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Frankfurter Buchmesse 2014 (2): Beste Bücher und andere

Veröffentlicht in Kultur, Kunst, Literatur | 09. Oktober 2014 | 23:44:41 | Roland Müller

FBM2014_Stjernstroem

Das beste Buch der Welt – kann man das auf der Frankfurter Buchmesse finden? Gibt es das überhaupt. Aber ja! Zumindest, wenn man Peter Stjernström glauben darf. Der die Chuzpe hatte, sein neues Werk mit dem frechen Titel „Världens Bästa Bok“ zu versehen (oder war’s sein Verlag?). Eben „Das beste Buch der Welt“. Wobei der Titel bereits darauf hinweist, worum es sich handelt: eine Fiktion, deren Inhalt so einfach wie naheliegend ist: Zwei Autoren, der eine mäßig, der andere sehr erfolgreich, beschließen nach hinreichendem Alkoholgenuss, gemeinsam ein Buch zu schreiben, das nicht nur in einem Genre die gängigen Bestsellerkriterien erfüllt, sondern gleich in mehreren. Das kann zwar niemals gelingen, ist aber überaus amüsant zu lesen und eigentlich eine glänzende Satire aufs Autoren- und Verlagshandwerk. Auf Deutsche erschienen bei Dumont. Und uns gleich zu Anfang dieser dritten Messerunde einen Lesetipp wert!

FBM2014_PinkKoffer

Damit machen wir uns dann wieder auf den schweißtreibenden Weg, im Windschatten geschmackvoller Koffergänger Buchneuheiten zu entdecken, die es wert sind, nicht links liegengelassen zu werden. Und ja, wir schrecken dabei auch nicht vor schwererer Kost zurück. Gerade die kann höchstes literarisches Gewicht erreichen. So wie etwa „Das Ungeheuer“…

FBM2014_MoraUngeheuer

Terézia Moras brillanter, anspruchsvoller und wahrlich nicht leicht zu lesender Roman um Darius Kopp, der nach dem Verlust seiner Frau Flora eine Reise in die Tiefe seiner eigenen Depression unternimmt, hat nicht nur zu Recht 2013 den Deutschen Buchpreis verliehen bekommen, es ist nach wie vor großes Kino. Zumal Mora einen ungewöhnlichen Effekt anwendet, um zwei parallele Handlungsstränge gleichzeitig lesbar zu halten – jede Seite ist in eine obere und eine untere Häfte geteilt.

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Oben verfolgt der Leser die selbstzerstörerische Reise Darius Kopps durch halb Europa, während sich in der unteren Hälfte das Tagebuch seiner schließlich im Suizid geendeten Frau abspult. Beklemmend aber sehr, sehr gut geschrieben. Ein bleibender Lesetipp über den Tag hinaus!

FBM2014_LiteraturQuicky

Wer’s hingegen schneller, leichter und weniger umfänglich mag, der modische Convenience-Leser also, den können vielleicht die Booklits des Hamburger Literatur Quickie Verlags begeistern.

FBM2014_ProsaPralinen

Die Prosa Pralinen Sammler aus der Hansestadt haben da ein Geschäftsmodell entwickelt, das sicher nicht zufällig genau jenen hektischen Lifestyle bedient, der sich mehr dem Be- als dem Entschleunigen verschrieben hat. Und da wir alle irgendwie Opfer dieser Entwicklung sind, nun, warum nicht? Immer noch besser Literatur als Fast Food Gericht serviert bekommen als ganz auf den Lesegenuss zu verzichten.

FBM2014_Martin_WildCards

Wenn’s hingegen etwas umfänglicher sein darf, dabei aber überaus fesselnd geschrieben, warum dann nicht einen Blick werfen in George R. R. Martins „Wild Cards“. Nach seinem überaus erfolgreichen, epischen Fantasy Zehnteiler „Game of Thrones“ verlegt die Verlagsgruppe Random House nun wie erwartet auch Martins 2008 entstandenen Doomsday- und Mutanten-Roman. Wie gewohnt brillant geschrieben und ausgesprochen spannend. Ein Selbstläufer im Genre und durchaus ein Lesetipp.

