Offenbar geht Lesen durch den Magen! Jedenfalls waren zwei freundliche Damen eines ungenannten Kleinverlages in Halle 4 so nett, ein Foto ihres Jubiläumskuchens zu erlauben. Mehr noch, sie boten ein Stück davon an. Das waren uns zwar der Kalorien zuviel, aber irgendwie fanden wir es natürlich auch passend. Denn heute, bei diesem dritten Messe-Rundgang, sollten ja Gourmets und Gourmands zu Wort kommen. Stürzen wir uns also in die Kalorienliteratur…
Unser Rundgang begann ganz unliterarisch in der etwas anmaßend mit „Gourmet-Gallery“ bezeichneten Lounge in der Halle 4, wo unten die internationalen Verlage und weiter oben die Kleinverlage und Hörbuchanbieter untergebracht waren. Als wir hier auftauchten, waren die Reihen der Zuschauer noch nicht gefüllt. Das sollte sich aber ändern. Denn im Rahmen der stündlichen Koch-Shows – mein Gott, wie im TV! – war Chef Wan angekündigt, ein Koch und TV-Star aus Malaysia.
Chef Wan machte sich schon mal mit den Installationenn der Eintagsküche vertraut, während das Publikum geduldig auf die kostenlosen Häppchen wartete, die während der Koch-Show abfallen sollten. Mitveranstalter dieses Koch-Events war „Gourmand World Cookbook Awards“, eine Institution, die alljährlich die besten Kochbücher der Welt prämiert.
Da wir nicht wegen irgendwelcher Gratishäppchen auf der Büchermesse waren, sondern um uns mit Büchern zu beschäftigen, wandten wir uns genau diesen dann auch zu. Immerhin hatte man hier im Kochstudio-Umfeld auch allerlei Lesbares drapiert. Naheliegenderweise mit einer eingedeckten Tafel kombiniert. Und überraschenderweise hat uns dies dann doch zu einem unerwarteten Lesetipp inspiriert…
Das ausgesprochen fundiert geschriebene und fulminant ausgestattete Standardwerk aller Schlemmer nennt sich „Das Gourmet Handbuch“, ist verfasst von Udo Pini – ein Gründungsredakteur von FAZ- und ZEIT-Magazin – in Neuauflage bei Ullmann/Tandem erschienen, ausgezeichnet mit der Silbermedaille der GAD Gastronomische Akademie Deutschland und tatsächlich ein Gewinn für den kulinarisch interessierten Haushalt.
Wie es sich für ein Handbuch gehört, lässt es keine Gourmet-Frage unbeantwortet. Und war Anlass für eine wunderbare, akademisch völlig verquaste Rezension hier.
Nachdem uns das bereits ausreichend den Mund wässrig gemacht hat fürs Gastronomisch-Literarische, gehen wir ein paar Schritte weiter zum Stand von Gourmand, die alljährlich den World Cookbook Award verleihen und auf dieser Messe mit reichlich Quadratmetern protzen, vorzügliche Spirituosen ausschenken und einen opulenten Überblick über Hunderte von hedonistischen Werken der Koch-, Wein- und sonstigen Lebensart bieten.
Aus der unübersehbaren Vielfalt des Angebots greifen wir zwei der etwas extremeren Publikationen heraus. Beide, jede für sich, ein Fest für die Augen und durchaus ein Schwelg- und Lesetipp für jene, die nicht unbedingt auf den Euro achten müssen…
Erschienen in der Collection Rolf Heyne hat Frankreichs fulminanteste schauspielernde Nase Gérard Depardieu – seit 2003 Restaurant-Inhaber – zusammen mit dem jungen und angesagten Starkoch Roland Trettl aus Salzburg (‚Ikarus‘) unter dem Titel „Kulinarische Festspiele“ eine Sammlung seiner Lieblingsrezepte herausgegeben.
