Kamera
Schokolade

ZensUrsula oder von der Macht des Schwarms

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Medien, Politik, Technologie | 04. Mai 2009 | 17:31:00 | Dirk Kirchberg

Zugegeben, ich habe ein wenig gebraucht, um den Hashtag #zensursula zu entschlüsseln. Es hilft, wenn man diesen kleinen Racker anders schreibt: ZensUrsula. Natürlich ist damit die gewählte Mutter Deutschlands, Ursula von der Leyen gemeint, ihres Zeichens Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dass in dieser Auflistung der Zusatz Internet fehlt, wird noch von Bedeutung sein.

Unsere Bundes-Uschi ist als Bundes-Mutti also auch für den Schutz von Kindern zuständig. Und deshalb macht sie sich gerade gegen Kinderpornografie stark und will Pädophile jagen. Gut so, sagen wir! Allerdings nicht so, wie sie es vorhat. Denn dass Uschi vom Internet herzlich wenig Ahnung hat, offenbarte sie kürzlich in einem Interview bei radio eins. Denn in diesem Interview erklärte sie alle Internetuser, die in der Lage sind, eine DNS-Sperre zu umgehen, zu potentiellen Pädokriminellen.

Frau Ministerin, Frau von der Leyen, Uschi – glaub doch einfach mal den Experten und Spezialisten, wenn die Dir sagen, dass das, was Du da vorantreibst, nichts als Augenwischerei ist und zudem noch gefährlich ist für demokratische Prinzipien.

Und da das Netz nicht nur aus widerlichen Kinderschändern besteht, rufen wir hiermit dazu auf, dass ein jeder Nutzer sich beim Bundestag online anmelde (eine schmerzvolle Prozedur…) und die ePetition gegen Indizierung und Sperrung von Internetseiten unterzeichne. 50.000 Menschen müssen sich gegen eine solche Zensur aussprechen und unterschreiben, damit die Petition vom Petitionsausschuss des Bundestags behandelt werden muss. Wir verweisen gern auch auf die Videoaktion bei netzpolitik.org, wo sich in kurzen aufgenommenen Statements Netzmenschen gegen die Zensurbestrebungen der deutschen Regierung aussprechen. Das Schablonenbild stammt übrigens aus dem Font Parole, den man hier herunterladen kann.

Einen Gastbeitrag von Jens Scholz (den jeder gern bei Namensnennung kopieren und publizieren darf), der erläutert, warum es bei diesen Maßnahmen eigentlich um Zensur geht, lest Ihr auf der folgenden Seite.

Warum es um Zensur geht

Da reiben sich gerade so viele die Hände, daß man eigentlich ein beständiges Rauschen hören müsste. Die Idee, das Thema Kinderpornografie als Popanz vorzuschicken, um das nun geplante Internet-Zensursystem einzuführen war aber auch wirklich eine richtig gute. Hat das ja zuvor mit den Themen Terrorismus und Internet-Kriminalität nicht wirklich hingehauen, kann man hier spitzenmäßig mit dem Holzhammer wedeln und Kritiker einfachst diffamieren, indem man die eigentliche Kritik ignoriert und ihnen vorwirft, sie wollten die Verbreitung von Kinderpornografie schützen. Wie schnell schon der Vorwurf zum beruflichen und gesellschaftlichen Tod führen kann, zeigte man nur wenige Wochen zuvor ja schonmal anschaulich am Exempel Tauss (der übrigens natürlich nicht im Netz „erwischt“ wurde, sondern über Handykontakte und DVDs per Post).

Aber ich schweife schon wieder – wie es durch die Wahl dieses Themas ja auch gewünscht ist – ab.

Denn das Problem, das die Kritiker haben, ist ja natürlich nicht, daß man den Zugang zu Kinderpornografie sperren will, sondern das Sperrinstrumentarium, das man dazu baut. Schaut man sich das an, merkt man schnell: Es geht nicht um Kinderpornos und wie man dagegen vorgeht. Ging es nie.

