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In memoriam Marcel Reich-Ranicki

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Literatur, Medien | 30. September 2013 | 15:24:06 | Roland Müller

RR_inmemoriam

Eigentlich ist alles längst gesagt worden zum Tod des unbestritten bedeutendsten Literaturkritikers deutscher Sprache. Eigentlich. Auch seine teils dramatische Vita darf man getrost als bekannt voraussetzen. Seine Gestik, sein Nachdruck, seine Verve, seine Leidenschaft für die Literatur – weniger die Literaten – hat sich zweifellos in die Retina unserer Generation eingebrannt. Nicht zuletzt dank seiner mittlerweile legendären TV-Auftritte beim Literarischen Quartett. Doch kann sich unsereiner, die wir „die Gnade der späten Geburt“ genießen, wirklich vorstellen, wie heiß die Liebe zur deutschsprachigen Literatur in diesem Mann gelodert haben muss, wenn er sich davon getrieben über die brutalen persönlichen Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Barbarei hinwegzusetzen vermochte? Nein, für uns kann das mangels eigener Anschauung nur Theorie bleiben, vor der wir verstummen. Sprachlos. Sprachlos auch vor der Wortgewalt, der oft brillanten Zuspitzung, mit der R-R das in seiner Wahrnehmung Verrisswürdige verriss, ohne Zögern und ohne Gnade. Insbesondere dann, wenn es ihn langweilte. Was eines seiner wesentlichen Kriterien für die literarische Qualität war, wenn denn alle sonstigen Formalien erfüllt waren. Genau so war er aber auch willens, das nach seinen Maßstäben Außergewöhnliche zu loben und zu preisen, ja mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, wenn der Rest der Kritikerwelt ansetzte, es im Detail zu relativieren und im Sowohl als auch zu versinken. R-R wird uns in Erinnerung bleiben als der vielleicht letzte Apologet des radikalen Urteils, der geplanten Dissonanz, der nie eine Auseinandersetzung scheute, sie oft sogar genoss und dabei gerade so viel Eitelkeit aufbrachte, wie notwendig ist, um in der bildgeilen Welt belangloser Abendunterhaltung einen Fixpunkt zu setzen. Zeit, sich das allererste Literarische Quartett noch einmal im Bewegtbild anzuschauen und – falls nicht schon geschehen, R-Rs Autobiographie noch einmal in die Hand zu nehmen. Marcel Reich-Ranicki wird uns, er wird mir fehlen.

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