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Feuer, Stahl und Tinte (1)

Veröffentlicht in Design, Gadgets, Kultur, Unternehmen | 28. Juni 2015 | 15:08:16 | Roland Müller

Kaweco_Intro

Nach längerer Sendepause soll heute wieder einmal ein rein analoges Thema im digitalen Café aufgegriffen werden. Völlig abseits des Mainstreams. Aber vielleicht gerade deswegen von besonderem Interesse. Dass wir hier im Café eine gewisse Affinität entwickelt haben zu tintebetriebenen analogen Schreibgeräten, sprich: Füllfederhaltern, sollte sich ja mittlerweile herumgesprochen haben. Spätestens seit unserer Reportage von der diesjährigen Paperworld in Frankfurt. Im Rahmen dieser Reportage hatten wir ja, wie sich der eine oder andere Leser erinnern mag, auch den sehr attraktiven Stand von Kaweco besucht. Einem der wenigen, verbliebenen deutschen Hersteller von Füllfederhaltern. Dieser Besuch war insgesamt so inspirierend, dass wir uns entschieden haben, sowohl die Kaweco Tinten als auch einen sehr speziellen neuen Kaweco Füllfederhalter aus der beliebten LILIPUT Baureihe für eine ausführlichere Inaugenscheinnahme anzufordern. Von beidem soll im Rahmen eines zweiteiligen Berichts nun die Rede sein. Den Anfang macht der neue Kaweco LILIPUT Fireblue

Kaweco_Pack

Die Verpackung, in der der LILIPUT und die insgesamt acht Kaweco Tinten hier ankamen, kann man getrost als unprätenziös bezeichnen. Also ganz so, wie es einer Marke geziemt, die weniger auf Premium-Protz und Prestige Wert legt als beispielsweise jene mit dem weißen Stern. Was Wunder, hatte man sich doch seit der Gründung 1883 als Heidelberger Federhalterfabrik sehr handfesten Prinzipien verschrieben und es bis heute verstanden, mit einigem Geschick auf dem schmalen Grat zwischen Innovation und Tradition zu balancierren.

Kaweco_01_Titel

Zu dieser Ausrichtung passt gerade der neue LILIPUT Blue Steel inklusive seiner klassischen Kaweco-Blechbox ganz hervorragend. Wie alle LILIPUT-Modelle klein, handlich, aus vollem Metall gedreht – Messing, Kupfer, Edelstahl, Alu schwarz oder silber sind andere Materialoptionen – ist er nahe am idealen Immer-und-überall-dabei Utensil. Ein EDC Füller gewissermaßen, um den modischen angloamerikanischen Begriff des Every Day Carry zu bemühen. Die Tatsache, dass die Kappe abgenommen und in ein passendes Metallgewinde auf dem hinteren Ende des Füllerkorpus geschraubt werden kann, unterstützt diesen Eindruck.

Kaweco_Plain

Was neben dieser Funktionalität aber wirklich fasziniert, ist die Tatsache, dass wir es hier mit einem Quasi-Unikat zu tun haben. Einem hoch ästhetischen zumal. Denn durch die Unwägbarkeiten der Bläuung des Stahls im Feuer entwickelt jeder einzelne Kaweco LILIPUT Steel Blue sein ganz individuelles Muster aus changierenden Blau-, Viiolett- und metallischen Goldbrauntönen. Womit Kaweco einen massiven Trend des ausgehenden Zeitalters der Massenfertigung vorwegnimmt, nämlich jenen zum individualisierten Produkt, im Extremfall dem der „Lotzahl 1“ – ohne eine echte und üblicherweise extrem teure Einzelanfertigung liefern zu müssen. Wohlbemerkt: Man könnte das als Marketing-Gag abtun, wäre da nicht diese faszinierende Ästhetik.

Kaweco_Farbspiel

Fast kommt es einem vor, als sei dieser Miniatur-Füllfederhalter kein Gebrauchsgegenstand – der er tatsächlich ist! – sondern Kunst, etwas zutiefst Artifizielles, ein Appell an den Schönheitsinn, über das kompromisslose form follows function des Bauhauses hinaus in gewisser Weise japanischen Gestaltungsidealen näherstehend als europäischen.

Kaweco_Closeup

Was uns nun aber so langsam zu der anderen, entscheidenden Frage bringt: Wie schreibt die kleine Feuer-und-Stahl-Geburt denn eigentlich? Können Feder und Tintenleiter halten, was das ambitionierte Design verspricht? Der Kaweco LILIPUT Steel Blue kommt in den Kaweco-gängigen Federstärken EF, F, M, B und BB und damit in einer durchaus größeren Bandbreite von Optionen als dies bei leider immer mehr (nichtjapanischen) Produzenten von Füllfederhaltern üblich ist. Auch wenn der eine oder andere Leser Ambitioniertes wie diverse Italic-Federn oder Stub-Varianten vermissen mag. Vergessen wir nicht, das sind und bleiben Spezialitäten für eine kleine, sehr kleine schreibbegeisterte Minderheit. Immerhin, die Feder unseres Testmodells, eine ganz normale M, zeigte sich sehr ansprechend, nachdem wir den LILIPUT mit einer Kaweco Standardpatrone bestückt hatten und ihm zudem ein wenig Einschreibzeit gewährten, bis sich der bisher unbenutzte Tintenleiter ausreichend befeuchtet hatte.

Kaweco_Anschreib

Zudem lässt sich sagen, dass die M-Feder tatsächlich eine echte M-Feder ist und nicht eine als M deklarierte B-Feder, wie dies bei einigen Herstellern hierzulande durchaus vorkommt.

Kaweco_Anschreib2

Da erfreulicherweise auch der winzige Kaweco Squeeze Konverter in den LILIPUT passt, steht Experimenten mit etwas exotischeren Tinten nichts im Wege. Und die generelle Qualität der Edelstahlfeder lässt uns auch darüber sinnieren, ob es sich nicht lohnen könnte, einen bewährten und bestens beleumundeten Nibmeister wie John Sorowka damit zu beauftragen, eine LILIPUT B-Feder in eine individuell angepasste Italic- oder Stubfeder umzuschleifen. Oder das Gleiche gar mit einer der als Zubehör lieferbaren, neuen Goldfedern zu versuchen, die Kaweco seit kurzem auch für den LILIPUT anbietet. Das Ergebnis könnte den kleinen Blue Steel in eine ganz neue Kategorie katapultieren. Womit wir abschließend zum durchaus ambitionierten Preis kommen, den Kaweco für sein Kleinkunstwerk aufruft: Unter 125 Euro wie etwa bei Ludwig Blankenhorn von myPens ist er derzeit kaum zu haben! Andererseits, Hand aufs Herz, wie oft gibt man vergleichbare Summen aus für Produkte, die eine deutlich kürzere Halbwertzeit haben? Wir hier im digitalen Café haben uns jedenfalls entscheiden, unser Rezensionsexemplar ganz offiziell anzukaufen.

Im zweiten Teil unserer kleinen Kaweco Rezension wollen wir uns mit den von einer nicht unbekannten österreichischen Manufaktur nach Kaweco-Rezeptur für Kaweco hergestellten acht Tinten befassen, mit denen das Nürnberger Unternehmen vor kurzem reüssiert hat. Insofern: stay tuned!

 

 

 

 

 

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