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re:publica ’09: Wechselwarm und dennoch wichtig

Veröffentlicht in Gadgets, Genuss, Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Medien, Mobilität, Politik, Technologie | 07. April 2009 | 22:30:12 | Dirk Kirchberg

Seit einigen Tagen ist die re:publica nun schon vorbei, und ich habe mir absichtlich ein wenig Zeit gelassen, um über die Internetkonferenz in Berlin zu schreiben. Denn das Motto shift happens gab und gibt mir zu denken. Dass wir und die Medienwelt sich im Wandel befinden, ist kein Geheimnis. Die Frage, die wir zu klären haben: Wo geht die Reise hin?

Da die re:publica seit ihren Anfängen massiv gewachsen ist, wurde neben der Kalkscheune einfach mal der Friedrichstadtpalast angemietet. Im riesigen Saal waren reichlich Plätze für Deutschlands Internetszene vorhanden. Das Einzige, was fehlte, war ein funktionierendes WLAN. Denn im bestens abgeschirmten Saal kam die Bloggerschaft nicht einmal per UMTS-Signal ins Netz. Was letztlich gar nicht so schlimm sein muss, denn wer nicht surft, kann besser zuhören und mitdiskutieren. Doch dröppelndes Netz kommt einer Verheißung gleich, der man ständig (zumindest habe ich das die ersten Stunden lang getan) hinterherhechelt.

Mein Vorschlag für die re:publica 2010: Gar kein Netz während der Panels, wenn es für den Vortragenden nicht unbedingt erforderlich ist. In der Lobby war mehr als genug Platz für Laptops, Aufnahmegeräte und Videokameras. Hier wurde, wenn es das WLAN oder das schwächelnde UMTS-Signal erlaubte, gebloggt. Zwei Bars hielten allerlei Leckereien und Getränke bereit. Auch die Bloggerbrause Club Mate gab es hier reichlich – und ich muss gestehen, dass ich nach dem letztjährigen Verriss dieses Getränks meine Meinung geändert habe. Das Zeug schmeckt nach der dritten Flasche richtig gut.

Das Thema Mapping the global blogosphere wirkte auf mich erst ein wenig spröde, doch Referent John Kelly verstand es, mit Witz und Information die Eigenarten der jeweiligen Blogosphären zu präsentieren. Kelly und seine 3D-Modelle machten so aus einem gefährlich trockenen Thema eine spannende Erfahrung. Allerdings möchte ich nicht zum dem Heer Studenten gehören, die all diese Daten sammeln mussten.

Irgendwann müssen selbst die hungrigsten Internetjunkies mal was essen. Mich verschlug es mit ein paar Leuten zum Dada Falafel. Eigentlich wollte ich einen Falafelteller bestellen, doch als ich dann dran war, landete ich wie ferngesteuert beim Scharwama. Und was soll ich sagen? Der angerichtete Teller spricht Bände. Unbedingt ausprobieren!

Kurz vor dem Mittagessen kaufte ich mir einen Poken. Und nachdem meine Begleiter und ich unsere Teller geleert hatten, sollte mir Florian Krakau aka dotdean erklären, was es mit diesen Poken auf sich hat. Zu erwähnen ist noch, dass es die Teile noch nicht offiziell in Deutschland zu kaufen gibt. Aber lange warten müssen Netzwerkfreaks nicht mehr, ab Mai sollen die Poken für rund 15 Euro auf den Markt kommen.

Shift happens – das Motto beherrschte auch das Programm, das durch zahlreiche Verzögerungen arg in die Länge gezogen wurde. Doch von so was lassen sich flexible Blogger doch nicht aus der Ruhe bringen. Ich nutzte die Gelegenheit und interviewte netzpolitik-Beitreiber re:publica-Mitveranstalter Markus Beckedahl.

Und wenn ich das eine prominente Gesicht der re:publica ’09 bereits im Kasten hatte, musste ich natürlich auch den zweiten Mitveranstalter befragen. So entführte ich den Spreeblickler Johnny Haeusler in einen der Treppenaufgänge – und hatte plötzlich mein mobiles Studio gefunden.

Vor der angekündigten Party mit der Band Fettes Brot wollte ich noch ein wenig die Gegend kennenlernen und ließ mich ein wenig treiben. Und entdeckte neben Robotern eine Galerie, die leider schon geschlossen hatte.

Beim nächsten Berlin-Besuch werde ich definitiv mehr Zeit für Kunst einplanen, denn diese Stadt – die ich gern Hypehauptstadt nenne – vibriert vor Kreativität.

In der Oranienburger Straße kam ich an der angestrahlten Synagoge vorbei, vor der zwei Polizisten patrouillierten. Wie ist es um unsere Gesellschaft bestellt, wenn 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und der menschenverachtenden Terrorherrschaft der Nazis immer noch jüdische Einrichtungen in Deutschland vor rechtsradikalen Angriffen geschützt werden müssen? Shift happens – aber anscheinend langsamer, als wir wahrhaben wollen.

Ich kehrte um und wollte die angekündigte Party der Brote zumindest kurz besuchen. Schließlich wurde das DJ-Set der Hamburger besonders gelobt.

Die Tanzfläche der Kalkscheune war zwar gut besucht, aber längst nicht voll. Besonderes Highlight der Brote: Wer einen Song auf seinem iPhone zum Abspielen parat hatte, konnte sein Telefon an die drei DJs geben.

