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Schokolade

Frankfurter Buchmesse 2017 (3): Dauerbrenner und Neuzünder

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur | 12. Oktober 2017 | 17:12:29 | Roland Müller

FBM17_01Rushdie_GoldenHouse

Da sind wir wieder. Am zweiten Messetag geht es frisch erholt und ausgeschlafen weiter. Unser Schwerpunkt liegt wieder in den Hallen 3 und 4, wo uns ein ums andere Mal bekannte Schwergewichte der Literaturszene begegnen. Allen voran der neue Salman Rushdie: „Golden House“. Bereits vielfach besprochen und gepriesen. Wir können uns da nur anschließen und betonen, dass es Rushdie tatsächlich gelingt, das Trump-Amerika in diesem Roman zu verewigen. Auch wenn der eine oder andere Literaturkritikaster bemängelt, dass Rushdie seiner bislang so wohlfeilen Magie den Rücken gekehrt habe. Blödsinn! Diese Zeit braucht ein solches, der Realität zugewandtes Buch. Über ein Amerika – oder korrekterweise die Vereinigten Staaten desselben – das hoffentlich, hoffentlich alles andere als ewig sein wird, sondern nur ein Lidschlag in der Geschichte…

FBM17_02DanBrown_Origin

Während rundum alle Besucher auf die Lesung des neuen Dan Brown zu warten scheinen, lassen wir uns von der Marketingmaschinerie des Verlagsgiganten Random House nicht weiter umgarnen, sondern suchen nach verborgeneren Schätzen…

FBM17_03CoppenrathLampe

Die hängen allerdings mitunter auch schon mal knapp unter der Decke wie hier bei Coppenrath. Trauben, die uns zugegebenermaßen zu hoch hängen…

FBM17_04Echenoz_UnsereFrauInPjoenjang

Ein paar Meter weiter werden wir dann tatsächlich wieder fündig. Jean Echenoz – jawohl, ein französischer Autor, endlich! – lockt uns mit „Unsere Frau in Pjöngjang“ mitten hinein in eine atemlose Agentenstory im Nordkorea unserer Tage. Und er wäre nicht der Echenoz, der bereits 1999 Frankreichs prestigeträchtigen Prix Goncourt gewonnen hat, wäre dies nicht zugleich eine brillante Satire auf ein Genre, das er so virtuos beherrscht wie jedes andere. Unser, man ahnt es schon, ACHTER LESETIPP.

FBM17_05JFMallet_EinfachstesKochbuch

Im Vorüberschlendern zum nächsten Objekt unserer Lesebegierde verkneifen wir uns abfällige Bemerkungen über ein eigentlich großartiges Kochbuch, das die großen klassischen Rezepte Frankreichs auf maximal sechs Zutaten alltagstauglich „vereinfacht“ und damit eine gewisse Herablassung gegenüber all jenen Kochliebhabern dokumentiert, die gerade die Raffinesse suchen und nicht die Simplifizierung. Aber nun ja, chacun à son goût…

FBM17_06Ishiguro_DerBegrabeneRiese

Am Stand des Blessing Verlages finden wir das neueste Werk des frisch gekürten Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro: „Der begrabene Riese“. Ein wirklich magisches Buch, das tief eintaucht in die europäische Mythologie und auf den ersten Blick wie ein Fantasyroman daherkommt. Aber nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick offenbart sich Ishiguro hier erneut als Meister des stillen, reflektierten Erzählens, der die Fantasy-Form lediglich als Spiegel benutzt, um Abgründe der aktuellen Welt offenzulegen. Ein Märchen im allerbesten Sinne! Und damit selbstverständlicher NEUNTER LESETIPP.

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Immer noch in Halle 3 applaudieren wir dem Lappan Verlag zu seiner Dekoration, amüsieren uns über allerlei gelungene Cartoon-Art und schauen uns dann um nach weiteren Entdeckungen…

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Bei Knaus werden wir fündig. „Der Club der Nobelpreisträger“ von Michael Kröher fesselt uns beim ersten Anlesen. Auch wenn er sprachlich ein bisserl akademisch daherkommt, muss man dem Autor diese Sprachwahl zugestehen, passt sie doch stimmig ins historische Szenario – der Redakteur beim Manager Magazin widmet sich nach intensiver Recherche dem Wissenschafts-Campus rund um das legendäre Harnack-Haus im Berliner Nobelbezirk Dahlem. Hier existierte von der Öffentlichkeit kaum bemerkt zu Zeiten der Weimarer Republik eine Art Hightech-Refugium, in dem deutsche Nobelpreisträger ein- und ausgingen, während am Horizont langsam das Dritte Reich heraufdämmerte. Eine überaus spannende Reise in die wenig bekannte Welt der Wissenschaftselite des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Unser ZEHNTER LESETIPP.

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Ein weiterer Prix Goncourt Gewinner wartet auf uns: Pierre Lemaitres „Wir sehen uns dort oben“, verlegt bei Klett-Cotta. er entführt uns in die letzten Tage des Ersten Weltkrieges und in die Zeit unmittelbar danach. In eine Welt, in der Tod und Ehre zu Devotionalien gerinnen, mit denen sich trefflich Geschäfte machen lassen. Genau das tun die kriegsüberlebenden Freunde Albert und Édouard. Beklemmend, abgründig, voller schrägem Witz wird das Panorama einer Gesellschaft ausgebreitet, die sich ohne jeden Skrupel an ihren vermeintlichen Helden bereichert. Vive la France! Das ist unser ELFTER LESETIPP!

