Literatur aus Finnland. Wem fielen da nicht spontan Namen ein wie Roope Lipasti, Hannu Raittila oder Johanna Sinisalo? Ganz zu schweigen von Klassikern wie Aleksis Kivi oder Volter Kilpi. Oh, tun sie nicht? Nun, dann ist es doch ein Segen, dass Finnland in diesem Jahr zu Gast in Frankfurt ist. Denn es ist auf den berühmten zweiten Blick so überraschend wie faszinierend, was die noch junge Literatur diesseits und jenseits des Polarkreises zu bieten hat. Wir gehen auf Entdeckungsreise…
Und natürlich beginnen wir unsere Entdeckungsreise im finnischen Pavillon der Frankfurter Buchmesse. Finnland. Cool. – So haben sich die Macher selbst positioniert. Und kürzer lässt es sich wohl kaum auf einen Nenner bringen, wenn man das „Cool“ so interpretiert, wie es augenscheinlich daherkommt: als kühle, überaus frische Brise aus dem hohen europäischen Norden.
Das beginnt bei den eismeerblauen Acrylglashalterungen der Prospekte, Broschüren, Infokarten und Autorenkatalogen an der kaltweißen Außenfront des Ehrengast-Pavillons und setzt sich nahtlos fort im Inneren der Finnland-Präsentation.
Wir sprachen mit Matti Mikkilä, einem der verantwortlichen Designer des Projekts und das mittlere m des namensgebenden Trios von nmndesign, bestehend aus Natalia Baczyńska Kimberley, Nina Kosonen und besagtem Matti Mikkilä. Alle drei sind MA-Studenten für Innenarchitektur an der Aalto Universität in Helsinki. Und alle drei fühlen sich der großen finnischen Designtradition verpflichtet. Und damit nicht dem ästhetischen Selbstzweck, sondern großer Klarheit, ja Strenge der Konzeption, deren Reiz sich erst erschließt, wenn Menschen dieses Design benutzen oder in diesem Falle bevölkern. Genau das war jedenfalls unser Eindruck, den Matti mit einem zufriedenen Lächeln quittierte. Erstaunlich, mit wie wenigen und puristischen Mitteln die Identität Finnlands hier auf die Bühne gebracht wurde. Wird das auch der Eindruck sein, den finnische Literatur bei uns hervorruft – große Klarheit, Frische, Heiterkeit? Gedanken, Gefühle und Sprache eines Landes, das uns in den Medien meist nur als PISA-Dauersieger, bevölkerungsarme Hightech-Nation und Suizid-Europameister präsentiert wird?
Sollte das so sein, dann machen wir gerne einen symbolischen Kniefall und bekennen, bisher die gängigen Klischees vielleicht zu leichtfertig für bare Münze genommen zu haben.
Was wiederum die Finnen unter den zahlreichen Besuchern des Pavillons mit erkennbarer Heiterkeit notieren. Was wir uns natürlich nur einbilden…
Doch genug der Vorrede. Schauen wir uns um, wo hier die literarische Musik spielt. Sie spielt beispielsweise auf einem schmalen Podium vor einem viergeteilten Videobildschirm, wo mit wechselnder Besetzung und von unterschiedlichen Moderatoren in kurzen, meist dreißigminütigen Gesprächen die lange Reihe der nach Frankfurt gereisten finnischen Literaten vorgestellt werden. Auch jene, die es dann doch nicht geschafft haben zu kommen. Wie etwa Aki Kaurismäki, Finnlands berühmtester Filmregisseur, der aufgrund der Tatsache, dass er seinen krebskranken Hund in dessen letzten Lebenstagen begleiten musste, sein Kommen kurzfristig abgesagt hatte. wer weiß, vielleicht offenbart sich uns ja bereits da ein kleines Zipfelchen der finnischen Seele?
An selber Stelle lauschten wir dann später einer Lesung von Leena Lehtolainen, einer in Finnland sehr erfolgreichen Krimiautorin, deren beide bekanntesten Protagonisten, die Kommissarin Maria Kallio und die Personenschützerin Hilja Ilveskero, eine sehr weibliche Perspektive ins Genre bringen und dabei ganz anders als ihre norwegischen oder schwedischen Pendants weniger zur Düsternis neigen, sondern ausgesprochen humorige Züge aufweisen. Ungewöhnlich für hard-boiled Kriminalromane. Aber, wie wir uns sagen lassen, ist auch das sehr finnisch.
