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Die schleichende Automatisierung des Journalismus

Veröffentlicht in Gesellschaft, Kultur, Medien | 19. September 2008 | 16:57:43 | Roland Müller

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Diese nur auf den ersten Blick erheiternde, von der Süddeutschen Zeitung und vom Tagesspiegel kolportierte Geschichte, hat uns dazu veranlasst, einmal der Frage nachzugehen, wie es denn überhaupt steht um den hochgelobten Qualitätsjournalismus. Ist es vielleicht der Beginn eines Trends, dass in Zukunft wie heute schon bei GoogleNews, Computer die Redakteure wegsparen, selbstständig aus dem Nachrichtenpool Stories generieren und dabei so gar nicht menschliche, manchmal vielleicht sogar unmenschliche Fehler machen?

Immerhin. Es wäre gewiss nicht die erste pragmatische Unsitte, die über den Großen Teich ins alte Europa schwappt, um erst verspottet und wenig später dann doch stillschweigend ins Tagesgeschäft übernommen wird. Ein Kollege, der in den USA lebt und arbeitet, hat erst kürzlich in einem Beitrag in einem Journalistenforum auf etliche dieser schleichenden Adaptionen hingewiesen, die nach und nach jeglichen journalistischen Anspruch aufzuweichen beginnen – oft dem Kostendruck gehorchend, der selbst den renommiertesten Redaktionen immer mehr den Boden unter den Füßen wegzieht.

So ist es seit längerer Zeit schon in den USA üblich, lokale, regionale und nationale News nachrichtentechnisch höher einzuordnen als das, was in der Welt vorgeht. Und siehe da: Ist das hierzulande nicht mittlerweile genauso? Der besagte Kollege konnte auf eine ganze Liste ähnlicher Effekte verweisen: 30-Sekunden-Nachrichtenstories mit Selbstabsage in TV und Radio. Das Schließen von Auslandsbüros und das Auflösen von Korrespondentenstellen. Ja, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten ist das Korrespondentennetz, das einst Aushängeschild seriöser und fundierter Berichterstattung war, längst nur noch ein teures Programmanhängsel. Der Fall Georgien ist da nur der jüngste Beweis. Zur Erinnerung: Da keine westlichen Korrespondenten vor Ort waren, wurden ohne jegliche Nachrecherche Informationen verwendet, die über die gut geölte PR-Maschine der Regierung in Tiflis lanciert worden waren. Was einzig und allein die BBC kürzlich zu einem „mea culpa“ veranlasst hat, nachdem man – immerhin öffentlich – festgestellt hat, dass man geleimt worden war.

Vielleicht sollte man gerade zum weltweit dichtesten Korrespondendennetz, dem der ARD, noch ein paar Worte verlieren. Derzeit besteht es aus 30, davon 14 europäischen Auslandsstudios (plus drei Außenstellen), 6 nord- und südamerikanischen sowie 7 asiatischen und lediglich 3 afrikanischen Auslandsstudios. Zum Vergleich: ZDF insgesamt 19, RTL 7 und Sat.1 3 Auslandsstudios. Und wenn man sich nun mal anschaut, was diese 30 Auslandsstudios mit ihren Korrespondenten schlussendlich an Sendezeit füllen, so ist dies im Verhältnis dazu erschreckend wenig. Wer erinnert sich noch an Werner Baeckers legendäres und regelmäßiges 45-Minuten-Feature „New York, New York“? Heute undenkbar, so etwas zur besten Sendezeit auszustrahlen. Wie auch. Da tummeln sich die Pilawas, Kerners und Beckmänner, die in der Sportberichterstattung ganz gewiss besser aufgehoben wären. Während die immer selteneren Korrespondentenberichte in den späten Abend oder in die Dritten Programme verdrängt oder ganz weggespart werden. Um dann – siehe Georgien – in aller Hektik wieder in kompakten Häppchen nach vorne gestellt zu werden, wenn es irgendwo „brennt“. Das ist irgendwie unter Wert. Oder – vielleicht ist das ja die eigentliche Tragik? – die Mehrheit der Fernsehzuschauer will keine qualifizierten Analysen von Korrespondenten sehen, sondern mehr, mehr, mehr, immer mehr Silbereisen, Hinterseer und Beckernilawa? Insofern kann man weder den Sendern noch den Tageszeitungen Vorwürfe machen, wenn sie ausweichen und aufweichen. Bis hin zur Vollautomatisierung der Inhaltsdarreichung womöglich.

