Heute hat die 45. Frankfurter Buchmesse ihre Tore geöffnet. Das Cabaret der literarischen Eitelkeiten hat die Welt in die Mainmetropole eingeladen und wir sind wieder mit von der Partie. Heute und in den kommenden Tagen werden wir von Trends und Hypes, von Autoren und Verlagen, von Lesenswertem und Vernachlässigbarem berichten. Und hinterfragen, wie es um das ein wenig in die Jahre gekommene Geschäftsmodell Buch bestellt ist. Eine Frage, die sich auf dieser Buchmesse mehr und intensiver stellt als auf jeder vorangegangenen…
Von außen betrachtet präsentiert sich der Welt größte Buchmesse eigentlich wie immer. Die gleichen Hinweisschilder, die gleichen Flaggen, die gleichen Plakate. Und doch… Wir wollen ein wenig genauer hinschauen.
Auch dem Hallenplan lässt sich zumindest auf den ersten Blick kein Hinweis entnehmen, dass sich wenn schon nicht das Schreiben und Lesen, so aber doch das Verkaufen von Büchern heimlich, still und leise verändert. Nun, eigentlich gar nicht mehr still und leise. Aber das soll nur eine Facette unserer Berichterstattung sein. Eine andere, wichtig wie eh, wird das Herauspicken einiger Rosinen aus dem Tsunami der Neuerscheinungen sein. Nicht unbedingt Mainstream-Literatur, nein, eher Entdeckungen, die sich beim schnellen Ein- und Querlesen offenbaren. Vielleicht wird dabei gerade Brasilien inspirierend sein, der diesjährige Ehrengast der Frankfurter Buchmesse? Wir werden sehen.
Wir beginnen unseren ersten Messetag wie gewohnt in Halle 3, wo sich hauptsächlich Belletristik und Sachbuch tummeln, vertreten durch die allseits bekannten dtv und DVA, Hanser und Ullstein, Rowohlt und E. Fischer…
Natürlich kann es nicht ausbleiben, dass wir zuallererst über den doch recht überraschend an Terézia Mora vergebenen Deutschen Buchpreis 2013 stolpern. Wohl kaum jemand war überraschter als sie selbst…
…dass ‚Das Ungeheuer‘ mit diesem umsatzträchtigen Adelsschlag eine 100-000-Exemplare-Startauflage in die Auslagen des Buchhandels bringt. Es wird spannend sein zu beobachten, wie das Publikum die bei Luchterhand verlegten 688 durchaus sperrigen Seiten aufnehmen wird. Immerhin gestehen wir zu, dass der inhaltliche wie typografische Kniff, die Osteuropareise des Protagonisten Darius Kopp und die Tagebucheinträge seiner verstorbenen Frau synchron laufen zu lassen, nur durch eine Haarlinie auf jeder Seite voneinander getrennt, nicht einfach nur kreativ ist, sondern Buch und Geschichte eine überaus spannende zusätzliche Dimension verleiht.
Einer ist auf der diesjährigen Buchmesse leider nicht mehr präsent, jedenfalls nicht in Person. Wohl aber mit seinem literarischen Werk – der wortgewaltigste Literaturkritiker deutscher Zunge, Marcel Reich-Ranicki. Schaut man allerdings genau hin, lauscht man ins weiße Rauschen zwischen all den Besprechungsecken, Meetingpoints und Verlagslounges, dann vermag man seine Omnipräsenz auch heute zu erahnen – ein Geist, der niemals ruht, solange der literarische Betrieb dies nicht tut.
So viel ist klar: Eugen Ruges neuer Roman ‚Cabo de Gata‘ hätte ihm gefallen. Ein Prosa-Meisterwerk, das reduziert wie ‚Der alte Mann und das Meer‘ einen etwas jüngeren Mann mit einer rotgetigerten Katze konfrontiert und damit zugleich ihn, den Aussteiger und Gescheiterten, mit sich selbst. Feiner Lesestoff, handlich, nicht auf zu viele Seiten ausgedehnt und auch deshalb unser erster Lesetipp!
Und wenn wir schon dabei sind, schieben wir gleich den zweiten Lesetipp hinterher. Jonas Jonasson hat’s erneut getan: Nach seinem urkomischen Erstlingswerk ‚Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand‘ um einen alten Mann, der sich klammheimlich aus dem Pflegeheim absetzt, um die Welt ein klein bisschen unsicherer zu machen, legt er mit ‚Die Analphabetin, die rechnen konnte‘ eine ähnlich schräge Geschichte vor, die voller schwarzem schwedischen Humor – doch, den gibt es tatsächlich! – den Weg einer jungen Afrikanerin verfolgt, die beweist, dass Lesenkönnen wohl doch überbewertet wird… Trotzdem oder gerade deswegen unser zweiter Lesetipp!