Harter Schnitt! Kennen wir nicht alle die Mumins? Jene skurrile Familie knollennasiger Kreaturen, deren Abenteuer wir, kaum dass wir lesen konnten, aus der Stadtbibliothek entliehen haben, um sie regelrecht zu verschlingen? Und siehe da, das war unser allererster Kontakt mit finnischer Literatur. Ohne das wir’s damals wussten oder uns drum kümmerten. Denn die Schöpferin dieser Figuren ist niemand anders als Tove Jansson, Autorin, Künstlerin und Schöpferin der bis heute erfolgreichsten Comicserie Finnlands.
Da mag es auch nicht verwundern, dass das „Spielzimmer“, das die Finnen ein paar Schritte weiter unter einer weiteren der kaltweißen, von der Hallendecke abgehängten Stoffrotunden aufgebaut haben, vor vergleichbar skurrilen Figuren nur so wimmelt. Was Wunder, ist Finnland doch das Land der Trolle, die, wie man hört, in den dunklen finnischen Wäldern heute noch ihr Unwesen treiben sollen.
Und dann ist da noch die sprichwörtliche Kreativität der Finnen, an denen sie die Besucher teilhaben lassen. Zum einen mit einem großen Tisch, in dessen Platte klassische finnische Texte eingelassen sind, sodass man sie mit einem weichen Bleistift auf Papier durchpausen und mit nach Hause nehmen kann. Nicht ahnend, was der Text eigentlich aussagen mag, denn natürlich ist er finnisch. Aber egal, eine so puristische wie händisch-spielerische Art, sich finnische Literatur zu eigen zu machen, verdient Anerkennung. Und vielleicht findet sich ja ein Übersetzer…
Und dann ist da noch das Metatext-Projekt des Todellisuuden tutkimuskeskus, des Realitätserforschungszentrums. Der Forschungsverantwortliche Pekko Koskinen hat damit (O-Ton): … ein Projekt konzipiert, innerhalb dessen neue Formen des Lesens und Schreibens entwickelt werden sollen. Das Metatext-Projekt ist Bestandteil der in schelmischer Anlehnung an die NASA so genannten Social Space Academy SoSA, die unerforschte Gebiete unseres sozialen Universums kartografieren soll. Im Namen dieser Institution sind in Frankfurt aiusgebildete Sozionauten unterwegs, die Messebesucher ansprechen und ihnen Werkzeuge andienen, die ein kreatives Herangehen an Texte und die Lesekonventionen ermöglichen sollen. Ein spannendes Experiment am lesenden Menschen gewissermaßen und ein weiterer Beleg für den finnischen Hang zum Konventionenbrechen?
Viele Eindrücke, viele verschiedene Sichtweisen. Wir erholen uns von der Flut der Informationen draußen, vor dem Eingang zum Finnland Pavillon. Natürlich auf einem dieser radikal reduzierten Birkenholz-Stühle, die sich irgendwie nicht richtig entscheiden können, ob sie denn nun Designikonen sein wollen oder einfach nur Sitzgelegenheiten. Nach ein paar Bedenkminuten beschließen wir, zurück in die Hallen 3 und 4 zu wandern und dort ganz gezielt nach finnischer Literatur Ausschau zu halten. Immerhin liegen derzeit mehr als 100 Übersetzungen und Neuausgaben finnischer Autoren in Deutsch vor. Mal sehen, was davon uns zu begeistern vermag…
Bingo! Da haben wir doch schon zwei hochrangige Vertreter finnischer Gegenwartsliteratur gefunden. wenn auch nur plakatiert. Kati Hiekkapeltos Debütkrimi „Kolibri“ und Roope Lipastis faszinierende Roadnovel „Ausflug mit Urne“. Kati wird als vielversprechendes Nachwuchstalent der finnischen Kriminalliteratur gehandelt. Die studierte Sonderpädagogin bringt in ihrem fesselnden Krimi Erfahrungen aus ihrer Arbeit mit Migranten ein und so verwundert es nicht, dass die Hauptrolle eine aus Jugoslawien stammende Ungarin spielt, die als Kind nach Finnland gekommen ist. Das geschickte und sehr schlüssige Einarbeiten von Fragen der Einwanderung und Multikulturalität hebt ihre bisher erschienen beiden Krimis vom Mainstream des Genres ab. Roope Lipasti gilt als einer der der populärsten finnischen Autoren und Blogger und bestreitet seinen Lebensunterhalt als Journalist und Kolumnist für große finnische Tageszeitungen und Magazine. Sein Buch gewordener Roadmovie handelt von zwei ungleichen Brüdern, die sich auf den Weg machen, um die Urne mit der Asche ihres Stiefgroßvaters ins ostfinnische Imatra zu bringen. Es ist klar, dass das nicht gut gehen kann. Teemu, der Versicherungsangestellte und Janne, der Bonvivant erleben Schlägereien, flüchtigen Sex, verrückte Verwandte und bekiffte Tramper. Und mit jedem Zwischenfall versinken sie tiefer ihn ihrer Familiengeschichte. Die sich dann doch als ganz anders herausstellt, als die Oberfläche vermuten ließ. Sehr spannend, voller schwarzem Humor und deshalb unbedingt ein Lesetipp!
