Tag 3 der FBM 2024: Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik | 18. Oktober 2024 | 20:17:44 | Roland Müller
Heute haben wir uns auf den Auftritt des diesjährigen Ehrengasts Italien gekümmert. Wie üblich fand der im Pavillon statt, in der Etage oberhalb der ARD/ZDF/3sat-Bühne. Wir suchten ganz unvoreingenommen an die Präsentation heranzugehen, obwohl bereits im Vorfeld allerlei kolportiert worden war über politische Vorgaben, Beeinflussungen, Ein- und Ausladungen „unliebsamer“ Autor:innen etc.
„Roots in the Future“ lautete das so gar nicht italienisch klingende Motto, fuur das sich Italien entschieden hatte. Ein Statement, das uns, die wir wegen der italienischen Literatur hierhergekommen waren, ein wenig ratlos zurückließ. „Wurzeln in der Zukunft“ – was wollen uns diese Worte sagen? Würden wir drinnen im Pavillon mehr darüber erfahren?
Wir betreten das italienische Klischee schlechthin, eine stylisch dargebotene Piazza, weiter vorne, zur Bühne hin, bestuhlt; hier, im hinteren Teil mit filigranen Kaffeehaustischchen und entsprechendem Gestühl bestückt, bei gedimmtem Licht und unter einem symbolischen Sternenhimmel. Umringt wird die Piazza von auf einem umlaufenden Podest aufsitzenden Säulenreihen in unterschiedlichen Formen. Dorisch, korinthisch, wie war das noch mal?
Und mitten drin, im Zentrum, ragt dann diese mehr als mannsgroße und damit monumental wirkende Goldhand empor. Irgendwie … merkwürdig? Schräg? Was soll uns das sagen? Bis hierhin und nicht weiter. Erinnerungen an „Goldfinger“ poppen empor. Wir schauen uns erneut um. Wir sind hier auf einer Buchmesse. Also: Wo sind die Bücher in dieser Zurschaustellung italienischer Klischeewelten? Alles sehr klassizistisch, monumental, irgendwie … gestrig? Ein vergangenes Italien, ein untergegangenes Italien.
Der Eindruck verstärkt sich noch, als wir in eine Feier bzw. eine Preisverleihung anlässlich des 800-jährigen Jubiläums der Universität Neapel hineinstolpern, das gerade auf der Bühne abgespult wird. Wie war noch mal das Motto: Roots in the Future? Hm. Wir spazieren ein wenig umher. Immer noch auf der Suche nach Büchern, nach Literatur …
Vielleicht lässt sich etwas finden in den Alkoven, die sich hinter den Säulen der Piazza auftun? In einem davon läuft gerade eine Präsentation …
Es scheint um Comics zu gehen. Immerhin. Wir kommen den bisher fehlenden Büchern etwas näher. Neugierig geworden arbeiten wir die anderen Alkoven ab.
Buchkunst zur Zeit von La Serenissima. Die Opulenz der italienischen Literatur, als die Seerepublik Venedig das Mittelmeer beherrschte. Eindrucksvoll, aber schon ein bisschen her. Wir gehen weiter.
Buchdruck und Schriftgestaltung zu Zeiten von Aldus Pius Manutius, dem berühmten venezianischen Buchdrucker und Verleger aus dem 15. Jahrhundert. Okay. Auch interessant und vage bekannt seit damals Adobe seine Pagemaker Software auf den Markt gebracht hat.
Dann endlich, während wir die Runde abschreiten, öffnet sich ein weiterer Alkoven. Und siehe da …
Hier finden wir sie endlich, italienische Literatur in diversen Regalmetern und ganz in Grün. Nun ja, der eine oder andere Bookstagrammer oder BookToker nennt eine vergleichbare Menge sein eigen. Aufgereiht in Billy Regalen. Ist das wirklich alles, was Italien zu bieten hat? Wo sind die Videoinstallationen seiner vornehmsten Literaten? Wo sind die Präsentationen der großen italienischen Gegenwartsliteratur? Wo ist die Auseinandersetzung mit mit der jüngeren, schwarzhemdigen Vergangenheit, vielleicht sogar mit dem gerade aufkeimenden Postfaschismus?
Ein wenig enttäuscht spazieren wir zurück auf die Piazza, zwischen die Kaffeetischchen. Soll das alles gewesen sein? Wo ist all die großartige Literatur, die die Kulturnation Italien auszeichnet? So langsam dämmert uns, dass all dies gar keine Inszenierung der Literaturnation Italien ist. Sondern eine Zurschaustellung einer ganz anderen Kultur, einer rückwärts gewandten, vergangener Größe nachtrauernden und ja, auch das, einer politischen Kultur. Eben jener, die gerade südlich der Alpen wieder aufkommt?
Wir wenden uns noch einmal nach vorne, Richtung Bühne …
Dort ist nun die Preisverleihung in vollem Gange. 800 Jahre Universität Neapel. Beeindruckend, gewiss. Aber auch das doch nur ein Blick zurück. Statt dorthin, wo Italiens Wurzeln zu finden sein sollen, in der Zukunft.
Ob die Besucher des Ehrengast-Pavillons ähnlich empfinden? Oder genießen sie einfach die vertraute Piazza-Atmosphäre und denken dabei an ihren eigenen Italienurlaub?
Auf der Piazza sitzen, ein wenig auf dem Smartphone herumscrollen, einen Espresso doppio schlürfen, ist es das, was uns hier verkauft werden soll? Eine grande illusione?
Und während wir so da stehen und überlegen und noch einmal hinüberschauen zur monumentalen goldenen Hand in der Mitte des Raumes, spüren wir, wie ganz eigenartige Assoziationen sich nach oben kämpfen. Diese Hand, erhoben wie zum Gruß, woran erinnert sie uns? An ein anderes Italien?
Nach diesem sicher sehr subjektiven, aber genau so empfundenen wie beschriebenen Eindruck unseres Streifzugs durch den Italien-Pavillon auf der 76. Frankfurter Buchmesse werden wir morgen einen Kontrapunkt dazu setzen: Wir werden uns auf die Suche machen nach lesenswerter, spannender, gern auch herausfordernder italienischer Literatur. Dann gibt’s auch wieder etwas zu verlinken. Denn diese Literatur existiert irgendwo dort draußen. Nur eben leider nicht hier drinnen. Wenn Euch interessiert, was wir finden werden, dann schaut gerne morgen wieder hier rein ins digitale Café. Wir freuen uns auf Euch.