Es geht um die Installation eines generellen technischen Systems und die generelle Art und Weise, wie es betrieben wird: Es geht darum, daß eine waschechte, diesen Namen zu Recht tragende, Zensur ermöglicht wird. Auch wenn die zunächst gesperrten Websites tatsächlich nur Kinderpornografie beinhalten (was die Liste eigentlich extrem kurz halten müsste) wäre sowohl die Technik, die Verwaltung und sogar die Psychologie installiert, um sofort eine effektive Zensur betreiben zu können.

Technik

Die Provider sollen ihre Nameserver so umbauen, daß Webseiten, die das BKA aussucht und ihnen nennt, nicht erreichbar sind und dem Nutzer bei Aufruf stattdessen eine Sperrseite angezeigt wird. Gleichzeitig soll das BKA jederzeit abrufen könne, welche Nutzer auf Webseiten aus dieser Liste zugreifen wollten und stattdessen auf die Sperrseite geleitet wurden.

Ein normaler Internetnutzer, der seinen Nameserver nicht auf einen freien DNS-Server umstellt, sieht bestimmte Seiten nicht und erhält die Mitteilung, er wolle sich gerade Kinderpornografie ansehen. Ob das stimmt, weiß er nicht und nachprüfen darf er das auch nicht, da ja schon die Suche nach Kinderpornografie strafbar ist. Der Nutzer muss sich in diesem Moment weiterhin im Klaren sein, daß er gerade etwas getan hat, was das BKA als illegal ansieht und als Grund ansehen kann, gegen ihn vorzugehen.

Die allein schon technisch verursachten Risiken für jeden Internetnutzer sind immens, noch dazu, weil man damit auch noch eine perfide Beweisumkehr eingebaut hat: Sie müssen künftig ihre Unschuld beweisen, z.B. daß sie „versehentlich“ die gesperrte Seite angesteuert haben. Viel Spaß beim Versuch, Richtern TinyUrls, iFrames, Rootkitangriffe, Hidden Scripting und so weiter zu erklären, wenn Sie überhaupt wissen, was das ist.

Die Lösung zunächst: Den Nameserver umstellen, um sich dieser Gefahr vollständig zu entziehen. Geht schnell und kann jeder.

Die Technik ist allerdings interessanterweise das kleinste Problem in dieser ganzen Geschichte. Es gibt Staaten, die in ihren Zensurbemühungen schon wesentlich weiter sind. Die Menschen dort können dennoch sowohl anonym als auch unzensiert das Internet benutzen. Das Internet ist von Nerds gebaut worden. Ein Staat kann da so viel fordern wie er will, er wird das Netz auf technischer Ebene never ever kontrollieren können.

Verwaltung

Hier liegen die springende Punkte, die das Ganze zum Zensurinstrument machen:

1. Die gesperrten Inhalte stehen auf einer Liste, die das BKA direkt und ohne Prüfungsinstanz erstellt und die die Provider möglichst ohne sie anzuschauen zu installieren haben. Es entscheidet kein Richter über den Inhalt, es überprüft keine unabhängige Institution über die Rechtmäßigkeit, es gibt keine Regelung, wie Adressen überhaupt wieder von der Liste gelöscht werden könnten. Die Polizei, die Verbrecher verfolgt, bestimmt, welcher Wunsch nach welcher Information ein Verbrechen ist. Vorab zu definieren, was ein Verbrechen ist und hinterher darüber zu entscheiden, ob ein Verbrechen begangen wurde ist aber nicht Aufgabe der Polizei.

2. Die Liste ist geheim. So lange diese Liste nicht in die Öffentlichkeit gerät kann alles drinstehen und nichts davon muss gerechtfertigt werden. Wer das in Frage stellt wird zum Verdächtigen. Wie Zensur in Reinform eben funktioniert.

3. Der Gesetzentwurf ist schwammig genug, daß das BKA im Prinzip alles in die Liste setzen kann. Da im Web jeder Inhalt nur einen Klick weiter vom letzten entfernt ist und das Gesetz möchte, daß auch „mittelbare“ Seiten gesperrt werden können, kann somit de facto auch jede Seite gesperrt werden.

4. Das System soll die direkte Verfolgung von Zugriffen erlauben. es wird nicht nur gesperrt, sondern es kann auch nachgeschaut werden, wer sich die gesperrten Seiten ansehen will. Dies kann dann Anlass für verdeckte Überwachungen, Hausdurchsuchungen und andere existenzbedrohende Vorgänge sein.

