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Solschenizyn und das neue Russland

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Politik | 05. August 2008 | 17:18:53 | Roland Müller

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Alexander Issajewitsch Solschenizyn, be- und gerühmter russischer Schriftsteller, Dramatiker und Träger des Literatur-Nobelpreises, ist am 3. August 2008 im Alter von 89 wildbewegten Jahren an einem Hirnschlag verstorben. Der studierte Mathematiker und Philosoph, WWII-Veteran und Stalin-Kritiker stand wie kein anderer zeitgenössischer Intellektueller für die Aufarbeitung der Greuel des Sowjetstaates unter Stalin und seinen Nachfolgern. In der Sowjetunion geächtet und nach seiner 1953 endenden Haft im Gulag in die Verbannung geschickt, wurde er, damals bereits krebskrank, 1957 rehabilitiert, damit aber nicht zum Schweigen gebracht. Ganz im Gegenteil nahm er seine sehr persönlichen Erfahrungen zum Anlass, zu beweisen, dass zumindest manchmal die Feder schärfer sein kann als jedes Schwert. Sein literarisches Verarbeiten des dunkelsten Kapitels russischer Geschichte brachte ihm nicht nur nach Erscheinen seines monumentalen „Der Archipel Gulag“ 1974 ein zwanzigjähriges Exil im Westen ein, es fand auch weltweite Anerkennung in Form des Nobelpreises für Literatur, den er 1970 in Abwesenheit verliehen bekam. Zwar war er bis zuletzt unbeugsam im Geist, erntete mit seiner zunehmenden Hinwendung zum orthodoxen Christentum und zu einer stramm russisch-nationalen Gesinnung jedoch immer wieder Kritik. Vielleicht, weil viele seiner einstigen Bewunderer verkannten, dass er bis zuletzt blieb, was er zeitlebens war, ein russischer Patriot mit hohen moralischen Ansprüchen – hoch genug, dass ihre Unerreichbarkeit wohl selbst Heinrich Bölls Grenzen des Verständnisses ein ums andere Mal überschritt. Nichtdestotrotz muss man ihm größten Respekt zollen, hat er doch den Wandel des sowjetischen Repressionsstaates zu einem neuen Russland entscheidend mit eingeleitet. Auch wenn dieses neue Russland unter Putin noch Lichtjahre entfernt sein mag von dem in West und Ost sicher sehr unterschiedlich erhofften Idealbild.

Morgen, am 6. August 2008, werden seine sterblichen Überreste auf dem Moskauer Donskoi-Friedhof zur letzten Ruhe gebettet.

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5 Antworten zu “Solschenizyn und das neue Russland”

  1. 06. August 2008 um 09:25:05 | eakv sagt:

    ihr verlinkt auf ide ‚junge freiheit‘?

  2. 06. August 2008 um 09:52:10 | Roland Müller sagt:

    Du hast gut aufgepasst und völlig Recht! Die jf steht entschieden zu weit rechts, als dass ausgerechnet wir sie hier verlinken sollten! Selbst wenn der besagte Artikel auf den ersten Blick angemessen und ausgewogen schien. Der patzer ist behoben undn ersetzt durch ein Link auf ein Böll-Interview jüngsten Datums. Vielen Dank für den Hinweis!

  3. 19. März 2009 um 19:36:14 | Bergpartei sagt:

    Zu diesem adäquat Patriot genannten Autoren fallen mir spontan drei Zitate ein:

    Zwei Gedichte von Peter Hacks:

    „Jahrhundertmonster

    Wer war der, der vom meisten Blute troff?
    War’s Churchill, Hitler oder Gorbatschow?“

    „Venus und Stalin

    Sie, ihre Füße badend, trägt kein Kleid,
    Das zu durchnässen sie vermeiden müßte.
    Sie zeigt dem All in Sommerheiterkeit
    Den Hintern und die weltberühmten Brüste.

    Er, nebst noch einer Schreibkraft, prüft, erwägt,
    Am Saum des Quellbachs hingestreckt, Berichte.
    Damit sie Zephir nicht von dannen trägt,
    Benutzt er Kieselsteine als Gewichte.

    Gelegentlich läßt er das Auge ruhn,
    Das väterliche, auf den prallen Lenden
    Der Göttin, die, versunken in ihr Tun,
    Ein Bein gewinkelt hebt mit beiden Händen.

    Ein milder Glanz geht, eine stille Pracht
    Unwiderstehlich aus von diesem Paar.
    Die Liebe und Sowjetmacht
    Sind nur mitsammen darstellbar.“

    Sowie ein treffender Kommentar über die derzeitig die Bourgeosie repräsentierenden Politiker (Merkel, Medwedjew, Obama, Achmadinedsched et almuni, et cetera) des von Solschenizyn so vehemt Bekämpften:

    „Menschen, die Produktionsinstrumente haben, können materielle Güter erzeugen, aber die gleichen Menschen, die wohl eine Sprache haben, aber keine Produktionsinstrumente, können keine materiellen Güter erzeugen. Es ist nicht schwer zu begreifen, dass, wenn die Sprache materielle Güter erzeugen könnte, die Schwätzer die reichsten Menschen in der Welt sein würden.“

    Josip Wissarionovitsch Djugashwili, genannt Stalin
    1879 – 1953

    Wenn ich mich nicht irre haben Sie in ihrem Blog Viet Namh orthographisch falsch benannt mit „Vietmann“.

    Es grüßt Sie ein Vertreter der Montagne.

  4. 19. März 2009 um 19:42:09 | Bergpartei sagt:

    Othographie-Korrektur (Erratum):

    Es schreibt sich selbstverständlich „et alumni“.

    Werde sofort einen Kaffee trinken um wacher zu werden.

    Es grüßt Sie ein Vertreter der Montagne

  5. 19. März 2009 um 19:55:01 | Bergpartei sagt:

    Appendix Erratum:

    „vehement“ statt „vehemt“

    Kaffee fördert die Genauigkeit.

    Es grüßt Sie ein Vertreter der Montagne