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Frankfurter Buchmesse 2016 (Teil 1) – Hauptsache sicher

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Kunst, Literatur, Medien, Politik, Unterhaltung | 19. Oktober 2016 | 18:23:22 | Roland Müller

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Es war ja abzusehen. Nach allem, was 2016 uns bisher gebracht hat, konnte es nicht ausbleiben, dass auch rund um die größte Buchmesse der Welt die Sicherheitsbedingungen verschärft werden. Wir fügen uns drein und notieren am Rande, dass zumindest ausreichend Personal bereitgestellt war, um all die vielen Taschen, Beutel und Rucksäcke zu durchforschen, mit denen die Fachbesuchermassen in die heiligen Hallen drängen…

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Dass auf dem Weg hinein ins Getümmel ausgerechnet Nele Neuhaus über allem zu schweben schien, nehmen wir mal als positives Omen. Immerhin hat sich die Wahl-Taunusbewohnerin ja sehr erfolgreich in den Top Ten der deutschen Krimiautoren platziert. Ein Heimspiel gewissermaßen.

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Gleich eingangs der Halle 3.0, unserem schon traditionellen ersten Ziel jedes Messerundgangs, können wir uns ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn das mal nicht der intelligenteste und witzigste Spruch zu einem Kochbuch übers amerikanische Grillvergnügen Barbecue ist, soll uns doch glatt das nächste Steak verbrutzeln!

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Als wir den gewohnt üppigen Stand von Piper passieren, entdecken wir eine der raren, bekennenden Leseratten in der hessischen Landespolitik, den SPD-Chef  Thorsten Schäfer-Gümbel, vertieft in ein Verlagsgespräch. Wir werden ein wenig später erneut über ihn stolpern…

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…und lassen uns erst einmal von Geistern gefangen nehmen. Nathan Hills Geister, erschienen bei Piper, scheinen uns nach erstem kurzem Anlesen durchaus ein Kandidat zu sein für unsere alljährliche Liste der Lesetipps. Immerhin lobt ihn sein Kollegen John Irving über den grünen Klee als „Maestro des Schrecklichen“ und stellt ihn – hoppla! – auf eine Stufe mit Dickens. Da kann unser Erster Lesetipp nicht ausbleiben.

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Ach ja, die dünnen Bändchen aus Reclams Universal Bibliothek. Bis heute begleiten sie Generationen von Schülern bis zum Abitur und manchmal sogar darüber hinaus. Mit durchaus nostalgischen Gefühlen dringen wir tiefer ins Labyrinth der Halle 3.0 ein, lassen uns treiben im Strom der noch überschaubar vielen Besucher.

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Was an allen Ständen großer und kleiner Verlage auffällt: Bob Dylan hat zwar den Literatur-Nobelpreis erhalten, gut. Aber irgendwie tun sich alle schwer, ihn ins rechte Licht zu rücken. Ein großartiger Singer und Songwriter gewiss. Aber der Literatur-Nobelpreis? Wir kommen ins Grübeln. Denn wie es scheint, ist ihm selbst das Ganze genau so suspekt wie der Welt und uns.

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Bevor wir dies weiter vertiefen müssen, fällt uns gottlob Elke Heidenreichs schmaler neuer Band Alles kein Zufall in die Hand. Ach, sie kann’s halt, die Elke. Erschienen bei Hanser hat die vielseitige Moderatorin und Autorin es wieder einmal geschafft, aus sensibler Beobachtung und eigener Anschauung faszinierende Kurzgeschichten zu entwickeln. Sehr emotional, doch niemals des Guten zuviel, mitten aus dem Leben, ihrem und irgendwie auch unserem. Sehr schön, mal traurig, mal lustig, einfach gute Literatur. Und deshalb unser zweiter Lesetipp!

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Tja, da ist Jo Nesbø schon ein härteres Kaliber. Zugegeben. Der norwegische Musiker und Autor, der eigentlich Profi-Fußballer werden wollte und aus reiner Langeweile mit dem Schreiben von Krimis begann, hat mittlerweile mehr als 20 Millionen Bücher unters Volk gebracht und sich als ein Meister des raffinierten Plots entpuppt. Prima Zerstreuungsliteratur mit durchaus eigenem Sound, für neblige Winterabende am Kamin, soweit vorhanden.

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NEIN! Den wollten wir nun nicht schon wieder sehen. Für jemanden, der sich bereits mehrfach halboffiziell vom Politgeschehen verabschiedet hat, aber immer noch durch viel zu viele Talkshows tigert, soolte er es einfach mal gut sein lassen. Der heutige Besserwisser hat sich leider zu seinen aktiven Zeiten nur selten als Bessermacher qualifiziert.

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Natürlich kann es nicht ausbleiben, dass wir bei unserem Mäandrieren auch auf den diesjährigen Gewinner des Deutschen Buchpreises stoßen. Hier im TV-Interview vor dem Stand der Frankfurter Verlagsanstalt. Und immer noch hat es den Anschein, dass ihn die Widerfahrnis, die ihm da widerfuhr, irgendwie unangenehm ist.

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Wir selbst neigen mittlerweile eher jenen Kritikern zu, die sein jüngstes Werk als etwas überambitioniert und gefühlstriefend wahrnehmen, von allem ein Tick zuviel. Da muss sich wohl jeder selbst ein Bild machen. Gleichwohl ist und bleibt der gardaseetrunkene Frankfurter Bodo Kirchhoff einer der begnadetsten Gegenwartsschriftsteller hierzulande.

