Tag 2 der FBM 2024: Oh Schreck, der Scheck!
Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Unterhaltung | 17. Oktober 2024 | 20:42:56 | Roland Müller

Unser zweiter Tag auf der weltgrößten Büchermesse startet druckfrisch. Buchstäblich. Denn Deutschlands Lieblings-Literaturkritiker Denis Scheck (auch wenn wir persönlich eher Knut Cordsen vorziehen) findet auf der FBM natürlich die perfekte Bühne und eröffnet den Reigen seiner Buchempfehlungen mit … Pixi-Büchern! Allerdings einer ganz besonderen Auflage. Und wie geht’s dann weiter? Schauen wir mal.

Autsch! Mit Frank Schätzing, der Scheck auf Zuruf der passenden Stichworte die Vorzüge der Fortführung „Helden“ seines vor längerer Zeit als sein Debüt erschienenen Mittelalter-Romans „Tod und Teufel“ anpreist. Durchaus so beredsam und verkaufsstark, wie er das nun mal vermag. Und natürlich verbirgt sich in seinem neuen, massiv beworbenen Bestseller (?) alles: die Erfindung des Kapitalismus, der Geldwirtschaft, sogar der Brexit, eigentlich der ganzen Moderne, wie wir sie heute kennen. Hm. Bisher haben wir Schätzing eher geschätzt für seine profund recherchierten Nahzukunft-Romane. Dass er nun ein Revival historischer Romane anstrebt, irritiert uns ein wenig. Vielleicht eine Anregung seines Verlags?

Wir beschließen, ein wenig Auszeit von Scheck zu nehmen und stattdessen der Kulturzeit unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Zumal auf gleicher Bühne Yuval Noah Harari zu „Nexus“ Stellung nimmt, wohltemperiert moderiert von Thea Dorn. Was in Sachen Erkenntnisreichtum eine wahre Wonne war, der wir gerne noch sehr viel länger zugehört hätten. Leider standen dem andere Termine im Wege.

Wir hatten uns nämlich fest vorgenommen, heute mit einer großen Runde Lesetipps aufzuwarten. Deshalb stürzten wir uns zurück in Halle 3 und arbeiteten uns von Verlagsstand zu Verlagsstand. Lasen hier, lasen da. Hier übrigens nicht, weil uns derzeit einfach nicht nach dem hundertvierundfünfzigsten Regionalkrimi war. Dafür wurden wir ein paar Meter weiter fündig …

Bei Piper stolperten wir nämlich über ein gelbes U-Boot. Der Isländer Jón Kalman Stefánsson legt mit „Mein gelbes U-Boot“ einen so schrägen wie weitschweifigen Bildungsroman vor, der uns beim ersten Anlesen bereits fasziniert hat. Vielleicht zeichnet die Isländer ja tatsächlich eine tief in ihrer DNA wurzelnde Erzähltradition aus, der wir uns nur schwer zu entziehen vermögen? Jedenfalls ist das unser erster Lesetipp!

Überhaupt Piper. Auch Zeinab Badawis „Eine afrikanische Geschichte Afrikas“ fasziniert uns auf Anhieb! Und das hat nichts damit zu tun, dass ich vor ewigen Zeiten in Mainz unter anderem Afrikanistik studiert habe. Dieses Buch beinhaltet eine längst überfällige Darstellung der jahrtausendealten Geschichte Afrikas aus Sicht und Wissen jener, die es besser wissen als ihre früheren Kolonialherren, deren europazentristisches Weltbild das Krebsgeschwür des Kolonialismus hervorgebracht hat. Badawi rückt vieles in ein für uns völlig neues Licht!

Ein Buch also, dass überfällig war. Und darüber hinaus auch noch fesselnd zu lesen sogar dort, wo vergleichsweise trockene Geschichtsfakten verarbeitet werden. Keine Frage deshalb: unser zweiter Lesetipp!

