Heute also geht es offiziell los. Die Frankfurter Buchmesse 2015 hat ihre Tore geöffnet für (vorerst) das geneigte Fachpublikum. Wobei wir nicht ausschließen wollen, dass der eine oder andere Frankfurter Schüler Mittel undn Wege gefunden hat, sich über seinen Lehrkörper eine Freikarte zu beschaffen. Sei’s drum. Immer noch besser als daddeln, facebooken oder fernsehen. Wir jedenfalls machen uns auf den bekannten Weg unter Nutzung aller mobilitätsfördernden Förderanlagen, um in den kommenden Tagen der neuen, laut Buchmesse-Direktor Boos viel politischeren Buchmesse auf den Weisheitszahn zu fühlen.
Immerhin, bereits der erste Hallenplan zeigt auf, dass sich tatsächlich an der Belegung etwas geändert hat. Allerdings weniger an unserer klassischen Erstanlaufstelle. In Halle 3.0 finden wir den Einstieg ins Messe-Chaos und statten den Ständen der größeren deutschsprachigen Verlage unseren Antrittsbesuch ab…
Und tatsächlich: Wie seit Jahren gewohnt, lauern direkt hinter dem Eingang wieder linker Hand Gräfe und Unzer nebst unüberschaubarem Kochbuchangebot. Und rechts Ulmer. Nun gut. Wir fühlen uns vorläufig noch nicht intellektuell überfordert von der neuen Messebelegung, solange sie die alte ist. Offenbar hat Boos zwar einige Hallenbelegungen geswitcht, aber den internen Kontext der Verlagsstände bewahrt.
Und ebenso offenbar ist bereits auf den ersten Blick, dass die üblichen verdächtigen Produktivitätsmeister auch dieses Jahr wieder mit neuem Titel präsent sind. Umberto Eco beispielsweise, mit seiner „Nullnummer“, hierzulande erschienen bei Hanser. Überraschend allerdings ist der Inhalt dieses neuesten Romans. Denn im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger spielt er (fast) in der Jetztzeit – im Jahr 1992 – und alles andere als im Kloster. Es handelt sich unverkennbar um eine Berlusconi-Kolportage. Der, wie wir uns erinnern, 1992 seinen unaufhaltsamen Aufstieg begann. Was plötzlich unser Interesse an Eco wiedererweckt. Lohnt sich ein Blick? Wir blättern ein wenig ungezielt durch Anfang, Mitte und Ende des Gesellschaftsromans. Geistreich, kreuz und quer durchs Medien-, Mafia-, Geheimdienst- und Zuhälter-Milieu bespiegelt Eco mit leichter Hand die Tragikomik der jüngeren italienischen Geschichte. Ein ungewohnt leichtfüßiger Lesespaß und uns (fast) eine erste Kaufempfehlung wert.
Wie gesagt, fast… Denn unsere erste Lese-Empfehlung gehört ganz eindeutig Milan Kuderas „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“! Ebenfalls bei Hanser verlegt. Endlich, nach 15 Jahren, wieder ein Roman vom Erfinder der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Das weckt naturgemäß große Erwartungen. Die der schmale Band teilweise zu erfüllen vermag, teilweise vielleicht auch nicht. Je nach Standpunkt und Alter des Lesers ist das gewiss sehr unterschiedlich zu beantworten. Was der eine Leser als langsames Abrutschen in Kitsch wahrnehmen mag, könnte der andere als illusionslose Altersweisheit verstehen. So oder so lohnt es sich, einen Blick in den schmalen Band zu werfen. Auch und gerade, weil etliche Rezensenten nicht unbedingt glücklich werden mit der Beziehungsgeschichte vierer alter Herrn in Kuderas Paris. Aber das kann schlicht am Lebensalter liegen…
Vier alte Herren? Nein, das ist jetzt unfair. Denn erstens sind die vier Herren, denen wir ein paar Stände weiter bei der Süddeutschen Zeitung begegnen, nicht alt, sondern höchstens älter. Und zweitens kreist ihr Leben nicht um Bedeutungslosigkeit, sondern in diesem Podiumsfall um Genuss in all seinen Darreichungsformen. Der Teufel mag wissen, was die SZ geritten hat, dies zum Sammelthema einer Podiumsdiskussion zu machen. Einer, aus der zumindest Denis Schecks süffisantes Lächeln angenehm heraussticht. Der belesene Protagonist von druckfrisch ließ sich dann auch in gewohnt scharfzüngiger Weise über die den Tisch zierenden Genusswerke aus. Das zumindest war ein Zuhörspaß.
Aber eigentlich sind wir ja nicht zum Zuhören auf der Buchmesse – naja, manchmal schon – sondern um interessante Neuerscheinungen aufzustöbern. Oops! Schon wieder im Hanser Verlag erschienen, dieses Buch. „Das Universum ist eine Scheißgegend“ verspricht allerdings, was der Titel hält. Denn was die österreichischen Science Busters Oberhummer, Puntigam und Gruber da zusammengeschraubt haben, ist mehr als lesenswert. Zwei Physiker und ein Satiriker erklären das Weltall. Herrlich! Schwarz wie der Kosmos ist auch der Humor, mit dem wir in diesem Buch durchs Universum reisen. Nicht per Anhalter, aber mit einer verblüffend daran erinnernden Attitüde. Ganz klar unsere zweite Lese-Empfehlung!