FBM2014_Oetinger

Während wir weiter durch die hehren Hallen der Hochliteratur (oje, wenn’s nur alles auf der Höh‘ wär!) pilgern, vorbei an mehr oder weniger opulenten Messeständen, beschließen wir, bei diesem heutigen Rundgang einfach mal munter weiterzumachen mit ganz konkreten Lesetipps für den einen oder anderen, nicht aber für jeden Geschmack. Denn soviel ist klar: Vor der Apokalypse, wenn sie denn über uns kommt, wollen wir noch so viel wie möglich gelesen haben…

FBM2014_LewisDartnell

Zum Beispiel Lewis Dartnells „Handbuch für den Neustart der Welt“. Mithin also eine Lektüre, die zu den wenigen gezählt werden darf, die auch nach besagtem Weltuntergang noch ihre Nützlichkeit beweisen kann. Der noch recht junge Autor ist Astrobiologe, arbeitet für die britische Raumfahrtbehörde und bringt genau jenen verdrehten britischen Humor ins Spiel, der selbst ein durchaus ernsthaftes Handbuch für die Zeit „danach“ zu einem wirklich köstlichen Lesevergnügen macht. Ganz besonders natürlich dann, wenn es uns gelingen sollte, von den zahlreichen nützlichen Ratschlägen zum Wiederaufbau eines funktionierenden Gemeinwesens nicht Gebrauch machen zu müssen. Ergo ganz klar ein Lesetipp – erschienen bei Hanser Berlin.

FBM2014_AzubiForum

Im Vorbeigehen verkneifen wir uns ein Vorsprechen beim Azubi-Forum von Random House. Rein unseres reifen Alters wegen. Immerhin: Es ist prinzipiell erfreulich zu sehen, dass eine der weltgrößten Verlagsgruppen sich aktiv um Nachwuchs bemüht – hoffentlich nicht nur fürs Kaffeekochen, Bierholen und Champagnerflaschenöffnen.

FBM2014_Mailboxvoll

So oder so werden die Randomhäusler es vermutlich mit einer Generation zu tun bekommen, deren Mailbox permanent voll und deren Akkus schnell leergesogen sind. Aber auch diese unersprießliche Situation lässt sich literarisch verarbeiten. Wie der Kabarettist und Kommunikationswissenschaftler Norbert Peter beweist. „Mailbox voll Akku leer“ spiegelt gnadenlos ironisch und ein ganz kleines bisserl verzweifelt die Welt, in die uns iPhones und iPads hineinziehen. Durchaus lesenswert, insbesondere wenn der eigenen Nachwuchs gerade in die entsprechende Lebensphase eingetreten ist.

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Vertreter unserer Generation hingegen quälen früher oder später ganz andere Fragen. Einiger davon hat sich Bodo Kirchhoff angenommen und mit „Verlangen und Melancholie“ ein sehr privates, sehr intimes Buch vorgelegt und eines, das typisch für ihn, wieder höchst reflexiv daherkommt. Ein Gegenstück zu Terézia Mora? Irgendwie schon. Andererseits auch nicht. Und sicher mehr als das Weltschmerzbuch eines traumatisierten Witwers. Sondern Denkanstoß für jedermann, der sich irgendwann die Frage stellt: Habe ich „sie“ wirklich gekannt? Und genau deshalb ein Lesetipp für den der’s erträgt.

FBM2014_PerryRhodan

Wie leichtgewichtig nehmen sich daneben doch die Perry Rhodan Romane des Moewig Verlags aus, sollte man meinen. Früher waren das mal die „Schundheftchen“, die unsere Eltern uns abgewöhnen wollten. Vergebens natürlich. Und heute? Als einer, der durchaus den Überblick hat über die bisher erschienenen 2771 Folgen der größten Science-Fiction-Serie der Welt, muss ich (richtig erkannt: diesmal nicht „wir“) zugeben, dass sich die Komplexität der Plots, die Tiefe der Charaktere und die sprachliche Qualität gerade im 2600er und nun im 2700er Zyklus auf ein beachtliches Niveau emporgeschwungen haben. Es ist also durchaus legitim, alte Jugendsünden wieder einmal aufzugreifen. Nur Mut!

