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Frankfurter Buchmesse 2015 (1): Literatur in bewegten Zeiten

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien | 13. Oktober 2015 | 21:58:28 | Roland Müller

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Nun ist es also wieder soweit. Die Frankfurter Buchmesse, Version 2015, öffnet ihre Tore. Morgen, am Mittwoch, ganz offiziell für das Fachpublikum. Heute, als programmatischer Appetizer, mit der traditionellen Pressekonferenz. Die wir uns natürlich trotz stark verschärfter Sicherheitsvorkehrungen nicht entgehen lassen wollten. Ähem… Sicherheitsvorkehrungen?

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Ja, Sicherheitsvorkehrungen. Zum einen aufgrund der, milde gesagt, bewegten Zeiten da draußen, im allzuoft literatur- wie sprachlosen Raum des „richtigen Lebens“. Zum anderen und ganz besonders, weil eigens zum Besuch der Eröffnungspressekonferenz aus London Salman Rushdie angereist ist. Der seit nunmehr gut einem Vierteljahrhundert um Leib und Leben fürchten müssende Autor war gewissermaßen der Ehrengast der Pressekonferenz. Weniger, um sein neues Buch vorzustellen (dazu anderer Stelle mehr), als vielmehr um der Meinungsfreiheit das Wort zu reden. Aber dazu kommen wir gleich noch im Detail. Und ja, natürlich, die Aufregung der anwesenden Pressevertreter, insbesondere der foto- und videografierenden Zunft, war dementsprechend.

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Doch nach leicht verspäteter Begrüßung der Anwesenden – siehe das Gewimmel oben – ging das Wort zuerst einmal an Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und selbst Buchhändler. In dieser Funktion gab er einen schnellen Überblick über das vergangene Bücherjahr. Er betonte dabei, das E-Books nach wie vor ein Wachstumssegment sind, etwas moderater als noch vor Jahren prognostiziert, aber mittlerweile fester Bestandteil des multiplen Leseverhaltens von unsereins. Gedrucktes Werk im Alltag, E-Book im Urlaub bringt es in etwa auf den Punkt. Der 9,4 Mrd. Euro große Büchermarkt befindet sich in einem Jahr ohne „Potter-Bücher“ oder ähnliche Umsatzknaller in seinem erwarteten Normalzustand. Aber Zahlen interessieren zumindest uns vom digitalen Café eh nicht. Um so mehr, als im Gegensatz zu früheren Buchmessen diese Pressekonferenz sich wenig um Zahlen scherte als vielmehr um Haltung!

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Genau das war das Thema, dem sich Jürgen Boos, bereits seit 2005 Direktor der Frankfurter Buchmesse, gewohnt alert widmete. Und es war offensichtlich, dies sah er als Herzensangelegenheit an. Nach langen Jahren soll die Neuauflage der Frankfurter Buchmesse erstmals wieder eine politischere Messe werden. Eine, die sich den Kampf für die Meinungsfreiheit auf ihre Fahnen geschrieben hat. In einer Zeit, die aus den Fugen zu geraten scheint, im Angesicht von Flüchtlingsströmen, Hasspredigern jeglicher Couleur und oft fadenscheinig vorauseilender Political Correctness muss man einem solch klaren Bekenntnis zum Recht auf freie Rede applaudieren. Die politische Brisanz dieser wiederentdeckten Haltung der Buchmesse und ihrer Macher spiegelte sich dann auch unmittelbar in den Umständen, mit denen der Kurzbesuch von Salman Rushdie verbunden war: Der Iran hatte offiziell seine Teilnahme an der Buchmesse storniert, sobald man in Teheran vom Auftritt des Ehrengasts der Pressekonferenz gehört hatte. Übrigens als einziges islamisches Land…

