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Schokolade

rp08.3: Von Aktivisten und Aufträgen

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Medien, Technologie | 05. April 2008 | 13:03:16 | Dirk Kirchberg

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Der dritte Tag einer jeden Konferenz ist für mich immer der Tag, an dem bei mir ein wenig die Luft raus ist. Meist liegt es daran, dass ich trotz selbst verordneter früher Bettruhe meist schlecht geschlafen habe, weil das Kopfkissen zu hart, zu weich oder zu [insert random phrase] war. Ja, ich gebe es zu, ich bin bequem geworden. Ich bin raus aus dem Alter, als der Schlafsaal eines Hostels noch ein großer Spaß war…

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Wie die Publikumspräsenz um 10 Uhr bewies, war ich nicht der Einzige, der lieber noch ein wenig liegen geblieben wäre. Aber es hilft ja nix – die Revolution sind wir. Und wenn wir nicht in die Gänge kommen, fällt die Weltverbesserung eben aus.

Die Optimierung unseres kleinen blauen Planeten stand auch auf dem freitäglichen Programm. Und so berichtete Thenmozhi Soundararajan von Media Justice, wie sie daran arbeitet, unterprivilegierten Menschen die Werkzeuge für eigene Medienproduktionen in die Hände zu legen, damit sie zu ihrer eigenen Stimme finden in diesem Meer der monströsen Medienunternehmen.

Besonders beeindruckt hat mich – wie bereits sein erster Vortrag am Donnerstag auch – Brian Conley von Alive in Baghdad. Er betreibt zusammen mit irakischen Journalisten ein Videoblog, in dem Bürger auf der Straße zu Wort kommen. Jede Woche entstehen eindrückliche Dokumente, die in den großen Medien keinen Platz finden. Denn viele Redaktionen haben gar keine eigenen Reporter mehr vor Ort. Zu unsicher, so oft der Tenor.

Natürlich ist es brandgefährlich im Irak, aber Brian und seine arabischen Kollegen machen vor, dass es eben doch möglich ist, abseits des Klischees eindrücklich und informativ zu berichten.

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Auch die ARD hat keine eigene Crew mehr in Baghdad. Aber die Öffentlich-Rechtlichen, auf der re:publica vertreten durch die ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann, haben derzeit ja auch ganz andere Sorgen. Ihr Auftrag wird dieser Tage nämlich vermutlich neu formuliert, was zur Folge haben könnte, dass die große neue Internetstrategie, die die ARD verfolgt, demnächst vielleicht schon wieder Geschichte ist. Es folgte ein vorhersehbarer Sermon mit Begriffen wie ausgewogene Berichterstattung und Qualitätsprogramm. Was von der derzeitigen Diskussion zu halten ist, wurde von einem Nutzer der SMS-/Twitter-Wall wunderbar kurz zusammengefasst: „Kultur in Form von Bruce Darnell?“

Besonders erschreckend fand ich, dass das deutsche Medienrecht die letzten 10 Jahre völlig verpennt zu haben scheint. Das äußerte sich in Formulierungen wie etwa: „Wir müssen vielleicht alle Inhalte nach sieben Tagen wieder aus dem Internet nehmen.“ Das sollen die uns mal zeigen. Internet-Medienkompetenz bei den Öffentlich-Rechtlichen scheint leider immer noch ein Buch mit mindestens sieben Siegeln zu sein. Aber solange die Quote des Stadls stimmt…

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Zwischen den Vorträgen, die zeitlich nahtlos aneinander gereiht waren – Daran könnte das Orgateam für nächstes Jahr bitte nochmals basteln! –, blieb kaum Zeit, einmal Luft zu holen. An der Bar schnell mal ein Vitamalz für den Akku gezischt, und schon ging’s weiter. Oder, wie in meinem Fall, eben manchmal auch nicht. Denn anstatt mir noch einen Vortrag reinzutun, habe ich lieber mal Luft geholt, versucht, meinen eigenen Gedanken zuzuhören – Wie fand ich das denn gerade? – oder einfach mal einen Weißabgleich durch den Kopf zu schicken. So vieles will verarbeitet und bewertet werden.

Fazit meiner ersten re:publica: Wenn neben den technischen Themen noch mehr vergeistigte Diskussionen stattfinden, wird die re:publica noch wichtiger. Denn neben technischen Neuerungen sind gerade Vorträge wie der zum nützlichen Vergessen wegweisend für die Entwicklung des Internets. Wir dürfen Fortschritt nämlich nicht mit Bewegung verwechseln!

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Ich bin nächstes Jahr mit Sicherheit wieder dabei. Ein großes Dankeschön an die Veranstalter, dass rund 1.000 Teilnehmer eine angenehme Location genießen, spannende Vorträge verfolgen und viele neue Kontakte knüpfen konnten. Diese drei Tage waren willkommenes Futter für den Verstand. Das abschließende Freibier war dagegen kein Genuss, aber einem geschenkten Gaul soll man ja auch nicht zu tief in den Rachen schauen…

P.S. Ab nächster Woche sollen übrigens alle aufgezeichneten Vorträge und Diskussionen im Netz verfügbar sein. Auf der re:publica-Website wird angekündigt werden, wo diese zu finden sein werden. Bis dahin gibt es jetzt schon zahlreiche Audiostreams zum Nachhören.

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3 Antworten zu “rp08.3: Von Aktivisten und Aufträgen”

  1. 06. April 2008 um 16:32:59 | dan sagt:

    danke, für deine schöne (bebilderten) berichte von der re:publica08. ich suche gerade vergelcihe im netz vom vorjahr, da es letztes Jahr noch „kleine“ war (egal jetzt ob gut oder schlecht). frage bleibt: wird die rp ein „ccc-kongress“ minus technik? wird sie relevant (mit aussenwirkung) oder doch nur „klassentreffen“?

  2. 07. April 2008 um 10:47:14 | Roland sagt:

    Ebenfalls herzlichen Dank an Dirk von der restlichen Redaktion des Cafés! Wir wissen alle zu schätzen, dass Du Dir die Nächte um die Ohren geschlagen und dubiose Getränke in den Rachen geschüttet, um uns die re:publica nahezubringen…

    analoge Grüße aus dem verschneiten Taunus (Roland et al)

  3. 07. April 2008 um 11:31:24 | palindrom sagt:

    Schönen Dank für die angenehme Berichterstattung! Dieser persönliche Stil gefällt mir außerordentlich gut und ist wunderbar lesbar. Nichtsdestrotz ist mir der tiefere oder weitere Sinn der Gesamtveranstaltung nicht ganz klar geworden, aber vielleicht les‘ ich das noch mal nach …