Da stehen wir also nun wieder. Statt vorm Fernseher zu sitzen wie ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz unserer lieben Mitmenschen, mit einer Tüte Chips bewaffnet und einem Dosenbier. LOL. Dies ist die sechste Frankfurter Buchmesse, von der wir ausführlich berichten. Und wie es scheint, wird es eine der bislang spannendsten Ausgaben dieser Monstermesse werden. Stürzen wir uns also hinein ins Gewühl. Auch wenn das am ersten Fachbesuchertag, gleich morgens, noch gar nicht so wild war…
Noch geht’s kommod zu im Obergeschoss von Halle 3, wo S. Fischer, Suhrkamp und andere Schwergewichte des deutschen Verlagswesens entspannt die Fachbesucherlawine des späten Vormittags ab. Und ja, die wird kommen.
So gewiss wie die üblichen Verdächtigen unter den Best- und Zweitbestsellern. Ob es die Toten Hosen schaffen werden mit ihrer gemeinsamen Autobiographie „Am Anfang war der Lärm“? Die sich den Titel übrigens mit der 2015er Tournee der lautstarken Musikanten teilt…
Wir schlendern weiter, realisieren hier und das etwas handfestere Literatur wie beispielsweise Sergej Lochthofens „Grau“. Der Ex WAZ-Gruppe Chefredakteur entwickelt sich immer mehr zum äußerst produktiven Autor und legt mit seinem jüngsten Werk bei Rowohlt eine, seine Lebensgeschichte vor. Die, soviel darf man vorwegnehmen, beim ersten Durchblättern zumindest sprachlich alles andere als grau erscheint, sondern DDR-Tristesse und UdSSR-Präsenz athmosphärisch überzeugend beschreibt. Fast unser erster Lesetipp!
Wir mäandern weiter, stoßen hier und da bereits auf erste TV-Aufnahmeteams, die wichtige Menschen ins rechte Licht setzen…
…amüsieren uns über bühnenreife Marketing-Inszenierungen wie jene um „Bozzetto“, den historisch fundierten Kunst-Thrillers des Autorengespanns Hermann Alexander Beyeler und Gerd J. Schneeweis. Hoffend, dass der Inhalt der aufwändigen Verpackung des Weissbooks Verlags standhält und die Leser nicht enttäuscht zurücklässt. Immerhin, die Geschichte als solche bringt eigentlich alle Versatzstücke eines spannungsreichen Bestsellers mit sich. Wir werden uns wohl ein Exemplar besorgen und mal reinlesen. Noch ist es auch hier zu früh für einen Lesetipp.
Sehr wohl ein solcher ist dieser: „King Cotton“, die bei C. H. Beck erschienene deutsche Ausgabe von Sven Beckerts brillanter Beschreibung von Aufstieg und Fall des Baumwoll-Imperiums, ist für uns eines der wichtigsten und lesenswertesten Sachbücher dieses Jahres. Spiegelt sich doch in der Thematik jegliche Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus in seiner rohesten, ungeschliffensten und ungezügeltsten Form. Manch einer würde das wohl Neo-Liberalismus nennen – ohne zu realisieren, dass eben doch alles schon lange da gewesen ist, worunter wir auch heute noch und wieder leiden. Unser erster Lesetipp!
Soviel schwergewichtige Einsicht in die bis ins Jetzt reichenden Auswüchse des kapitalistischen Prinzips überredet uns fast dazu, rechts und links des Buchmesse-Irrweges einzukehren. Ja, das wäre ganz leicht. Denn die Zahl von Verlags-Bars, -Bistros und -Snackstops hat irgendwie seit vergangenem Jahr beträchtlich zugenommen. Und erfreut sich regen Zuspruchs selbst jüngster Buchmessebesucher.
Ein Schwergewicht ganz anderer Couleur treffen wir ebenfalls. Am Stand des Deutschlandfunks beginnt der diesjährige Träger des Buchpreises des Deutschen Buchhandels, Lutz Seiler, seine unvermeidliche Interview-Tournee. Der sprachgewaltige und längst etablierte Poet, dessen bei Suhrkamp verlegter Debütroman „Kruso“ nicht nur der Insel Hiddensee ein Denkmal setzt, sondern auch ansatzlos die Bestsellerlisten stürmen wird, offenbart sich im echten Leben als angenehm selbstironischer und mit beiden Füßen fest auf dem unsicheren Boden des Autorentums stehender Zeitgenosse, der den ganzen Rummel um seine Person mit einem Achselzucken abzutun vermag. Sehr angenehm.