Das tat der Stimmung aber keinen Abbruch, nur war die Musikauswahl nicht so ganz meins. So schloss ich den ersten Tag für mich ab, verschwand ins Hotel und bereitete mich auf den zweiten Tag vor. Immerhin hatte ich mir noch einige Interviews vorgenommen.

Bei bestem Wetter, mit einem tazpresso und einem Brownie startete ich in den zweiten Tag, der für mich mit einem Vortrag von Markus Hündgen begann. Hündgen, Ressortleiter Video bei der WAZ und selbsternannter Videopunk, referierte über Videojournalismus im Web. Was mich zu meinem thematischen Aufhänger zurückbringt. Gleiche Fragen, nächster Gesprächspartner: Jochen Wegner, Chefredakteur von Focus Online und neuerdings auch einer von zwei Geschäftsführern der Tomorrow Focus Portal GmbH. Dort wird Wegner neben Focus Online auch für alle anderen Content-Portale zuständig sein.

Die nächste Kandidatin für eine Runde Guerilla-Journalismus war Katrin Scheib, die ich vor einer Weile über Twitter kennenlernte und Anfang des Jahres das erste Mal bei der mbc09 in Hamburg getroffen habe. Scheib ist nach verschiedenen Redaktionsstationen nun Chefin vom Dienst bei DerWesten.

Einen von technischen Pannen gebeutelten, dafür inhaltlich interessanten Vortrag hielt Bürgerjournalist bicyclemark, der in einem Workshop aufrollte, wie sich Twitter als Kommunikationskanal entwickelt hat und deshalb in vielen Redaktionen als das cool new thing gefeiert wird.

Und zu guter Letzt befragte ich Thomas Knüwer, Reporter in der Redaktion Handelsblatt, der sich selbst mal als Printjournalist bezeichnet hat, aber auch leidenschaftlich bloggt und twittert und gern die eingerostete Medienmeute kritisiert.

Den Abschluss meines re:publica-Besuchs bildete der Vortrag von Lawrence Lessig, dem Begründer von Creative Commons.

Schon eine halbe Stunde vor Beginn seiner Präsentation waren so gut wie alle Sitzplätze besetzt, der große Saal der Kalkscheune schien aus allen Nähten zu platzen. Und alle warteten gespannt auf die Worte des Juraprofessors.

Lessig ist ein Showtalent und begnadeter Redner, der es versteht, mit handfesten und oftmals lustigen Beispielen eigentlich staubtrockene Rechtsauffassungen verständlich zu verdeutlichen und sogar spannend aufzubereiten. Allerdings war wenig von seinem Vortrag neu. Dafür war seine Performance aber umso besser.

Am Abend des zweiten Tages stand für mich die Heimreise auf dem Programm. So kann ich nicht sagen, wie der dritte Tag der re:publica war. Aber ich bin mir sicher, dass auf die Frage, wie es denn nun weitergeht, wie sich die Medien entwickeln werden angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise, die die vorsichtigen Investoren noch vorsichtiger werden lässt. Wir werden es erleben, denn wir werden diese Zukunft ganz stark mitbestimmen. Wie sagte Johnny Haeusler in seiner Keynote sehr richtig? „Wir sind die erste Generation, die analog aufwuchs, und die digital in Rente gehen wird.“

Allen Interviewpartnern vielen Dank für die inspirierenden Gespräche.
P.S. Ein Videoarchiv verschiedener Vorträge gibt es hier.

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5 Antworten zu “re:publica ’09: Wechselwarm und dennoch wichtig”

  1. 07. April 2009 um 23:13:45 | Nicole Y. Männl (@enypsilon) sagt:

    Sehr kurzweilig geschrieben und beschrieben (ist ja kein Wunder …). Ich war nicht auf der re:publica und habe einen guten Einblick (Deiner Erlebnisse) beim Lesen bekommen. Klar, da war noch viel mehr, aber das hätte den Rahmen dann gesprengt. #grins

    Besonders gut gefällt mir das Zitat von Johnny – da habe ich schon einige Male drüber nachgedacht und bin sehr froh, auch beide Welten kennen und leben gelernt zu haben #analog #digital

  2. 15. April 2009 um 16:08:47 | der papa sagt:

    Das Zitat von Jonny Häusler ist doof. Wir sind nicht die erste Generation, die Analog aufwuchs und digital in Rente geht, sondern die Einzige.

    Nun, was hat uns die re:publica gebracht? welche Erkenntnisse dürfen wir auf der Haben-Seite verbuchen? Wo führt das alles hin?

    Ich stelle mir eine Konferenz vor, die über die Chancen des Internets diskutiert, so etwa 1993. Als wenn damals schon jemals auch nur Ansatzweise sehen konnte, was Mosaic mit dem TCP/IP machen würde. Selbst das Telefon wurde von den Zeitgenossen des Erfinders völlig falsch eingestuft.

    Die Erkenntnis, „man weiß es nicht“ ist zu groß, als dass sie auf dieser Versammlung auch nur ausgesprochen werden darf. Keiner hatte eine Ahnung. Keiner weiß wo es hingeht. Aber es war schön mal drüber gesprochen zu haben.

    re:publica, du bist Deutschland.

  3. 21. Juli 2009 um 18:28:00 | bob sagt:

    Sehr schöner Beitrag.

  4. 25. September 2009 um 06:41:10 | Sc.hokola.de sagt:

    Sehr schöne Zusammenfassung der re:publica ‘09.

    Vielen Dank, Gruss
    Schoki

  5. 19. Januar 2010 um 13:46:53 | maT sagt:

    Klasse geschrieben und sehr informativ.

    @Nicole man kann ja auch nicht überall sein

    grüsse