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Frankfurter Buchmesse 2016 (Teil 3) – Dit is wat we delen

Veröffentlicht in Gesellschaft, Internet, Kultur, Kunst, Literatur, Medien | 21. Oktober 2016 | 18:00:21 | Roland Müller

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Flandern und die Niederlande. Oder doch die Niederlande und Flandern? Ein klein wenig haben wir bereits im Vorfeld den Eindruck, dass Flandern im Schatten der deutlich größeren Niederlande stehen wird. Auch wenn das Poster am Fuß der nach oben führenden Rolltreppen zum Pavillon der beiden Ehrengäste der diesjährigen Buchmesse uns das Gegenteil vorgaukeln will. Lassen wir uns überraschen…

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Oben angekommen, versuchen wir die beiden für die Pressebetreuung zuständigen Damen nicht weiter zu stören und schauen uns erst einmal um…

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Klar, licht und sachlich wirkt der lange Counter der Gastländer, egal, aus welchem Winkel man ihn betrachtet…

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Ganz so, wie wir auch unsere Nachbarn einschätzen. Und nein, bitte keine Holländerwitze an dieser Stelle, das wäre unpassend…

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Während wir durch die Doppeltür ins Innere des Pavillons spazieren, rufen wir uns ein paar Fakten zu Flandern und den Niederlanden ins Gedächtnis: Mehr als 300 literarische Titel flämischer und niederländischer AutorInnen wurden bisher ins Deutsche übersetzt. Erschreckend wenig, will uns scheinen, für zwei Nachbarländer, die 6,5 bzw. 17,1 Mio. Einwohner haben. Bedenkt man zudem, dass 132 deutsche Verlage Bücher in niederländischer Sprache eingekauft haben, sind das keine drei Titel pro Verlag. Es gibt also eine ganze Menge uns Unbekanntes, das unsere Nachbarn mit uns teilen können.

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Das Gewimmel hinterm Eingangsbereich scheint zu bestätigen, dass nicht nur wir neugierig sind auf das, was da mit uns geteilt werden soll…

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Ein schneller Blick nach unten: Aha, der gesamte Boden des Pavillons ist mit typische niederländischen Klinkern ausgelegt, genau so wie wir es von Plätzen in Amsterdam oder Antwerpen kennen. Fühlt sich gut an…

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Eine luftige, sehr transparente Projektions-Gaze zieht sich rundum, darauf Strand und Meer in leichter Bewegung…

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Unwillkürlich macht sich ein gewisses Urlaubsgefühl in uns und den Anwesenden breit. Um so mehr, als überall Liegestühle drapiert sind. Nicht einfach zum Daliegen, nein. Vorleser machen die Runde…

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Eine so einfache wie beeindruckende Idee. Wie überhaupt der gesamte Pavillon mit einfachsten und völlig unprätentiösen Mitteln gestaltet ist. Keine Show, keine Opulenz, klare Sachlichkeit, unkomplkiziert aber doch irgendwie… heimisch.

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Auch das Team um Christine Westermann scheint beeindruckt vom Ambiente…

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Nachdem uns die augenscheinlichen Interviewvorbereitungen zu lange dauern, schlendern wir einfach mal weiter. Was gibt es sonst noch zu sehen?

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Hm, es lohnt sich, den Blick nach unten, zum Boden zu richten. Denn in Abständen sind ins Klinkerpflaster Bildtafeln eingelassen. Darauf zu sehen die Schreibzimmer arrivierter Autoren niederländischer Sprache. Hier zum Beispiel jenes der Flämin Saskia de Coster

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Ein paar Schritte weiter das des Niederländers Arnon Grünberg. Ein bisserl barock, hm, so hätten wir ihn gar nicht eingeschätzt…

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Stefan Hertmans Arbeitsumgebung entspricht da schon eher unserem Kopfklischee vom typischen Literatenschreibzimmer eines flämischen Erfolgsautors.

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Auch jenes der flämischen Schriftstellerin und Theaterautorin Annelies Verbeke erfüllt alle unsere Vorurteilskategorien.

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Vor allem aber bringen uns diese bodenständigen Ansichten auf den Geschmack, ein wenig durch die langen Bücherreihen zu stöbern, die sich im Außenring des Pavillons, auf der Rückseite des unendlichen Strandpanoramas, versammeln.

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Die Transparenz der Projektionsgaze schafft witzige Effekte, wenn man auf der Rückseite der textilen Wand steht.

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Wir wandern hinüber zu einigen aus aufgeschichteten und verleimten Stegdoppelplatten gebauten Alkoven, in denen mittels virtueller Realität Geschichten „erzählt“ werden.

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All dies läuft unter dem Motto „Reading the Future“ – wobei geschickt thematische Brücken geschlagen werden zu Exponaten, die Schreib- und Lesekultur der Gastländer über die Jahrhunderte dokumentieren. Und je näher wir den besagten Stegdoppelplatten kommen, um so beeindruckter sind wir von dieser minimalistischen Pavillonarchitektur…

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In einem etwas größeren „Hörsaal“ linker Hand lernen wir einige interessante Autoren niederländischer Zunge kennen. Beispielsweise den niederländischen Journalisten und Erzähler Cees Nooteboom.

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Die im übrigen sehr gut und unterhaltsam geführten Interviews fesseln das Publikum ebenso wie uns.