Wo wir so durch die Gänge der (immer noch) Halle 3 schlendern, kann es nicht ausbleiben, dass wir uns hier und da ein Grinsen nicht verkneifen können. „Schöne Bücher für kluge Frauen“? Hm, ob das, was sich da an Literatur präsentiert – die Modevorlieben der Queen beispielsweise – unbedingt das ist, was kluge Frauen zu lesen wünschen? Fast wollen wir es nicht hoffen. Vorschlag zur Güte: „Kluge Bücher für schöne Frauen“ fänden wir entschieden attraktiver, eröffnet es doch dem Verleger die Chance, den Inhalt seines Verlagsprogramms deutlich ambitionierter auszugestalten…
Eine, die sich in beiderlei Beziehung perfekt selbst vermarktet ist Sina Trinkwalder, die mitterweile den Bogen zu überspannen weiß von Anne Will über BILD bis ttt. Der gute Dieter Moor – er ist wirklich gut! – musste ihren Erläuterungen aus dem längst vergangenen Werberleben lauschen, koste es, was es die ARD kosten wolle. Ja, Herr Mohr, so ist das eben: ‚Wunder muss man selber machen‘ und es sich einfach mal verkneifen, Deutschlands neue Vorzeigeunternehmerin zu interviewen. Das tun schon genug andere…
Kann der Kontrast härter sein als am FAZ-Stand Joachim Frank, gewesener Pfarrer und belesener Kirchenkritiker, zu treffen, der aus allzugutem Grund das unsägliche hessische Beispiel rauschender bischöflicher Protz- und Verschwendungssucht als Beispiel aufführt, um die Frage zu stellen ‚Wie kurieren wir die Kirche?‘. Ja, wie? Das wissen allenfalls die Götter, irgendeiner, egal wer.
Kommen wir zu etwas ganz anderem. Nämlich einem Romandebüt, das uns neugierig macht auf mehr von ihr. Sie, das ist Sarah Stricker, eine grazile Dreiunddreißigjährige, die mit ‚Fünf Kopeken‘ bei Eichborn ein eindrucksvolles Erstlingswerk vorgelegt hat, das durch klare Sprache, sensiblen Humor und eine Leichtigkeit verblüfft, die gerade bei der Beschreibung einer nicht gerade unkomplizierten Mutter-Tochter-Beziehung ausgesprochen selten zu beobachten ist. Insofern unser dritter Lesetipp!
Während Sarah auf dem besten Wege scheint, prominent zu werden, darf man Uwe Ochsenknecht zugute halten, dass er diesen Status schon längst innehat. Gleichwohl bleiben gewisse Zweifel, ob es denn unbedingt notwendig war, dass der – wie man sieht – gestensichere Mime mit seiner Autobiographie ‚Was bisher geschah‘ in die Einzelheiten seiner unbestritten kargen und entbehrungsreichen Jugend zurückführen musste. Sorry, vielleicht sind wir einfach nur allergisch gegen Autobiographien prominenter ZeitgenossInnen.
Spannender ist da schon ein Blick hinter die Kulissen von PoBerl, dem Politischen Berlin. Um so mehr, wenn ein alerter Publizist bei S. Fischer die Vorzüge von Nils Minkmars – immerhin Feuilletonchef der FAZ – ‚Der Zirkus – ein Jahr im Innersten der Politik‘ (hier mal ausnahmsweise als e-Book) preist. Wer es bei halbwegs klarem Geiste aushält, ein volles Jahr lang an der Seite eines Spitzenkandidaten in die Tiefen des Wahlkampfs einzutauchen ohne unterzugehen, der verdient in jedem Fall Respekt. Auch und gerade dann, wenn seine circensischen Beobachtungen uns den allerletzten Rest von Hoffnung um die Ohren hauen, dass Demokratie etwas Hehres sei. Die Sache an sich schon, aber die Protagonisten und ihre Beraterschar?
Soviel von unserem ersten, kurzen Rundgang über die Frankfurter Buchmesse 2013. Morgen geht’s weiter, mit dann deutlich mehr Lesetipps und einem intensiven Blick auf die Literaturszene Brasiliens. Und soviel sei jetzt schon verraten: Da gibt es einiges zu entdecken!
Tags: 45. Frankfurter Buchmesse, Autoren, Ehrengast Brasilien, Frankfurter Buchmesse 2013, Literaturzirkus, Schriftsteller, Verlage, Verlagswesen
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