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Frankfurter Buchmesse 2015 (4): Indonesien scharf gewürzt

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik | 17. Oktober 2015 | 21:52:29 | Roland Müller

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Indonesien also. Der diesjährige Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist schon ein ganz besonderer Fall. Das viertgrößte Land der Welt. Zugleich das größte islamische Land. Ein Archipel von mehr als 17.000 Insel mit einer jahrtausendealten Erzähltradition, einer dramatischen Geschichte und einer überaus lebendigen Literaturszene. Fast eine Viertelmilliarde Menschen leben hier. Und doch beschränkt sich unser Wissen auf ein paar Eindrücke der Insel Bali als attraktives Ziel des Fernreisetourismus und einer vagen Vorstellung exotischer, gewürzintensiver Küche. Literatur? Nie gehört! Es war also an der Zeit, dass diese 17.000 Inseln der Imagination endlich einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Im Pavillon (Forum / Ebene 1) der Frankfurter Buchmesse 2015…

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Hot and spicy! So wie die indonesische Küche furiosen Gebrauch einer unüberschaubaren und unüberriechbaren Vielfalt von exotischen Gewürzen macht, so überaus vielfältig stellen sich auch Kultur und Literatur des Inselreichs dar. Sinnenfroh wie seine Menschen kommt auch der Pavillon daher. Der vom indonesischen Architekten Muhammad Thamrin, Chef des Pasagi Designstudios, gestaltete Auftritt, kuratiert von Avianti Armand, der im Vorjahr für den Indonesien-Pavillon auf der Biennale in Venedig verantwortlich zeichnete, setzt die Inselrepublik sinnfällig in Szene: in Form von sieben thematischen Inseln, die die Besucher dazu einladen, sich von Entdeckung zu Entdeckung treiben zu lassen.

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Jede der sieben Inseln entfaltet ihre ganz eigenen Reize. Abgetrennt und zugleich verbunden im Meer der umgebenden Dunkelheit durch von der Decke abgehängte leuchtende halbtransparente Stofflaternen in Meeresfarben. Die Island of Spice zelebriert die Vielfalt indonesischer Gewürze und das Feuerwerk ihrer Aromen. Die Island of Illumination lässt und Repliken der traditionellen Schriftkulturen Indonesiens anfassen und durchblättern. Die Island of Words präsentiert herausragende literarische Werke sowie Bücher über Indonesien. Die Island of Images zeigt uns die überraschende Vielfalt von Comics. Graphic Novels und Animationen, die in Indonesien eine lange Tradition aufweisen. Die Island of Inquiry schlägt eine mutige Brücke von balinesischem Schattentheater und Batikkunst über wissenschaftliche Programme und digitale Informationsmedien bis zu modernster Lernsoftware und einer Augmented Reality-Büchershow. Die Island of Scenes zieht uns in den Bann mit Akteuren der Tanz-, Musik- und Erzähltradition des Inselreichs. Und auf der Island of Tales schließlich erwarten uns Märchen und Erzählungen für Kinder – im Schatten eines riesigen, projizierten Flugdrachens. Wir lassen uns treiben…

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…und lauschen für eine Weile dem Vortrag eines Redners und Rezitators, geben uns dem Klang der Sprache hin, verzichten auf die Benutzung der ausliegenden Kopfhörer für eine Übersetzung ins Deutsche. Indonesien hat uns hörbar eine überaus lebendige Erzähltradition voraus, die wir selbst längst der Digitalisierung geopfert haben.

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Um so erstaunlicher, dass die sehr vitale indonesische Literatur hier so wenig Niederschlag findet: Gerade einmal 142 deutschsprachige Neuerscheinungen sind 2015 zu verzeichnen. Und die verteilen sich auch noch auf 71 verschiedene Verlage. 53 der Bücher sind belletristisch, 38 Titel widmen sich der indonesischen Gesellschaft und Politik…

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Um so höher ist es zu bewerten, dass anlässlich der Buchmesse 75 indonesische Autorinnen und Autoren nach Frankfurt gekommen sind, viele davon zum ersten Mal. Und etliche davon behandeln in ihren Werken die durchaus nicht wenigen dunklen Kapitel der indonesischen Geschichte, allen voran die Zeit der Gewaltherrschaft des Suharto-Clans. Ein Thema, das in Indonesien bis heute nicht wirklich aufgearbeitet worden ist. Erst jüngst werden erste, vor allem literarische Anstrengungen dazu unternommen. Aber auch zumindest eine cineastische.