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Ganz besonders gilt das für den überaus eloquenten und süffisant witzigen Adriaan van Dis, dessen trockener ironischer Satz, wonach im Krieg alle Holländer im Widerstand waren und sich die ganze Zeit nur von Zwiebeln ernährt haben, immer noch in den Ohren klingt. Sein aktuelles Buch Das verborgene Leben meiner Mutter – erschienen bei Droemer-Knaur – ist eine Abrechnung mit der jüngeren niederländischen Geschichte. Anhand der Geschichte seiner Mutter („eine reiche Bauerntochter“) und deren Erlebnisse in Indonesien – damals Niederländisch-Indien – deckt er auf, dass auch die Holländer in ihren Kolonien Blut an den Händen hatten. Und darüber hinaus, dass ihre Kolonialkriege teils bis heute in der niederländischen Gesellschaft schlicht ausgeblendet werden. Ein aktuelles Interview zur Neuerscheinung findet sich hier. Das Buch selbst ist durchaus ein Lesetipp. Unsere Nummer Fünfzehn.

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Wenig später begegnen wir Adriaan van Dis erneut. Diesmal in Begleitung einer Interviewerin, die geradewegs der holländischen Käsewerbung entsprungen zu sein schien. Wir wagten nicht zu fragen in wessen Diensten sie stand. Es drängen sich dumpfe Ahnungen auf…

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Derweil liegen eine Ecke weiter die Signierstunden der anwesenden flämischen und niederländischen Autoren. Wobei sich etliche spontane Gespräche mit Messsebesuchern ergaben. Literatur zum Anfassen.

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Wie überhaupt Transparenz, Bodenständigkeit und unkomplizierter Umgang – alles Archetypen unserer zu Unrecht an den hiesigen Stammtischen weit unterschätzten Nachbarn – im Ausstellungspavillon Methode hatten. So zum Beispiel bei einem Workshop oder besser Coworking-Shop von Illustratoren, die unter den Augen des Publikums ihre Arbeiten entwickelten und das oft mit analogen Mitteln.

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Für einen Moment fühlten wir uns zurückversetzt in die 80er oder 90iger Jahre, ins Büro einiger Art-Direktoren einer x-beliebigen Werbeagentur. Einziger Unterschied zwischen Fotokopierer, Papierstapeln, Magic Markern und Buntstiften war der freundliche junge Mann, der regelmäßig Snacks und Häppchen verteilte. LOL…

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Bevor wir uns nun aber allzusehr in dieser freundlichen, entspannten und transparenten Welt unserer nordwestlichen Nachbarn verlieren, zum Abschluss noch drei explizite Buchempfehlungen aus den chaotischen Fluren des Messebetriebs. Lesetipp Nummer Sechzehn: Die Unerwünschten von Dimitri Verhulst. Da verarbeitet ein großartiger flämischer Autor Kindheitserinnerungen der schlimmsten Art. Wie er das tut und warum man bei diesem gnadenlosen Blick in einen schwarzen Abgrund nicht ganz so herzhaft lachen kann wie bei seinem letzten, zudem erfolgreich verfilmten Werk Die Beschissenheit der Dinge, das mag der geneigte Leser selbst ergründen.

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Beim von uns hoch geschätzten mare Verlag erschienen ist Alfred van Cleefs faszinierende Reise entlang des Nullmeridians: Die verborgene Ordnung. Indem der Protagonist des Romans dieser eigentlich willkürlich gezogenen Linie folgt, landet er fast zwangsläufig an Orten, die zu besuchen es ansonsten kaum Anlass geben mag. Genau das macht diese Reise so ungemein spannend. Zumal Menschen und Ereignisse nicht aus hochnäsig westlicher Sicht bewertet werden, sondern sich einfach selbst genug sein dürfen. Wunderschön zu lesen, voller kleiner Skurrilitäten. Kein normales Reisebuch. Sondern ein echter Augenöffner. Unser siebzehnter Lesetipp!

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Nirgendwo sonst können Ost und West, Liebe und Schuld, Moral und Ausbeutung so hart aufeinander treffen wie im frühen Nachkriegs-Japan. Kees van Beijnum macht uns mit Die Zerbrechlichkeit der Welt nicht nur eine hierzulande wenig kolportiertes Stück Zeitgeschichte zugänglich, er entspinnt darin auch eine filigrane und sehr lesenswerte Liebesgeschichte, die nie in der Gefahr steht, ins Schwülstige zu kippen. Womit wir unseren achtzehnten Lesetipp gefunden haben.

Damit sind wir für heute dann auch wieder durch und platt. Plattfüßig zumindest. Denn das stundenlange Herumlaufen sind wir eher automobil Bewegten einfach nicht mehr gewöhnt. Gleichwohl gibt’s morgen noch einen Nachschlag. Dabei werden wir uns auf Skurriles links und rechts unseres Messeweges einlassen. Und schlussendlich enden bei einem Treffen von Buchbloggern. Was für Erkenntnisse das uns und Euch bringt, nun, das verraten wir dann morgen. Dis it wat we delen. CU!

P.S.: Ihr habt’s bemerkt? Wir haben mehr flämische als niederländische Autoren vorgestellt. Da sieht man mal, was Vorurteile wert sind…

 

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