Ach ja, und die ganzen netten Sendeformate, die wir aus den USA adaptiert haben. Talk-Shows, in denen sich abgenudelte Altprominente sinn- und ziellos und völlig streitkulturfrei über Themen streiten, die eigentlich niemanden interessieren. Übrigens ungemein preiswert zu produzieren, derlei Formate… Product-Placement. Infomercials. Dann die armen Schweine von Journalisten, die statt klassich im eingespielten Dreierteam mit Frontman-woman, Kameramann/frau und Toningenieur/in ihre Beiträge erstellen, als kostengünstige One-Man-Show alles selbst machen müssen, letztendlich bis zum Schnitt. Und das in solcher Hektik, dass fast zwangsläufig die Qualität auf der Strecke bleiben muss.

Katastrophen! Das absolute Lieblingsthema unserer Medien. Terrorangriffe, Flugzeugabstürze, Tsunamis, schafherdenzermalmende ICEs… Der alte Satz aus besseren Redaktionstagen „Das ist was für die B***zeitung!“ ist längst in Vergessenheit geraten. Weil die Zuschauer/hörer/leser bevorzugt genau das vollmundig aufbereitet, endlos ausgewalzt und mit ergreifenden/geifernden Bildern gewürzt serviert bekommen wollen: Katastrophen, die anderen zustoßen. Sorry, aber da gehören seit McLuhan immer zwei dazu. einer der empfängt und einer, der sendet.

Stellt sich eingedenk der eingangs verlinkten GoogleNews-Story die Frage, wer wann als Erster den entscheidenden nächsten Schritt tut und Redakteure komplett durch Computer ersetzt. Die dann – ich lasse mich da erneut durch besagten ungenannten Kollegen inspirieren – aus dem Internet algorythmengesteuert aus ein paar Dutzend oder Hundert Nachrichtenbeiträgen eine eigenständige Story zimmern und als Tagesthemen-Avatar mit perfekter Kunststimme ins traute Heim verbreiten. Mit dem synthetischen Brustton der Überzeugung. Doch wer wird uns sagen, ob das Wahrheit ist oder Fake? Aktuell oder Archiv?

Qualität? Journalistische zumal? Vielleicht noch mit sorgfältiger, sprich: kostenintensiver Recherche… Das werden sich in naher Zukunft nur noch die wenigsten leisten können und wollen. Und schon gar nicht jene Fernsehzuschauer, die bereits maulen, wenn die Gebühren fürs ach so teure Öffentlich-Rechtliche Fernsehen mal wieder um ein paar lächerliche Cent angehoben werden.

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5 Antworten zu “Die schleichende Automatisierung des Journalismus”

  1. 19. September 2008 um 23:56:56 | Dirk Kirchberg sagt:

    Roland: Leider gilt immer öfter der alte Satz: If it bleeds, it leads!

  2. 20. September 2008 um 22:17:49 | Sebastian Sparrer sagt:

    Die „paar lächerlichen Cent“ Gebührenerhöhung wären ja okay, wenn sie eben in den Qualitätsjournalismus fließen würden und nicht in den gierenden Mäulern von jenen Silbereisen, Hinterseern und Beckernilawas – und deren Gästen – stecken bleiben würden!

  3. 22. September 2008 um 14:07:19 | claude sagt:

    1. Danke für den sehr schönen Bericht.
    2. Schade, daß das nicht der von mir langersehnte EFFEKT für photobooth und iCHat war, der mich in MAX Headroom verwandelt. Den zu programieren ……
    3. Ich finde es gut, daß es Hinterseer und so gibt. Dann gehen die Zuschauer in der Zeit wenigstens nicht wählen. Das meine ich durchaus ernst.

  4. 22. September 2008 um 14:20:27 | claude sagt:

    @ Roland: Wie passend heute morgen im Radio:
    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/850153/
    schon wieder überall die selben Themen. sind wir alle gleichgeschaltet?

  5. 25. September 2008 um 17:01:46 | Wie mächtig ist Google wirklich? « Joes Garage sagt:

    […] Wie mächtig ist Google wirklich? Ist die von zwei jungen Studenten geführte Firma vielleicht in der Lage einen der größten Arbeitgeber der USA in Schwierigkeiten zu bringen oder Börsenkurse zu manipulieren? Google kann das natürlich nicht, das kann jeder einzelne Internetnutzer mit der Hilfe von Google!!! Eigenartig nur, dass diese Story sonst niemanden interessiert.  (via Cafedigital) […]