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Vorbei an einem etwas missratenen Pelé, der uns in das Worldcup-Bilderbuch eines Kleinverlages locken will, bleiben wir doch stark und unserem Suchraster treu…

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Dass wir dann ausgerechnet bei einem Verlag für Hundeliteratur fündig werden, ist schon mehr als heftig. Doch in der Tat, nach einem ersten Beschnuppern halten wir „Der Geruch des Todes“ von Cat Warren für ein überaus lesenswertes Buch. Denn die amerikanische Wissenschaftsjournalistin mit dem ausgerechnet feliden Vornamen berichtet über etwas, was wir allenfalls aus den Nachrichten kennen – die Einsätze eines Leichenspürhundes. Das ist, mit Verlaub, Realitätskino vom Feinsten und schlägt die CSI TV-Serien dieser Welt um Längen. Lesen! Fast unser nächster LESETIPP!

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Doch zurück zur Belletristik. Speziell jener mit jenem Schuss Humor, der nicht allzu oft anzutreffen ist. „Kraft“ von Jonas Lüscher erfüllt für uns dieses Kriterium. Verlegt bei C. H. Beck rechnet der Autor auf eine Weise mit den Wonnen des Neoliberalismus ab, dass es eine wahre Freude ist. Genussvoll erleben wir den Clash zwischen Alter Welt und New Economy mit. Ein herzhaftes Lesevergnügen um den bankrotten und mit einer überaus anspruchsvollen Gattin gestraften altlinken Professor Richard Kraft, der mit allerlei Verrenkungen versucht, doch noch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Ausgerechnet im Silicon Valley. Ausgerechnet bei einem mit einer Million Dollar dotierten Wettbewerb. Köstlich, dieser Debütroman. Unser ZWÖLFTER LESETIPP.

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Auf ganz andere Weise führt Lindsey Lee Johnson seinen Protagonisten an den Abgrund. In „Der gefährlichste Ort der Welt“ – gemeint ist Mill Valley, ein Kaff in der Bay Area nahe San Francisco – lernen wir die Probleme weißer Oberstufenschüler der amerikanischen Mittelschicht kennen. Das klingt im ersten Moment profan angesichts der Probleme in Trumpmerika. Die Sprache Johnsons und sein akribisches Beschreiben der jugendlichen Protagonisten bringt uns Älteren aber genau jene Generation Jugendlicher näher, die uns in naher Zukunft aus der Klemme retten müssen, in die wir sie geritten haben. Ein Jugendbuch und mehr als das. Und damit fast einen LESETIPP wert.

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Nachdem wir Halle 3.0 und 3.1 nun  ausreichend beackert haben, zieht es uns in Halle 4. Auch dort treffen wir ein paar wohl bekannte Namen. Und die eine oder andere literarische Überraschung.

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Dazu müssen wir uns allerdings zuerst einmal durch feierfreudige Schweizer drängeln. An deren Gemeinschaftsstand gibt es neben allerlei leckerem Weißwein nämlich noch mehr zu entdecken…

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Und damit meinen wir nicht freundlichen Smalltalk unter Verlagsmitarbeitern, Literaturkritikern und Vertriebsexperten.

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Sondern Buchneuerscheinungen wie „Das kürzere Leben des Klaus Halm“, einem beeindruckenden Roman des Basler Dramatikers Lukas Holliger, den wir unseren Lesern hiermit gern ans Herz legen möchten. Erschienen im Zytglogge Verlag, Basel. Und wir folgen in jeder Zeile der Einschätzung von lesefieber.ch, was die schriftstellerische Qualität dieses eidgenössischen Erstlingswerks angeht. Die Nominierung für den Schweizer Buchpreis 2017 ist mehr als angemessen. Unser, wer hat es geahnt, DREIZEHNTER LESETIPP.

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Fast noch mehr begeistert uns allerdings Kabarettist Willi Näf mit „Gesegnet sei das Zeitliche“. Noch so ein Schweizer, den man auf der literarischen Agenda haben muss, wenn man auf abgedrehten Humor abfährt. Diese „endgültige Schweizer Nahtodkomödie“ startete als Crowdfunding-Projekt und beweist nachdrücklich, dass dabei tatsächlich etwas sehr Handfestes herauskommen kann. Sofern man die Irrungen des toten Coiffeurs Nik so nennen mag, der in seinem eidgenössischen Heimatdorf herumgeistert und dabei jede Menge Unheil anrichtet. Ungewollt natürlich. Eine rabenschwarze Geschichte und unser VIERZEHNTER LESETIPP!

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Immer noch schmunzelnd wandern wir ein wenig umher und stolpern dabei über etwas, was in den heiligen Hallen der Literatur eigentlich reichlich deplatziert wirkt – ein 911er des Porsche Museums. Mon die! Was soll das? Zusätzlicher Anreiz für arrivierte Starautoren, die nicht wissen wohin mit ihren Tantiemen? Wir verschnaufen ein paar Meter weiter, am Stand von 3sat…

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…wo uns ZEIT Autorin und Literatur-Journalistin Iris Radisch überzeugend darzulegen weiß, „Warum die Franzosen so gute Bücher schreiben“. Recht hat sie! Wie sehr, werden wir morgen sehen, wenn wir uns intensiv um den Pavillon des Ehrengasts der diesjährigen Buchmesse, Frankreich, kümmern. Ein literarisches und kulinarisches Fest, soviel können wir heute schon durchblicken lassen.

Und mit dieser freundlichen Aussucht verabschieden wir uns für heute. Au revoir, liebe Leser und Literaturbegeisterte, morgen ist auch noch ein Tag…

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