Die Staatsanwälte dieses Landes üben ja seit einiger Zeit kräftig an der Vorverurteilungsfront, indem Sie inzwischen gerne mal Pressemitteilungen über eingeleitete Verfahren rausgeben und die Presse direkt zu möglichst spektakulär und öffentlichkeitswirksam inszenierten Verhaftungen mitnehmen (Zumwinkel, Tauss, Frau B.).

Psychologie

Womit wir schon beim gewünschten Effekt von Zensur sind: Die Einführung der Schere im Kopf. Die wirksame Selbstzensur, weil man nicht weiß, was eventuell passiert, wenn man zu laut und deutlich Kritik äußert. Die Geheimhaltung der Sperrliste und ihre völlige Unverbindlichkeit durch das Fehlen jeglicher Kontolle ist ein bewußt eingesetzes Instrument, um Verunsicherung zu erzeugen.

Ein anderes ist die Verknüpfung mit dem Thema Kinderpornografie, womit wir wieder am Beginn dieses Artikels wären. Man weiß ja inzwischen, daß auch nur der leiseste Ruch, man könnte eventuell irgendwas mit Kindesmissbrauch und Pädophilen zu tun haben, die Existenz vernichten kann, selbst wenn hinterher rauskommt, daß tatsächlich nichts an den Vorwürfen dran war. Wie nahezu generell nichts rauskommt. Das ist ein so extrem starkes und wirksames Druckmittel, was natürlich beispielsweise ein Herr Gorny sofort erkennt, weil sein Versuch, diese Schere im Kopf einzuführen (durch den Versuch, Filesharing als schreckliches Verbrechen zu diskriminieren), wirkungslos blieb und er sich nun an den besser funktionierenden Trigger dranhängt (indem er Urheberrechtsverletzung mit Kindesmissbrauch gleichsetzt).

Die Justizministerin gibt dann noch Tipps in die richtigen Richtungen, die natürlich prompt reagieren. Überhaupt, das mal ganz nebenbei, finde ich es immer wieder seltsam, daß Frau Zypries immer wieder als Warnerin vermittelt wird. Dabei war – so sagt sie zumindest – sie es, die den Gesetzentwurf gegenüber dem Vorabvertrag von Frau von der Leyen verschärfen ließ und dieser nun schon den Zugriff auf Stopp-Seiten verfolgen lassen will.

Um die Frage zu beantworten, warum und wann es in einer Gesellschaft überhaupt dazu kommen kann, daß ein Teil davon meint, einen solchen Eingriff vornehmen zu müssen und der andere Teil (zu dem ich u.a. mich zähle) darin ein so massives Unrecht sieht, das es zu bekämpfen gilt, kann man sich bitte den Artikel Kampf der Kulturen drüben bei netzpolitik.org durchlesen.

Tags: , , , , , , , , ,

weitere Artikel

« | »

5 Antworten zu “ZensUrsula oder von der Macht des Schwarms”

  1. 05. Mai 2009 um 06:43:54 | Martin sagt:

    Top-Artikel. Ich werde mich in die Petitionsliste eintragen. Damit bin ich dann auch höchstwahrscheinlich automatisch auf der BKA-Liste der Pädokriminellen (was selbstverständlich nicht stimmt!). Alleine mein Glaube, dass eine Petitionsliste in diesem Lande noch etwas bewirkt, die Politik sich etwas um das tumbe Volk schert, tendiert eher gen Null. Aber ich möchte mir später nicht vorwerfen lassen, ich habe es nicht versucht!

  2. 05. Mai 2009 um 07:37:03 | Claude sagt:

    In Dänemark wurde jetzt eine Studie veröffentlicht, zur Entwicklung der weiblichen Brust bei mitteleuropäischen Mädchen. Das zur Messung des Einsetzens der Pubertät, Krebsvorsorge etc.
    Habe mich dabei erwischt, wie ich den Artikel aus der NYT NICHT in facebook verlinkt habe. Zensur funzt Offensichtlich schon, wenn sie nur angekündigt wird.