Am Luchterhand Stand entdecken wir Hannu Raittilas „Kontinentaldrift“ (Leseprobe hier) – übersetzt übrigens von Stefan Moster – und damit eine ganz andere Facette finnischer Literatur. Der Titel darf als dezenter Hinweis darauf verstanden werden, dass so wie Kontinentalplatten unmerkbar auseinanderdriften auch sich eigentlich nahestehende Menschen aufgrund von Missverständnissen, Sprachlosigkeit oder erlahmendem Interesse auseinandertreiben. Hannu, der Lakoniker, schafft es, dem sowohl komische, satirische Aspekte abzugewinnen wie auch durch bewusstes Brechen der Perspektive auch diejenige des Lesers immer wieder herauszufordern. Sehr gut und allemal ein Lesetipp.
Ach ja, fast hätten wir ja Pasi Ilmari Jääskeläinen vergessen! Den man ohne weiteres als eines der am besten gehüteten Geheimnisse der finnischen Literaturszene einordnen darf. Sein nach zahlreicvhen Kurzgeschichten vielbeachteter erster Roman „Lauras Verschwinden im Schnee“ ist im Aufbau Verlag erschienen und ist wohl das, was man als Realfantasy bezeichnen mag. Wobei es Pasi gelingt, geradezu traumwandlerisch sicher den schmalen Grat zwischen Realität und Fantasy zu meistern und damit einen überaus fantasievollen, emotionalen und vor allem spannenden Roman vorzulegen. Der allerdings, soviel sei verraten, keine „leichte“ Lektüre ist, was die Kollegen von „Verlorene Werke“ hier recht eindringlich beschreiben. Klarer Fall: Ein weiterer Lesetipp aus Finnland!
Unser ausdrückliches Fazit nach diesem schnellen Finnland-Aufgalopp? Keine Ahnung, ob Finnland cool ist. Aber seine Autorinnen und Autoren, die sind es allemal! Deshalb ergänzen wir unseren finnischen Literaturrundgang hier gerne noch mit einigen weiteren, sehr empfehlenswerten Autoren und Werken, die zu entdecken sich lohnt: Johanna Holmströms „Asphaltengel“, erschienen bei Ullstein; Juha Itkonens „“Ein flüchtiges Leuchten“, erschienen bei Droemer Knaur; Volter Kilpis „Die Albatros„, erschienen bei Arco; von Finnlands Nationaldichter Alexis Kivi „Sieben Brüder“ (der erste finnische Roman überhaupt); Ulla-Lena Lundbergs „Eis“, erschienen im Mare Verlag; Mauri Antero Numminens herrlich schräges Machwerk „Tango ist meine Leidenschaft“, erschienen im von uns hoch geschätzten Haffmans Verlag; Johanna Sinisalos „Finnisches Feuer“, erschienen bei Tropen; Philip Teirs gnadenloser Gesellschaftsroman „Winterkrieg“, erschienen bei Blessing und schließlich Henrik Tikkanens „Brändövägen 8 Brändö„. Tel. 35“ als erster Teil seiner berühmt-berüchtigten Adressbuch-Trilogie. Und natürlich viele mehr, die wir hier nicht mehr nennen können. Also: selber suchen! Und ansonsten auf den morgigen Tag warten, wenn wir unseren abschließenden Rundgang über die Frankfurter Buchmesse 2014 machen. CU!
Tags: Frankfurter Buchmesse 2014
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