Höcke-Flügel der AfD bedient: Heinrich Deterings in Reclams Universal-Bibliothek erschienene Analyse „Was heißt hier ‚wir‘?“ – Zur Rethorik der parlamentarischen Rechten“. Leseproben gibt’s hier.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, sich jenes kleine Zitat in Erinnerung zu rufen, mit dem Thomas Mann in einem Briefwechsel mit seinem Bruder Heinrich 1936 die damalige wie die heutige Situation erschreckend hellsichtig auf den Punkt bringt:

„Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln! Wo doch vielleicht der Augenblick nicht fern ist, da dem deutschen Volke das Letzte daran gelegen sein wird, nicht mit ihnen verwechselt zu werden.“

(Foto: WDR Übertragung des Rosenmontagszuges in Düsseldorf 2020)

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