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Frankfurter Buchmesse 2014 (0): Der Tag davor

Veröffentlicht in Kultur, Kunst, Literatur | 07. Oktober 2014 | 23:29:48 | Roland Müller

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Pünktlich mit dem Eintreffen eines diesigen, regennassen Herbstschmuddelwetters hält sie wieder Einzug in der Mainmetropole: die Frankfurter Buchmesse 2014. Zugleich Jahrmarkt der literarischen Eitelkeiten und Werkschau des weltweiten Publishing-Geschäfts. Einmal mehr macht sie für wenige Tage Frankfurt zur Welthauptstadt des Verlags- und Buchwesens. Und wie alle Jahre wolle wir wieder davon berichten, was uns auffiel, was uns anzog, ab- oder aufstieß und vor allem, was wir außerhalb des offensichtlichen Mainstreams für bemerkenswert halten. Auf geht’s am Tag X minus 1. Dem Tag vor dem ersten offiziellen Fachbesuchertag. Vorbehalten der akkreditierten Presse. Der im Rahmen der traditionellen Eröffnungspressekonferenz Wesentliches zur diesjährigen Buchmesse vermittelt werden sollte. Wir waren dabei. Auf geht’s!

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Wie üblich versammelte sich die geladenen Journalisten im Conference Center der Messe Frankfurt, auf Ebene C3, im Raum mit dem schönen Namen Fantasie 1 + 2. Wie passend. Jürgen Boos, der eloquente Direktor der Frankfurter Buchmesse war wie gewohnt der Gastgeber…

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…und beschwor charmant wie gewohnt seine ureigene Vision der Buchmesse. Und siehe da, zum ersten Mal will er sie auch politisch verstanden wissen! Was er mit überzeugenden Argumenten zu begründen wusste, als er seinen programmatischen Vortrag mit dem Statement einleitete: „Weltweit flammen unentwegt neue Krisenherde auf. Gleichzeitig nimmt der Rückzug in festgefügte Denkwelten und das Festhalten an Bestehendem zu. Es sieht so aus, als seien Konfliktparteien allerorten nicht willens oder nicht in der Lage, sich auf die Position des Anderen einzulassen. Dabei müssen wir gerade jetzt eine neue geistige Beweglichkeit lernen und aufeinander zugehen, um Respekt für die Vielfalt der Standpunkte zu entwickeln“. Sein Plädoyer für eine neue geistige Mobilität kommt gerade recht. Nämlich zu einem Zeitpunkt, wo nicht nur in Europa, sondern auf dem ganzen Globus geistiger Separatismus und kulturelle Engstirnigkeit auf dem Vormarsch zu sein scheinen.

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Deutlich bodenständiger präsentierte sich gleich im Anschluss Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Der mit entspannter Miene darauf hinwies, dass der stationäre Buchhandel in Deutschland weder Amazon fürchtet, noch um seine Umsätze bangt. Die zwar geringfügig um ein bis zwei Prozent abgebröckelt sein mögen, dies aber nur im vom eBook-Geschäft betroffenen Taschenbuch-Segment und auf den Flächen der Großbuchhandlungen, die noch am ehesten unterm Onlinehandel leiden. Er sieht jedenfalls Deutschlands traditionell starke und festgefügte Verlags- und Buchhandelslandschaft der Zukunft gewachsen. Man habe seine Hausaufgaben gemacht, meinte er. Ob und wieweit dies zutrifft, werden wir in den kommenden Jahren ja sehen. Immerhin, in einem Punkt kann man ihm schwerlich widersprechen: Der deutsche Buchmarkt mit seiner Buchpreisbindung ist eine Ausnahmeerscheinung im europäischen Kontext und zudem der zweitgrößte Markt der Welt. Ob Amazon dies wirklich klar ist?