Optisch opulent aufbereitet, mit fantastischen Fotos und eher im Stil einer klassischen Bildreportage präsentiert. Für Weinnasen, Gastroleser und, nun ja, Lifestyle-Klientel ein „Muss-Buch“ fürs gepflegte Bulthaup-Ambiente.
Wem das noch nicht artifiziell genug ist, der greift zu Stéphane Leroux‘ „Matière Chocolat“ und genießt für lumpige 149 EUR auf 416 Seiten – also für gerade mal 36 Cent pro Seite – eine ausschweifende und äußerdst bibliophile Reise durch die hohe und höchste Chocolatier-Kunst. Nach so viel Gourmandise wanken wir völlig übersättigt zurück in Halle 3. Allerdings, auf dem Weg dorthin verschonen uns auch die Ehrengäste der Messe nicht mit ihrer Küchenkultur. Was ist los? Sehen wir etwa überall nur noch Kochbücher?
Es scheint fast so. Schon wollen wir Luft holen, tief durchatmen, als uns die Halle 3 wiederhat. Wir verweilen kurz am Stand von Gräfe & Unzer…
Oops! Entschuldigung. Wir vergaßen. Das ist ja Deutschlands führender Verlag für… Kochbücher! Ausgerechnet, Und tatsächlich, Gleich vorne rechts vor den Bücherregalen wird nicht gelesen, sondern…? Klar, vorgekocht!
Monika Schuster, Köchin und Food-Designerin, erklärt vor laufender Kamera… ach egal, irgendetwas Essbares eben. So langsam vergeht uns der Buchappetit bei so viel Kochkunst. Wir ziehen weiter.
Und geraten mitten hinein in eine Party am Stand des Matthaes Verlags. Und wir ahnen schon, ja, es handelt sich um einen Fachverlag für Hotellerie und Gastronomie. Nachdem uns aber niemand zum fröhlichen Mitfeiern einlädt, lassen wir die bereits leicht angeheiterte Verlagstruppe hinter uns, um ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo wir für eine Viertelstunde verschnaufen können. Wir finden es…
Werden allerdings auch hier von gutgemeinten Küchenhelfern belästigt. Grrrr…
Wir geben auf. Wir strecken die Waffen. In Halle 3.1 Foyer Ost, im edlen Buchmesse Restaurant ‚Trilogie‘ des Wiesbadener Tre Torri Verlags lassen wir den Tag ausklingen. Und hier, ausgerechnet hier, gefällt uns das Konzept, kulinarisch wie bibliophil: Rundum kleine Tische, eine sehr gute, von Slow Food inspirierte Speisekarte und zentral ein langer, gewichtiger Mitteltresen, der voller Bücher zum Lesen einlädt. Durchaus Koch- und Genussbücher, klar, aber hier an dieser Stelle und so präsentiert, das lassen wir uns gefallen.
Morgen, am Sonntag, dem letzten Tag der 61. Frankfurter Buchmesse, gibt’s dann abschließend noch ein paar „richtige“ Bücher zu sehen und zu besprechen. Sowie allerlei Skurriles, was uns auf den langen, mäandrierenden Wegen durch die Hallen aufgefallen ist. Vielleicht schaffen wir es sogar, noch ein kleines Messevideo via YouTube fertigzustellen und zu verlinken, mal sehen. So oder so: stay tuned!
Tags: 61. Frankfurter Buchmesse, Kochbücher, Messereportage
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[…] Ganz ehrlich, wir haben noch nie zuvor soviel Kulinarisches auf einer Frankfurter Buchmesse angetroffen wie diesmal. Ist das der endgültige Sieg des Lifestyles über das karge Bücherwurmdasein? Oder Vorboten eines verschärften Cocoonings angesichts Finanz- und Sinnkrise der Gesellschaft? Egal, wir machen das Beste daraus – mit unserem dritten Messebericht im digitalen Café… […]
[…] Den originalen Beitrag finden Sie hier http://www.cafedigital.de/2 … | Roland Müller […]