Gastrokritik im digitalen Café? Das ist zugegebenermaßen neu. Auch wenn wir hier immerhin schon ein paar Dutzend Schokoladen und diverse Kaffees verkostet und bewertet haben, sind wir doch bisher – trotz privater kulinarischer Vorlieben – nicht angetreten, Restaurantführer zu spielen. Das werden wir auch in Zukunft nicht tun. Zumindest nicht in der herkömmlichen Form von Guide Michelin oder Gault-Millau. Was wir allerdings im Café zukünftig publizieren wollen, sind Blicke hinter die Kulissen der Gastronomie und der Sterneküche. Was zeichnet die Menschen aus, die Gäste bekochen? Was treibt sie an und um? Was sind ihre Maßstäbe, um einen Beitrag zum „analogen Leben“ zu leisten? Darauf Antworten zu bekommen, das finden wir spannend. Den Anfang macht heute eine Frau, die im schönen und für uns ausreichend nahen Luxemburg bereits seit 1987 (!) einen Michelin-Stern führt, im Gault-Millau 18 von 20 Punkte erreicht, erfolgreiche Unternehmerin ist und darüber hinaus eine beachtliche Medienpräsenz aufweist: Léa Linster mit ihrem gleichnamigen Restaurant in Frisange (Frisingen) unweit der deutsch-luxemburgischen Grenze. Wir waren dort und haben sie besucht…
Man kann Léa Linsters Restaurant in Frisange vor den Toren Luxemburgs – ein weiteres mit Namen „Das Kaschthaus“ betreibt sie in Hellingen – kaum verfehlen. Es liegt direkt an der Hauptstraße und macht kein Hehl daraus, wer hier kulinarisch und organisatorisch das Sagen hat. Für einen kurzen Moment stutzen wir bei der Unterzeile „avec amour“, tun dies aber vorerst als werblichen Slogan ab. Wir haben reserviert, lange im Voraus, und sind gespannt, was uns erwarten wird…
Was von außen wie ein ganz normales Luxemburger Wohnhaus wirkt, entpuppt sich im Innern als ein äußerst geschickt orchestriertes Ambiente in Weiß, im Nebenraum, in dem wir platziert werden mit mutigen Stimmungslichtern in Magenta, großen Abständen zwischen den Tischen und überaus bequemem Gestühl. Der Alltag bleibt hinter uns zurück…
Wir entscheiden uns für das Menue Bocuse d’Or inklusive Käseauswahl und Dessert und treffen unsere Wahl aus der exzellenten Weinkarte. Beim Weißwein zu Vorspeise und zweitem Gang landen wir einen Glückstreffer: ein 2011er Riesling «Sélectionné avec amour par Léa Linster» aus der Domaine Alice Hartmann in Wormeldange. Ein wunderbar frischer, fein zwischen stabiler Säure, dezenter Mineralik und charmanter Restsüße ausbalancierter Riesling aus einer Spitzenlage der Region. Überhaupt muss man sagen, dass die Luxemburger Weißweine auf Léa Linsters Karte jederzeit für Entdeckungen gut sind! Beim Rotwein zum Hauptgang folgten wir der Empfehlung des Sommeliers und wählten einen Bordeaux, und zwar den Zweitwein des Ch. Léoville-Poyferré aus St. Julien. Interessanterweise lag dieser preislich unter dem Wein, den wir selbst ursprünglich ausgesucht hatten. Der Sommelier beharrte aber darauf, dass er diesem mindestens ebenbürtig sein. Er hatte, wie sich schnell zeigte, recht und damit bei uns deutlich gepunktet. Er hätte uns im Sinne höherer Wertschöpfung ja auch ein deutlich teureres Gewächs empfehlen können. Chapeau!
Weil dies keine herkömmliche Gastrokritik sein soll, werden wir nur am Rande auf das eingehen, was Léas Team uns auf die Teller zauberte (beispielsweise der im Sud gegarte und ausgelöste perfekt gegarte Hummer im obigen Foto, hmmm…) während einige Tische weiter eine große, fröhliche Runde Amerikaner feierte – wie es sich später herausstellte, der US-Botschafter in Luxemburg nebst Familie und Freunden.
Nur so viel: Es war der erwartete Aromenrausch aus perfekten Rohstoffen, sorgfältig komponiert, aber nicht artifiziell überfrachtet, wie dies in der Sterneküche ja hin und wieder vorkommen soll. Große Küche à la Linster braucht kein Chichi, sie besticht durch große Einfachheit und Respekt für die Rohstoffe.