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Anschließend sprach in Vertretung der in Brüssel gebundenen Kommissarin Michael Magnier, der Direktor der Direktion Kultur und Kreativität der Europäischen Kommission. Nachdem erstmals die EU auch offiziell Flagge zeigt auf der Buchmesse und sich zudem mit der Verleihung des Europäischen Buchpreises morgen in der Agora der Messe als kulturbeflissen darstellt, konnte es nicht ausbleiben, dass Michael Magnier entschieden darauf hinwies, dass im Jahr der ersten Etatkürzung der EU nichtdestotrotz sein Budget für Übersetzungen von Literatur in europäische Verkehrssprachen wie überhaupt der Kulturetat erhöht worden sind. In gewisser Weise bestätigte er damit Boos‘ politische Positionierung der Buchmesse.

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Was dann sogleich den Kollegen der Neuen Zürcher Zeitung auf den Plan rief, der Magniers Ernsthaftigkeit dieser Einschätzung und damit den Status, den Kultur und Literatur in Brüssel genießt, hinterfragte.

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Während reihum einige wenige Kolleginnen und Kollegen ihre üblichen Fragen stellten („Ist Frankreich tatsächlich der nächste Gast?“ etc.), lassen wir ein wenig den Blick schweifen und entdecken allerlei Video- und TV-Teams, davon viele aus dem Ausland. Was übrigens auch für die diesjährige Buchmesse gilt, die erstmals 65% der Aussteller aus jenen rund 100 Ländern vermeldet, die nicht Deutschland sind. Bis dato war über fast Jahrzehnte ein 50:50 Verhältnis üblich. Tut sich da was? Doch, ja. Zunehmend wird die Buchmesse auch zur Drehscheibe südamerikanischer und südostasiatischer Verlage, jener Kultur- und Wirtschaftsräume also, die auf Wachstumskurs sind.

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Genug der Pressekonferenz. Nachdem etliche Teilnehmer schon vor dem offiziellen Schlusspfiff zu anderen, sicher eminent wichtigen Terminen aufgebrochen waren, setzte sich der verbliebene Rest des Trosses nun in Bewegung Richtung Finnland. Respektive Richtung finnischem Pavillon auf der Buchmesse. Mal sehen, was das diesjährige Gastland zu bieten hat. Erster zarter Hinweis das Motto der skandinavischen Gäste:

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Finnland. Cool. Wir widersprechen nicht. Sind uns aber ziemlich sicher, dass nach der Opulenz vergangener Gastinstallationen – wir denken an Neuseeland oder Brasilien – der Purismus der Finnen etliche der erwarteten 300.000 Besucher ratlos zurücklassen wird.

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Und doch, bedenkt man’s richtig, ist dieses Reduktion auf viel Weiß, wenig Blau, große, offene Räume genau das, was Finnland auszeichnet.

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Unprätentiös, klar und licht wie der Morgen über Helsinki.

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Und schließlich, was anders hätte man vom Land eines Alvar Aalto erwarten dürfen als genau das? Nun ja, wir werden ja übermorgen, wenn wir uns das Gastland näher anschauen, dann mit dichtem Menschengewimmel, sehen, wie der coole Norden des Kontinents ankommt.

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Immerhin, ein finnisches Highlight wollen wir schon jetzt vorweg nehmen: Brain Poetry von Brains on Art ist ein faszinierendes Projekt, das demonstriert, wie klar im Kopf unsere finnischen Freunde sind und wie selbstverständlich sie Hightech-Hardware, Algorithmen und Literatur zu verquicken wissen, frei von jeglicher Berührungsangst.

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Kern der Idee ist ein Headset, das die Alphawellen im Gehirnstrom des Trägers liest und diese nach einem speziellen Algorithmus in Echtzeit-Poesie umsetzt.

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Das klingt abgedreht und mächtig cool? Ja, absolut. Aber genau so sind sie, die Finnen 🙂 Wir jedenfalls sind nicht nur wegen diesem ungewöhnlichen Konzept sehr gespannt, was die Frankfurter Buchmesse 2014 uns noch an Überraschungen zu bieten hat. Darüber berichten wir dann morgen, am ersten Tag der Messe. Es lohnt sich also, gegen Abend wieder reinzuschauen ins digitale Café. CU!

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