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Muss man Salman Rushdie hier noch vorstellen? Wohl kaum. Und wie wollen hier auch (noch) nicht auf seinen neuen, sehr bemerkenswerten Roman eingehen. Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ ist uns eine eigene Rezension wert. Entweder im Rahmen unserer Buchmesse-Berichterstattung oder danach. Nein, was wirklich beindruckte, waren Rushdies wohl abgewogene Worte, mit denen er kompromisslos auf die Rede- und Meinungsfreiheit einging und sie als universelles Menschenrecht pries, das jedermann und -frau zugestanden werden muss, unabhängig von kulturellem Hintergrund, Hautfarbe, Geschlecht oder welchem Merkmal auch immer. Seine Begründung verblüffte in ihrer prägnanten Einfachheit: Für ihn ist der Mensch das „erzählende Tier“ und insofern einzigartig unter den Arten. Und da dies ein Charakteristikum der gesamten menschlichen Gattung ist, ist es in besonderem Maße schützenswert. Jeder Angriff auf die Meinungs- und Redefreiheit wird somit zum Angriff auf die menschliche Natur. Erstaunlich genug, dass wir eine solche Aussage heutzutage als radikal erleben. Eigentlich sogar erschreckend. Zeigt es doch, wie sehr wir schon eingeknickt sind vor den Myriaden geschwätziger Überkorrektler – ja, auch und gerade aus der Politik – die meinen, in einer Aufwallung falsch verstandener Toleranz Vertretern von Kulturen oder Religionen zugestehen zu müssen, dass diese sich aufgrund ihrer Eigenarten über dieses (und andere) universelle Menschenrechte hinwegsetzen. Chapeau deshalb für dieses überfällige Bekenntnis zur Freiheit und ihrer vielleicht wichtigsten Ausprägung, der Meinungsfreiheit! Aber nochmal: Es ist verrückt, dass wir uns 2015 von einer solch einfachen und schlüssigen Aussage verbeugen. Sie sollte, sie müsste eine, nein die Selbstverständlichkeit überhaupt sein. Mein Gott, wie weit sind wir gekommen…

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Zehn Minuten Rede haben Spuren hinterlassen und klargestellt, dass die Frankfurter Buchmesse endlich wieder jener Störenfried werden will, der einer Literaturmesse bestens absteht. Man muss der Messeleitung dazu gratulieren, diesen Schritt getan und dies zum Programm erhoben zu haben. Es liegt der Duft einer neuen Frankfurter Buchmesse in der Luft. Wir werden in den nächsten Tagen schnuppern, ob das nur ein mildes Lüftchen bleibt oder doch zum gesunden Gewitter gerät. Immerhin, der diesjährige Ehrengast der Messe, Indonesien, ist nicht nur das größte islamische Land der Erde, sondern auch durchaus ambivalent, wenn man bedenkt, dass bis heute eine Aufarbeitung der blutigen Suharto-Diktatur aussteht und weite Teile der alten politischen Cliquen und Strukturen bis heute ins Reich der 17.000 Inseln hineinregieren…

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Apropos Indonesien. Natürlich schloss sich an die Pressekonferenz auch noch ein Rundgang durch den indonesischen Pavillon an. Wo das Inselreich sehr ästhetisch auf sieben durch transparente Stofflampions abgetrennten Themeninseln seine kulturelle und literarische Vielfalt darstellt. Wir werden diesem Raum natürlich eine eigene Folge unserer Messeberichterstattung widmen.

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Einen folkloristischen Vorgeschmack im Rahmen der vom Architekten des Pavillons präsentierten und erläuterten Ambientes haben wir jedenfalls heute bereits erhalten.Wir werden sehen, was es jenseits der touristisch attraktiven Darbietungen Substanzielles und Ambivalentes zu entdecken gibt. Natürlich auch und gerade in Sachen Literatur.

Soviel für heute an diesem Tag Null der Frankfurter Buchmesse 2015. Wir hoffen, Ihr begleitet uns in den kommenden Tagen auf unseren ja schon traditionellen Rundgängen durch die heiligen Hallen. Wir freuen uns drauf!

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