Doch schon zieht es uns weiter vorwärts. Sehen wir da nicht Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (links im Bild) im Gespräch mit…, ja, mit wem eigentlich? Ein Blick auf die Vorankündigung am Stand des Vorwärts Verlags klärt uns auf: Es handelt sich um Marcel Fratzscher (rechts) und den Moderator Jörg Hafkemeyer (Mitte). Und das Thema ist das Buch Fratzschers mit dem Titel „Die Deutschland Illusion“. Man könnte sagen: das richtige Buch zur richtigen Zeit. Nämlich einer Zeit, in der eine zunehmende Zahl einseitig sichtiger Mitbürger zu jenen Retropäern überläuft, die meinen, Europa und der Euro seien bäh und Deutschland ohne beide viel, viel besser dran. Ein wichtiges Buch, wie es scheint. Vielleicht mal reinschauen?
Vorbei am gewohnt großräumigen dtv Stand schlendern wir weiter unseres ungeplanten Weges, auf der Suche nach nunmehr etwas leichterer Kost. Und natürlich werden wir fündig.
Michael Köhlmeyers „Zwei Herren am Strand“ scheint genau unsere Kriterien zu erfüllen. Erschienen bei Hanser, beschreibt es die fiktive oder reale Freundschaft von, ja, genau, zwei Männern mit vielen „C“ im Namen und gesellschaftlichem Gewicht: Winston Churchill und Charly Chaplin. Genau so verblüffend, frech und tiefsinnig wie es wohl gewesen sein könnte, wenn gerade diese beiden Charaktere aufeinandergetroffen wären. Sind sie’s vielleicht sogar? Egal. Das ist jedenfalls unser zweiter Lesetipp.
An diesem Punkt angekommen und nach den ersten drei Stunden Fußmarsch einigermaßen hungrig, gönnen wir uns auf der Agora am Wok-Stand eine Schale leckeren Reis mit Hühnchen und frischem Gemüse. Was in genau dieser Kombination das perfekte Messebesucher-Asiafood ist, belastet es doch nicht über Gebühr, lässt den Kopf klar und den Verdauungstrakt fidel. Gestärkt gehen wir danach in die heutige Endrunde…
Wir freuen uns im Vorbeigehen, dass die grandiose US-Autorin Donna Tartt endlich den Weg in den heimischen Buchmarkt gefunden hat und mit „Der Distelfink“ nicht nur den Pulitzer-Preis verdient (und bekommen) hat, sondern auch jede Menge deutsche Leser…
Wir erschrecken uns beim Verlassen der Halle 3 über Angebote, die einer eher gewöhnungsbedürftigen Positionierung folgen und fragen uns insgeheim, wie wohl „unchristliche“ Geschenkideen beschaffen sein mögen.
Wir haben das Glück und die Ehre (beides Bürgerpflicht?), quasi über Bundespräsident Gauck und seine Entourage zu stolpern, die, umschwärmt und bedrängt von einer Horde Foto-, Film- und Überhauptjournalisten den Finnland-Pavillon besucht – von dem wir morgen gerne mehr berichten werden).
Und schlussendlich fühlen wir uns fast ein wenig an vergangene MacWorld Expo Zeiten erinnert, als wir an einer WLAN-Zone vorbei wieder Richtung Ausgang streben, um unser heutiges Tagespensum in eben jene Worte zu fassen, die Sie, liebe Leser und Messemitbesucher, soeben in sich aufgesogen haben. Morgen geht es dann in neuer Frische weiter. Sie beleiben uns doch treu, oder? CU tomorrow!
Tags: Frankfurter Buchmesse 2014
« Frankfurter Buchmesse 2014 (0): Der Tag davor | Frankfurter Buchmesse 2014 (2): Beste Bücher und andere »