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Wer hingegen eher auf richtige Sünden statt auf Jugendsünden steht, dem empfehlen wir (ja, jetzt wieder „wir“) Shane Kuhns Debütroman „Töte deinen Chef“. Abgesehen von der wunderschönen Titelillustration – man bemerke nur die beiden Tesaroller als Augenhöhlen! – hat Kuhn meine volle Sympathie. Und volles Verständnis für das vielleicht auslösende Moment, ein solches Buch zu schreiben: Er war ebenfalls Texter und Kreativdirektor in allerlei Werbeagenturen. Da muss man früher oder später auf eine solche Idee kommen. Sehr lesenswert, wenn auch nur im Notfall zur Nachahmung empfohlen: Lesetipp!

FBM2014_Leutenegger

Wie leise, scheu und verhalten kommt dagegen Gertrud Leutenegger daher, die Zürcher Autorin, die mit „Panischer Frühling“ einen wunderbar leichten, stillen und sprachlich wie erzählerisch hochrangigen Roman über das Erzählen an sich und das Wiederfinden der eigenen Geschichte in einem anderen Menschen geschrieben hat. Spielend in London, verlegt bei Suhrkamp und in die Short List des Deutschen Buchpreises 2014 aufgenommen sind diese 218 Seiten einen dicken, fetten Lesetipp wert! Übrigens war dies das einzige Buch, das wir direkt auf der Buchmesse gekauft haben und gleich signieren ließen…

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Es muss ein Zufall gewesen sein, dass „Panischer Frühling“ in London spielt und wir kurz darauf vor einem typischen Londoner Taxi stehen. Mitten in der Messehalle. Darin ein Mensch, der intensiv die Tastatur seines Laptops malträtiert. Was bitte soll das?

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Nun, ganz einfach. Wir nähern uns den modernen Zeiten des Verlagswesens. Denn hinter diesem Showstopper verbirgt sich erlesen.tv, ein Projekt in Hamburg, das Bücherbegeisterten im Rahmen zehnminütiger Livestreams Autorenstimme und Werk verbindet und hörbar macht. Eine spannende Idee. Und ein kreativer Versuch, die Grenzen des Geschriebenen zu überqueren. Auch wenn nicht unbedingt jeder Schriftsteller die Stimme und das Intonierungsrepertoir hat, um seine eigenen Texte adäquat vorzutragen.

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Bevor uns so langsam die Energie ausgeht nach einem erneut langen Messetag, werfen wir noch einen Blick auf arte, wo man sich dankenswerterweise den etwas sperrigeren Themen und Autoren widmet, auch und gerade solchen, die eben nicht mit dem literarischen Mainstream schwimmen. Najem Wali zum Beispiel, der irakische, in Deutschland lebende Schriftsteller, der mit „Bagdad Marlboro“ bei Hanser einen neuen, sehr lesenswerten Roman vorlegt, der den Leser mehr als jede der uns allen bekannten betroffen oberflächlichen Kurzreportagen in die Realität einer der unberechenbarsten Krisenzonen des Nahen Ostens hineinzieht. Auch das ein klarer Lesetipp.

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Und mit einem weiteren Lesetipp wollen wir auch den heutigen Rundgang beschließen. Heinrich Steinfest, einem verschmitzten Österreicher, ist das gelungen, was vielleicht am schwersten ist – ein mit leichter Hand hingeworfener , gleichwohl sorgfältig aufgebauter Unterhaltungsroman, der schmunzeln lässt, vergnüglich zu lesen ist und damit in der Tristesse des Frankfurter Regenherbstes das Herz erwärmt ohne das Hirn zu überstrapazieren. „Der Allesforscher“ ist bei Piper erschienen und unser abschließender Lesetipp für heute. Morgen werden wir uns dann endlich auf Finnland konzentrieren, seine Eigenarten und seine Schriftsteller. Und soviel sei schon verraten: das wird richtig spannend! CU tomorrow.

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