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re:publica 2010 – Jetzt, hier, nirgendwo?

Veröffentlicht in Apple & Co, Gesellschaft, Internet, Medien, Technologie | 19. April 2010 | 12:22:07 | Dirk Kirchberg

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Die re:publica 2010 ist Geschichte. Und ich frage mich seit meiner Rückkhehr am Freitag, wie ich diese Ausgabe der Internetkonferenz denn nun fand. Denn im Gegensatz zu den vergangenen Jahren habe ich das Gefühl, dass wir ein wenig auf der Stelle treten. Aber fangen wir am Anfang an.

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Jeff Jarvis sprach über das deutsche Paradox der Privatsphäre. In seiner unterhaltsamen Art entblätterte Jarvis die deutsche Geisteshaltung und seine neue Vorliebe für Saunagänge. Da seien schließlich alle nackt. Letztlich stelle sich die Frage, ob die deutsche Haltung eine kulturelle Konvention oder doch tatsächlich ein legitimes Anliegen sei. Es ging Jarvis um den Schutz des öffentlichen Raums, und diesen Punkt kann ich gut nachvollziehen. Das setzt aber für mich auch voraus, dass ich im öffentlichen Raum unbeobachtet sein kann.

Miriam Meckel stellte mit ihrem Vortrag über die Grenzen menschlichen Ermessens den Anschlusspunkt dieses Gedankens dar. Und auch wenn ich in einigen Punkten nicht mit ihr übereinstimme, so ist der Ansatz, dass Freiheit nur um den Preis der Unberechenbarkeit zu haben sei, zumindest für mich ein logischer. Denn beobachten wir uns nicht dauernd selbst? Foursquare hier, Gowalla da, da hinten Twitter, Dopplr und wie sie alle heißen. Meckels Thesen, das iPad lasse die Nutzer wieder zum passiven Konsumenten von Inhalten werden, teile ich dagegen überhaupt nicht. Denn vieles, was mit dem iPhone möglich ist – und niemand würde bestreiten, dass man damit zahlreiche Inhalte produzieren und posten kann -. ist eben auch mit dem iPad möglich. Oder hat sich schon mal jemand beschwert, dass eine Zeitung ja gar kein Fotos aufnehmen kann?! Zudem ist es ja nicht so, dass das iPad ab sofort der einzige „Computer“ sein wird, den Apple noch baut. Es ist eines von vielen Geräten.

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Der Vortrag von Daniel Schmitt von Wikileaks hat mich dagegen trotz der bekannten Fakten – größtes Whistleblower-Portal, bisher nur Scoops und keine einzige Ente, keinen Prozess bisher verloren, etc. – begeistert. Denn hier zeigt sich, dass es eine Website, betrieben von Getriebenen, etwas verändern kann. Wünschenswert wäre nun noch, dass in die Organisation selbst ein wenig mehr Transparenz kommt. Denn Daniel Schmitt heißt gar nicht Daniel Schmitt. Er nutzt ein Pseudonym, um sich zu schützen. Mag sein, dass dies nötig ist. Unbestreitbar ist auf jeden Fall aber, dass der Mantel des Mystischen sich immer gut macht. Ich nutzte die Gelegenheit, Daniel Schmitt zu interviewen.

Das erste Foto in diesem Artikel habe ich bei der Diskussion von Wolfgang Blau (Chefredakteur Zeit Online) und Kristin Zeier (Deutsche Welle) mit Mark Glaser (Redakteur „PBS MediaShift“ & „PBS Idea Lab“) aufgenommen. Und wenn die Veranstaltung im Quatsch Comedy Club interessant war, so lieferte sie leider doch nur erneut die bereits bekannten Fakten. In den USA sterben Zeitungen, und für viele scheint das Netz ein Ausweg darzustellen. Einige Projekte sind mittlerweile profitabel. Die Frage ist nur, ob diese Modelle auf die europäische und besonders die deutsche Medienlandschaft übersetzbar ist.

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Eine Veranstaltung, die mich wirklich sehr verärgert hat, war die Vorstellung des Slow Media-Manifests, das Anfang dieses Jahres Sabria David, Jörg Blumtritt und Benedikt Köhler vorgestellt haben. Anstatt einfach ein Blog einzurichten, in dem die drei tolle Medien aller Art präsentieren, die die Nutzer sich anschauen und dafür Zeit nehmen sollten, haben sie ein Manifest formuliert, das so dermaßen schwammig gehalten ist, dass man sich leider nicht an kantigen Positionen, sondern lediglich an den Formulierungen selbst. Ich habe im Eifer des sprachlichen Gefechts die Diskussion als „Pseudointellektuelles Geschwurbel“ bezeichnet. Und auch wenn das vielleicht ein wenig hart erscheint, stehe ich weiterhin zu dieser Beurteilung.

Eine echte Offenbarung und allein schon die Reise nach Berlin wert war dagegen obig aufgezeichneter Vortrag von Peter Kruse, der kurzerhand eine Typisierung von sogenannten heavy usern vornahm, die er in digital residents und digital visitors einteilte und deren unterschiedliche Wertvorstellungen darlegte. Und plötzlich leuchtete mir ein, warum alle Diskussionen mit guten Freunden, mit denen ich mich sonst bestens verstehe, stets an Standpunkten zum Web scheitern. Kruse verdeutlichte, dass selbst unter diesen Schwerstnutzern des Netzes keine Einigkeit über bestimmte Faktoren herrsche. Und besonders beruhigend fand ich Kruses Rat, einfach geduldig zu bleiben. Die digitale Revolution rolle ja, und man könne sie nur noch aufhalten, indem man das Web abschalte – was natürlich unmöglich ist.

republica2010

So kann ich nun trotz meines Gefühls, dass wir derzeit online ein wenig auf der Stelle treten, beruhigt weitermachen. Denn wir (er)leben gerade hautnah eine Medienrevolution. Fast schon hollywoodesk könnte man formulieren: „The good must prevail.“ Hoffen wir mal, dass das tatsächlich so kommt.

Auf der re:publica-Seite liegen viele der Vorträge als Aufzeichnung vor. Außerdem stehen dort einige Interview-Videos, die ich Euch ans Herz legen möchte.

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3 Antworten zu “re:publica 2010 – Jetzt, hier, nirgendwo?”

  1. 19. April 2010 um 18:58:16 | re:publica 10: Das, was bleibt « offensichtlich sagt:

    […] Café digital: re:publica 2010 – Jetzt, hier, nirgendwo? […]

  2. 20. April 2010 um 20:51:42 | Roland sagt:

    Dazu gibt’s auch einen recht interessanten bewertenden Beitrag hier: http://blog.kooptech.de/2010/04/die-republica-2010-soziologische-nachbetrachtungen-eines-grenzgaengers/

  3. 08. April 2011 um 13:24:55 | re:publica XI: Nachberichte der rp10 | offensichtlich sagt:

    […] Café digital: re:publica 2010 – Jetzt, hier, nirgendwo? […]