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Beim entspannten Gang durch den indonesischen Pavillon hat man unwillkürlich diese Gedanken im Kopf. Und registriert dann mit einiger Verblüffung – wenn man beispielsweise die Island of Illumination betritt, welche reiche Schriftkultur dieses Land aufzuweisen hat.

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Und wie weit diese in die Vergangenheit zurück reicht. Beeindruckend. Ja, es wird Zeit, ein Indonesien zu entdecken, das weit hinausreicht über unser immer noch touristisch-exotisch geprägtes Bild vom letzten Strandurlaub auf Bali.

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So gibt es beispielsweise eine ausgesprochen lebendige Comic- und Graphic Novel Tradition zu entdecken, die sich keineswegs zu verstecken braucht vor der westliche Comicszene.

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Naja, das gilt natürlich für beide Enden der Skala, unter denen uns Comics bekannt sind. Aber sei’s drum, dieser Aspekt des neueren Indonesien ist für uns hier absolut neu.

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Und man muss zugeben, dass das Insel-Konzept des Pavillons diese Aspekte unaufdringlich, aber trotzdem eindrucksvoll präsentiert.

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Womit sich bei all unserer Unwissenheit natürlich auch die Frage stellt: Wo fängt man an, wen man sich der indonesischen Literatur in ihrer ganzen Vielschichtigkeit nähern will. Eine Literatur übrigens, in der traditionell die Poesie als Königin aller schriftstellerischen Künste gilt.

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Nun, ein guter Startpunkt wäre vielleicht „Indonesien lesen“ von Martin Jankowski. Ein schmales Bändchen, das einen Appetit machenden Blick auf die ungeheuer heterogene und vitale Literaturszene der 17.000 Inseln wirft. Danach lohnt sich dann der Download der von der Buchmesse Gesellschaft zur Verfügung gestellten Liste der deutschsprachigen Neuerscheinungen (als PDF) hier!

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Eine der vielleicht verblüffendsten Buch-Entdeckungen auf einem der zahlreichen Tische im indonesischen Pavillon schließt dann irgendwo doch den Kreis zwischen Deutschland und Südostasien. Wenn man mal davon absieht, dass der Name Indonesien dem deutschen Ethnologen Adolf Bastian zugeschrieben wird und der deutsche Naturkundler, Geograph und Zoologe Hermann von Rosenberg uns die ersten ausführlichen Berichte aus diesem Teil Südostasiens zugänglich gemacht hat. Aber zurück zu dieser Buchentdeckung im Gigantformat, die wir auf einem der Lesetische entdeckt haben: Walter Spies steht in goldunterlegter Handschrift auf dem Titel des Wälzers, der in einer Auflage von gerade mal 150 Exemplaren das Werk, die Person und den Aufenthalt jenes in Indonesien als Legende gefeierten Malers, Schriftstellers und Paradiessuchers, der hierzulande weitestgehend unbekannt geblieben ist.

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Bereits das erste Blättern offenbart eine absolut faszinierende Gestalt. Homophil, gebildet, multibegabt hat er wie wohl kein anderer Europäer die Inselkultur verstanden und ist von ihr verstanden worden. Seine Vita bis hin zu seinem tragischen Ende gäbe einen fesselnden Kinostoff ab.

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Reichlich trunken von der Vielzahl der Eindrücke, vielleicht auch vom allgegenwärtigen Duft der scharfen indonesischen Gewürze, glauben wir für einen kurzen Augenblick zu verstehen, was die Vielfalt Indonesiens, seiner Kultur, vor allem aber seiner Menschen ausmacht. Und zugleich fällt uns zum Abschluss angesichts einer lachenden Runde vorwiegend indonesischer Messebesucherinnen auf, dass wir noch keine Buchmesse erlebt haben, bei der so viele Angehörige des Ehrengastlandes den eigenen Pavillon besucht haben wie auf dieser Frankfurter Buchmesse 2015. Auch hierin offenbart sich ein Stück weit die zerrissene jüngere Geschichte Indonesiens: Nicht nur eine Million Indonesier starben durch die Schergen des Suharto-Regimes, eine sehr viel größere Zahl verließ das Land auf der Flucht vor Suhartos New Order. Etliche von ihnen treffen hier in Frankfurt auf eine heimatliche Insel.

Damit beenden wir unsere heutige Runde durch den Pavillon des Ehrengastes der Frankfurter Buchmesse 2015. Fest entschlossen, in Zukunft einen intensiveren Blick auf die Literatur einer Kulturnation zu werfen, die uns seit heute nicht mehr so fern ist wie geglaubt. Und morgen stürzen wir uns dann noch einmal ins ganz normale Messe-Getümmel. Bis dann!

 

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