Vorbei an dem mit Harpe Kerkelingen prall gefüllten Piper-E schlendern wir weiter. Nichts gegen Harpe Kerkeling, er ist einer der wichtigsten Umsatzbringer von Piper und liest sich immer gut weg. Selbst wenn sich kleine Längen ergeben wie in seinem neuesten Buch.

Am dtv-Stand springt uns sofort die James-Baldwin-Wand ins Auge. Weniger wegen der Farben. Sondern weil James Baldwin der vielleicht wichtigste afroamerikanische Schriftsteller neben Toni Morrison ist und immer und jederzeit einen Lesetipp wert.

Bei Harper Collins – also dort, wo wir es eigentlich am wenigsten erwartet hätten – wagen wir einen Vorgriff auf unsere morgige Ehrengast-Reportage. Professor Alberto Grandi räumt in „Mythos Nationalgericht“ mit so ziemlich allem auf, was wir in der italienischen Cucina als Tradition empfunden haben. Grande illusione statt grande traditione? Allerdings! Das schmerzt, liest sich aber äußerst überzeugend und kulinarisch wertvoll.

Und weil an der Küche Italiens eine ganze Menge Gesellschaft und Soziales hängt, können wir diese überaus witzige Abrechnung nur jedem ans Herz legen, der trotzdem die italienische Küche zu schätzen weiß. Buon appetito! Das ist unser dritter Lesetipp!

Ebenfalls bei Harper Collins fällt uns eine weitere Fachlektüre in die Finger. Ebenfalls witzig geschrieben und sehr unterhaltsam. Und das von einem Könner dieser Materie: Scott J. Shapiro. „Von Hackern lernen“ setzt sich profund mit der Basis unserer heutigen digitalen Welt auseinander; und mit ihren dunklen Kehrseiten.

Shapiro schafft es tatsächlich, diesen Ritt durchs Digitale, Hackerdom und Cybercrime so unterhaltsam zu gestalten, dass man das Buch nur schwer wieder beiseite legen kann. Spätestens, wenn der nächste Hackerangriff eine Kommune, eine Universität oder unsere Energieinfrastruktur trifft, werden wir das Buch wieder in die Hand nehmen. Wetten? Lesetipp Nummer vier!

Kann es einen größeren Kontrast zu Shapiros Report aus der Welt der Hacker und Nerds geben als Peter Wohllebens neues Buch „Buchenleben“? Wohl kaum. Vielleicht ist genau das der Grund, warum wir es als fünften Lesetipp präsentieren. Die Art und Weise, wie Wohlleben aus dem Leben und Erleben einer gut 250 Jahre alten Buche erzählt und dies in den historischen Kontext setzt, ist genau das, was wirklich große Erzählkunst auszeichnet: Sie eröffnet uns völlig ungeahnte Perspektiven auf die Welt und das Leben.

Nach so viel Tiefschürfendem erholen wir uns bei einem Eistee am Stand des SYNDIKATs, wo sich an diesem Donnerstagnachmittag Krimiautor:innen und Buchblogger:innen zu einem entspannten Meinungsaustausch getroffen haben. Networking! Man sieht: Morden verbindet 😉

Nach einem Termin mit Dirk Meynecke, dem Literaturagenten und seiner Kollegin Nina Wegscheider von Buchplanung Berlin im LitAg Center in Halle 6.2 (sorry, davon gibt’s keine Fotos!) treffen wir uns zu einem abschließenden Plausch mit Tatiana aka @mimitatis_buecherkiste draußen auf der Agora und ausgerechnet am Currywurststand. Ein krönender Abschluss dieses Messedonnerstags gewissermaßen.
Natürlich ziehen wir auch morgen wieder für Euch durch die heiligen Hallen und Gänge der 76. Frankfurter Buchmesse. Es werden sich garantiert noich eine Menge weiterer Lesetipps ergeben. Versprochen!
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