  3. 05. Mai 2009 um 09:16:57 | [Zensursula] Jetzt was gegen Netzzensur unternehmen! | bigger.cc sagt:

    […] Gefunden via Café Digital. […]

  4. 08. Mai 2009 um 12:37:52 | der papa sagt:

    Jens Scholz macht es auch nicht besser als die Trolle bei Heise.

    Er schreibt: „Es geht nicht um Kinderpornos und wie man dagegen vorgeht. Ging es nie.“ Das ist eine höchstens eine Vermutung, die allerdings an keiner Stelle seines Beitrages genügend Fundament bekommt um zu einem begründeten Verdacht zu werden.

    Noch was von ihm: „Die Geheimhaltung der Sperrliste und ihre völlige Unverbindlichkeit durch das Fehlen jeglicher Kontolle ist ein bewußt eingesetzes Instrument, um Verunsicherung zu erzeugen.“ Wieso klingt das für mich nach Verfolgungswahn? Das BKA ist doch nicht die GeStaPo. Das BKA kann auch nicht machen was es will. Aber genau das wird hier suggeriert: BKA = Willkür.

    Er schreibt weiter: „Sie müssen künftig ihre Unschuld beweisen, z.B. daß sie “versehentlich” die gesperrte Seite angesteuert haben.“ Wer der Anwesenden hat schon mal versehentlich eine Seite mit Kinderpornografie angesteuert, oder kennt wen dem das passiert ist? Und sollte das tatsächlich mal passieren, bin ich sehr froh darüber, dass es ein Schild gibt, dass mich daran hindert aus Versehen diese abscheuliche Bilder auf meinen Monitor zu bekommen. Ich will das nicht sehen. Ich weiß, dass ich diese Bilder nie aus dem Kopf heraus bekommen werde.

    Ich bin ja nicht so beschlagen wie Herr Scholz, deshalb muss ich einfache Vergleiche verwenden.

    Wenn die Polizei den Zugang zu einem Ladenlokal schließen kann, in dem illegales Material verbreitet wird, warum sollte sie das in der virtuellen Welt nicht dürfen? Sie muss dazu in der realen wie in der virtuellen Welt Prozesse einhalten. Wo ist da das Problem? Wenn ich vor so einem verrammelten Laden stehe kann ich auch nicht ohne weiteres nachprüfen ob dort tatsächlich illegale Geschäfte getätigt wurde, oder ob da nur eine oppositionelle Gruppe ihre Treffen abgehalten hat. Andererseits lassen sich durchaus interessante Erkenntnisse erlangen, wenn man mal schaut, wer da alles an der verrammelten Tür rüttelt. Müsste ich das anprangern?

    Ein anderes Beispiel: Die Polizei hat das Recht jede beliebige Straße zu sperren. Ohne richterlichen Erlass. Machen die das ohne Grund? Nein, natürlich nicht. Sicher, es ist möglich, aber es grenzt an eine Verschwörungstheorie zu glauben, die gesetzliche Grundlage zur Sperrung einer Straße in der Hand eines Polizisten ist Grundlage für die Eingrenzung der Bewegungsfreiheit aller Bürger.

    Alles das ist aber völlig irrelevant. Wir sind im Wahlkampf und da wird wahllos von beiden Seiten angegriffen. Wenn mit der Aufstellung einer Sperrliste für Internetinhalte die Befugnisse des BKA überschritten sind, dann hat der Gesetzentwurf keine Chance auf Realisierung. Sind die Befugnisse des BKA mit der Erstellung dieser Liste nicht überschritten, dann kann man das bedauern. Aber was hilfts?

  5. 13. Mai 2009 um 15:35:47 | niemand sagt:

    „Andererseits lassen sich durchaus interessante Erkenntnisse erlangen, wenn man mal schaut, wer da alles an der verrammelten Tür rüttelt. Müsste ich das anprangern?“

    nur das erst durch das RÜTTELN an der Tür zu erkennen ist, dass diese verrammelt ist. Na viel spaß beim Surfen! Hinter JEDEM link liegt dann die Gefahr auf ein Stop(p)-Schild zu stoßen. Einem Link kann man nicht anssehen, ob etwas illegales dahinter steckt.