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Wir eilen weiter und lassen miefige Fünfzigerjahre-Ambiente hinter uns, die manche Verlage – nein, wir nennen keine Namen – wohl für cool, retrochic und angesagt halten. Uns schüttelt’s nur…

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Deshalb stürzen wir uns auch kopfüber mitten hinein ins Gangsterland von Tod Goldberg, verlegt bei Bertelsmann. Ein harter, zynischer und zugleich überaus komischer Mafia-Thriller der ganz anderen Art. Was nicht ausbleiben kann, wenn ein gescheiterter Mafiakiller, der versehentlich drei FBI-Agenten ins Jenseits befördert, als Rabbi unterzutauchen versucht. Herrlich! Ein toller Plot mit skurrilen Wendungen und jederzeit gut für unseren dritten Lesetipp!

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Im Vorbeigehen und natürlich nur aus zuckenden Augenwinkeln freut uns die Platzierung der Wahrheit über Donald Trump zwischen Zamperonis Fremdes Land Amerika und Giulia Enders Darm mit Charme. Das hat schon schon seine ganz eigene satirische Qualität. Nichtdestotrotz eine lohnende Lektüre, sollte es im November tatsächlich zum Äußersten kommen.

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Apropos Politik. Der Stand des SPD-eigenen Vorwärts Verlags ist alljährlich ein wichtiger Anlaufpunkt für alle, die politische und gesellschaftliche Themen und Aspekte auf den Punkt gebracht sehen wollen. Diesmal hören wir uns ein Gespräch zu Hannah Dübgens Überland an. Und treffen bei dieser Gelegenheit auch nicht unerwartet erneut auf den roten Thorsten. Zum besprochenen Buch: Was qua Plot – junge deutsche Ärztin trifft in Berlin eine aus dem Irak geflohene Studentin und Asylbewerberin und freundet sich mit ihr an – eine einzige Peinlichkeit sein könnte, entpuppt sich als sehr überzeugende und einfühlsame Aufdeckung wechselseitiger Vorurteile, Missverständnisse und Fehleinschätzungen. Ein gutes Buch zum richtigen Zeitpunkt, wie es scheint.

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Nichtdestotrotz steht uns nach dieser etwas anstrengenderen Kost der Sinn wieder nach Zerstreuung. Da kommt uns Cynthia D’Aprix Sweeney gerade recht. Mit ihrem Roman Das Nest ist ihr ein Familienroman gelungen, der mitreißt in seiner Absurdität. Zudem scheint er sich auch für die Autorin auszuzahlen, wie wir zu erkennen glauben.

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Aber im Ernst. Ihre bei Klett-Cotta erschienene Erzählung ist uns einen vierten Lesetipp wert. Denn Literatur muss nicht unbedingt immer bedeutsam und schwergewichtig daher kommen. Es ist viel schwerer, mit Leichtfüßigkeit die Unbilden des Lebens darzustellen.

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Das versucht auch Jonas Jonasson ein ums andere Mal. Ist aber nach seinem fulminant komischen Erstlingswerk zunehmend in Gefahr, sich in der Schlinge eines immer wiederkehrenden Plotkonstrukts zu fangen. Was wohl auch die Süddeutsche Zeitung irgendwie zu ahnen scheint. Immerhin ist Jonasson nach wie vor abonniert auf den Spitzenplatz der Bestsellerliste. Ein bisschen stimmt uns das traurig.

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Da muss schon ein Österreicher daher kommen, um uns aus unserem Verzweifeln an der literarischen Kunst zu retten. Mit Cox oder Der Lauf der Zeit legt Christoph Ransmayr einen Roman vor, der uns schier vom Hocker haut. Bei S. Fischer erschienen. Ganz großes Kino, subtil und fein zeichnende, zugleich überbordende Sprache, eine geniale Idee, die in Teilen durchaus auf historischer Tatsache beruht. Einfach ein Klassebuch, in dem Orient und Okzident aufeinander treffen, wie wir es bisher kaum je erlebt haben. Fünfter Lesetipp und sicher der beste heute. Wie schön zu sehen, dass die Alpenrepublik solche Literaten hervorbringt und nicht nur… Aber lassen wir das.

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Schließen wir dem lieber einen weitere, den sechsten Lesetipp an. Der gebürtige Frankfurter Martin Mosebach erzählt in Mogador ein Märchen, wenn man es denn so nennen will. Doch, man muss es so nennen, wenn ein Frankfurter Banker aus dem Fenster springt und in Marokko bei einer analphabetischen Hure, Kupplerin und dämonischen Seherin landet. Phantastisch in jeder Beziehung, erschreckend, abgründig und ungemein faszinierend, wie hier mit dem real Irrealen gespielt wird. Eine Reise, auf die sich jeder Leser gerne einlassen mag.

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Wenn’s ihm trotzdem zuviel wird, dem geneigten Leser, dann bleibt ihm ja immer noch die 112 anzurufen. Die sich vermutlich genau deshalb bereits unübersehbar im Forum zwischen den Messehallen stationiert hat. Wir sind zwar nach diesem ersten Messerundgang ein wenig beinmüde und zugegebenermaßen auch etwas hungrig. Aber für einen Notruf reicht das noch nicht. Immerhin haben wir ja auch morgen und übermorgen noch in gebotener Ausführlichkeit über die Frankfurter Buchmesse zu berichten. Und natürlich hoffen wir, dass Ihr, für die wir Auge und Ohr spielen, dann wieder mit an Bord sein werdet. Bis dahin: einen schönen Abend noch!

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