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Was bleibt? Sieben Jahre nach 9/11

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Medien, Politik | 12. September 2008 | 12:36:56 | Dirk Kirchberg

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Gestern habe die Zeitungen rausgesucht, die ich am 12. September 2001 gekauft habe. Ich wollte etwas archivieren, das ich später mal meinen bisher hypothetischen Kindern sein kann. Als ich damals am Kiosk stand und deutsche wie internationale Zeitungen kaufte, war es mir wichtig, die Printausgaben zu Hause in eine Schachtel legen zu können. Es war mir 2001 anscheinend noch nicht bewusst, wie sehr das Internet unser aller Leben nachhaltig verändern würde.

Ich habe auch mehrere Fotobücher zu 9/11 aus dem Regal geholt, darin geblättert, und sofort war dieses Gefühl in der Magengegend wieder da, dieses Gefühl, dass dieses Datum uns für immer gebrandmarkt hat. Nicht von außen sichtbar, aber in der Seele – wenn es denn sowas gibt.

Der 11. September 2001 wird für unsere Generation das Datum sein, von dem wir immer wissen werden, wo wir waren, als wir von den Anschlägen erfuhren. So wie für unsere Eltern vielleicht die Mondlandung oder die Ermordung von JFK prägend war, so ist es für uns 9/11.

Ich war am 11. September in der Fotoredaktion der Hannoverschen Allgemeinen und scannte Negative ein. Ich arbeitete dort während der vorlesungsfreien Zeit als freier Fotograf, und als ich an jenem Dienstag also Fotos scannte und in die Datenbank spielte, machte die Fotoredakteurin plötzlich den Fernseher an. In New York sei ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen.

Wir hielten es wie alle natürlich für einen Unfall. Bis die zweite Maschine auf den Südturm zuhielt. Ich sah live im TV, wie die Maschine einschlug. Etwas in mir zerbrach. Das universelle Gefühl von Sicherheit war von jetzt auf auf gleich verschwunden.

Die folgenden 20 Stunden habe ich vorm Fernseher verbracht. Ich schaute ARD und ZDF, CNN und BBC, sah immer wieder die Bilder der Flugzeuge, wie sie auf die Türme zuhalten, die brennenden Türme, die einstürzenden Türme.

Im Oktober 2001 flog ich mit meiner Freundin nach New York. Es sollte ein Urlaub werden, den wir bereits im Sommer gebucht hatten. Wir überlegten nach 9/11, ob wir fliegen sollten oder nicht. Wir wollten nicht sensationsgeile Touris gelten, die sich am Leid anderer Menschen weiden.

Diese zehn Tage in New York waren etwas Besonderes. Ich war zwar vor 9/11 schon mehrmals in den USA gewesen, aber noch nie in NYC. So kam ich in ein verwundetes New York. In der Luft lag der Brandgeruch, Straßen und Häuser waren bedeckt von Staub der Twin Towers.

Wir gingen durch die Straßen Lower Manhattans, lasen die Zettel, mit denen Menschen ihre vermissten Angehörigen suchten, standen vor den auch nachts erleuchteten Feuerwachen, vor denen Kerzen brannten und Blumen lagen. Wir starrten in dieses riesige Loch und versuchten vergeblich zu begreifen, was hier eigentlich passiert war.

Diese Tage waren merkwürdig, sie waren bedrückend und heiter zugleich, sie waren traurig und doch fröhlich und leicht. Sie waren das Leben, hochkonzentriert.

Und heute? Das Gefühl in der Magengegend kommt immer wieder, nicht mehr stark wie früher, aber es kommt. Und es bleibt das Versagen des Verstandes im Angesicht dieses Anschlags. Dieses Verbrechen an uns allen, ob nun Christen, Muslimen, Juden, Atheisten – Menschen eben. Verübt von Menschen. Keinen Monstren, Teufeln oder Dämonen. Menschen, so schmerzlich diese Erkenntnis auch ist.

Wir sind die eine Spezies, die es perfekt versteht, sich selbst zu jagen und zu töten. Da macht uns keiner etwas vor. Und wir belassen es nicht mit den Kriegen unter uns, sondern wir führen auch gleich noch einen hocheffektiven Krieg gegen die Natur, ohne die wir nicht überleben können. Die ohne uns dagegen bestens zurechtkommt. Auch das sollten wir nicht vergessen.

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Eine Antwort zu “Was bleibt? Sieben Jahre nach 9/11”

  1. 15. September 2008 um 11:17:08 | Carlos sagt:

    Was bleibt nach sieben Jahren? Viele Unklarheiten