Mittlerweile muss es bereits nach 23 Uhr gewesen sein. Ein Großteil der Gäste, wenn nicht alle, waren bereits gegangen. Und nachdem wir zu Beginn Léa Linster gefragt hatten, ob wir sie später für Café Digital noch ein wenig mit ihr reden können, setzte sie sich nun zu uns an den Tisch und gab uns Gelegenheit, zu erfahren, was sie antreibt.
Nach wenigen Minuten entspannter Plauderei – wir waren mittlerweile die letzten Gäste – war eines schon mal klar: Die eingangs von uns ein wenig abschätzig als Werbung empfundene Unterzeile ihres Plakats draußen am Haus „avec amour“ ist genau so gemeint und gelebt wie sie da steht. Diese Frau liebt aus tiefstem Herzen das, was sie tut! Passion für die Sache und der bewusste und vor allem respektvolle Umgang mit hochwertigsten Rohstoffen, ein Gespür dafür, was man mit einem Produkt machen kann und was nicht, sind ihr ganz persönlicher Schlüssel zu einer seit Jahrzehnten konstant hochwertigen Küche. Dies und – klingt das zu pathetisch? nein! – Liebe zu den Menschen, für die sie kocht.
Bei einer Flasche ihres vorzüglichen Crémant du Luxembourg Rosé Brut LMEAAX, den sie gemeinsam mit dem deutschen Winzer Max von Kunow im Rahmen des Cross-Mosel Projekts erzeugt, bot sich reichlich Gelegenheit, entspannt über Gott, die Welt, den Genuss und das Kochen für Freunde zu plaudern. Müßig, ihrer in den Medien und im Web reichlich kolportierten Vita noch Worte hinzuzufügen. Bei der Gelegenheit erinnern wir uns über eine kleine Anekdote, die überliefert ist, wonach Léa Linster vor einer Weile einen weiteren Koch einstellen wollte und einen der Kandidaten, der eigentlich alle Qualifikationen aufwies, einzig deswegen abwies, weil er bei der Zubereitung eines Huhns lieblos mit dem toten Tier umgegangen ist. Kochen hat eben auch etwas mit Respekt zu tun für die Zutaten, mit denen man umgeht. Im übrigen verströmt Léa Linster in natura genau die gleiche Begeisterung und Herzlichkeit, mit der sie auch vor den TV-Kameras besticht. Damit ist sie einer der wenigen Menschen, die wir bisher kennengelernt haben, die wirklich in dem aufgehen, was sie tun.
„Avec amour“ also als Lebensprinzip diesseits und jenseits der Kochkunst? Ja, unbedingt. So erstaunlich das auch sein mag, ist es doch schlicht Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Keine Spielchen, keine einstudierten Posen, keine Spiegelfechtereien, keine gelackte Selbstinszenierung, einfach nur so sein wie man ist. Dass sie zugleich als zielstrebige und erfolgreiche Unternehmerin gilt, steht dazu in keinem Widerspruch. Ganz im Gegenteil, wir würden uns wünschen, dass diese einzigartige Mischung aus natürlicher Herzlichkeit, Passion für die Produkte und die Sache und zugleich glasklaren Vorstellungen, was jeder ihrer Mitarbeiter zu tun und zu leisten hat, auch in Managementkreisen einschlägiger Unternehmen Schule machen würde. Die viel zitierten Soft Skills, hier finden wir sie, an unerwarteter Stelle. Und daraus, so finden wir, könnte manch einer eine Lehre ziehen. Nicht zuletzt auch in einer Branche, in der die Inszenierung der eigenen Person im Zuge der TV-isierung des Kochens so langsam beginnt, Überhand zu nehmen.
Es ist deutlich nach Mitternacht, als wir uns verabschieden und mit dem Shuttle-Taxi zurück ins Hotel fahren. Nicht nur um eine kulinarische Erfahrung reicher. Sondern mit dem Eindruck, eine Frau getroffen zu haben, die die Menschen und das Leben mindestens so liebt wie das Kochen. Merci bien, Léa!
zum Abschluss noch ein paar Links, die unseren persönlichen Eindruck unterstützen:
Biografie aus lecker.de
Radio-Journal
Video in FrauTV
Video Zimmer Frei 09.09.2012
oder hier
NDR bei Tietjen & Hirschhausen
Tags: Gastronomie, Lea Linster, Luxemburg, Spitzenrestaurants, Sternekoch, Sterneköchin, Sterneküche
« Frankfurter Buchmesse 2012 – letzter Aufruf | Amerikas zweite Chance – ein Kommentar »
[…] Welt kennt Léa Linster, deren zu Recht sterndekoriertes Restaurant nur wenige Kilometer von Luxemburg entfernt in Frisange […]