Angeregt ziehen wir weiter durch Halle 3.0, vorbei an wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden geschossenen Books on Demand und Selfpublishing Ständen…
Wir stolpern fast in einen vom Goldmann Verlag (Random House) ausgeschütteten Stapel Elizabeth George Romane und können gerade noch warnend rufen „Bedenke, was du tust!“ Lassen es dann aber, nachdem wir zwar die vorangegangenen 18 Inspektor-Lynley-Romane nicht gelesen, aber die eine oder andere TV-Verfilmung genossen haben. Bei aller Faszination für seinen alten Bristol 410 (oder war’s doch ein 411?) brauchen wir den 19. Roman der Reihe nicht wirklich…
Was wir hingegen unbedingt brauchen, ist unsere dritte Lese-Empfehlung: „Der Gipfel Dieb“ von Radek Knapp, erschienen bei Piper. Eine so wunderbare Melange aus polnischem Mutterwitz und österreichischem, speziell Wiener schmäh, wie sie nur zusammengerührt werden kann von einem in Warschau geborenen und in Wien lebenden Autor, der schon das eine oder andere Eigenerlebte seiner Vita mit einfließen lässt in die skurrile Geschichte des Heizungsablesers Ludwik Wiewurka. Ein Schelmenroman allererster Güte, der kreuz und quer durch die Wiener Wohnungen immer wieder Erstaunliches zutage fördert. Vorsichtig gesagt. Großes Kino in der kleinstmöglichen Perspektive.
Das wäre doch zum Beispiel eine wunderbare Buchbesprechung für die frisch als Mitglied des neuen Literarischen Quartetts gekürte Zimmer-frei-Mitgastgeberin Christine Westermann. Denn nach dem Debüt des ein wenig krampfigen Quartetts mit zum Teil reichlich verquasten Buchvorstellungen ließe sich mit dem Gipfeldieb sicher punkten. LOL. Dabei fällt uns ein, dass wir zwei Meter zuvor den unsäglichen Volker Weidermann gesehen haben, seines Zeichens leitender Moderator oder was auch immer der Literarischen Quartett Cover-Version. Und gerade angesprochen von einem Fachpassanten älteren Semesters und sichtlich erfreut, dass ihn da jemand erkannte, nur um gleich darauf traurig kuhblickend irritiert zu sein, als der besagte ältere Herr sich sofort korrigierte mit einem „Entschuldigung, ich muss sie verwechselt haben!“ Verwechselt? Mit wem?
Aber lassen wir das. Es gibt auch überraschende Begegnungen an diesem ersten Messetag zu vermelden. Ein Stand der Bundesbank auf der Frankfurter Buchmesse. Na, das ist doch endlich mal politisch, oder? Und Dr. Jens Weidemann, der Präsident der Deutschen Bundesbank höchstderoselbst gab sich die Ehre, Studenten und Passanten über die Bedeutung des Geldes aufzuklären. Was er, ganz ohne jede Ironie gesagt, in der ihm eigenen sachlichen und zurückhaltenden Art und um so überzeugender vermochte. Ein guter Mann an der richtigen Stelle. Und am richtigen Ort, Denn worum geht es auch bei der neuen, politischeren Frankfurter Buchmesse 2015 vor allem? Richtig, ums liebe Geld.
Wir schlendern mit zunehmend müderem Bewegungsapparat weiter zum Stand der FAZ, die einmal mehr etablierte Autoren lesen lässt. In diesem Fall gerade Alain Claude Sulzer aus seinem Roman „Postskriptum“. Wobei uns bereits nach fünfminütigem Zuhören zweierlei auffiel: Zum einen ist Herr Sulzer ein außergewöhnlich guter Vorleser, zum anderen landet der Roman um einen imaginären umschwärmten Filmstar der frühen Dreißiger Jahre umgehend auf unserer Auswahlliste als vierte Lese-Empfehlung.
Im Vorbeigehen erhaschen wir einen Blick auf die frühere (1990-1998), so streitbare wie umstrittene Kultur-Dezernentin der Stadt Frankfurt, Linda Reisch. Eine Frau, der die Mainmetropole wie bereits ihrem gerade 90 gewordenen schillernden Vorgänger Hilmar Hoffmann, eine Menge zu verdanken hat. Allem voran die Tatsache, dass Mainhattan heute mehr ist als „nur“ eine Finanzmetropole.
Und so wird unser erster Messetag dann zu guter Letzt doch noch sehr politisch, stimmt’s? Zumal wir kurz vor Toreschluss am vergleichsweise winzigen Stand des von uns heiß geliebten Verlag Klaus Wagenbach auch noch die harte Kante der SPD entdecken, Ralf Stegner. Mit einem Stapel Bücher unterm Arm und vertieft ins Gespräch mit dem Standpersonal. Und ja, zugegeben, wir haben uns schon gefragt, welche vier Titel er da im Schilde führt…
Ermattet von so viel politischer Potenz der neu ausgerichteten Frankfurter Buchmesse verziehen wir uns nach draußen und laben uns an einem Thai-Reisgericht für erschwingliche sechs Euro fünfzig. Wir verdauen still vor uns hin, genießen die frische Kaltluft von gefühlten acht Grad Celsius und resümieren: Ja, es war ein guter erster Messetag. Aber der zweite, so hoffen wir, wird noch ein bisserl besser werden.
In diesem Sinne freuen wir uns, auch morgen wieder für die treue Leserschaft des digitalen Cafés in den heiligen Hallen unsere Runden zu drehen. Immer auf der Jagd nach literarischen Entdeckungen diesseits und jenseits des Mainstreams und allzeit milde amüsiert vom Zirkus um dieselben. See You!
Tags: Alain Claude Sulzer, Christine Westermann, Denis Scheck, Dr. Jens Weidemann, Elizabeth George, Frankfurter Buchmesse 2015, Linda Reisch, Milan Kundera, Radek Knapp, Ralf Stegner, Science Busters, Umberto Eco
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