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Archiv für 10. März 2008

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Ketzer, Kritiker, Vordenker

Veröffentlicht in Gesellschaft, Technologie | 10. März 2008 | 21:03:09 | Roland Müller

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Sein ELIZA war das erste AI-Programm, das ich auf meinem Apple Macintosh 128k installiert hatte. Für einen Moment wehte damals der Glaube an den unaufhaltsamen Aufstieg der Künstlichen Intelligenz durch mein Zimmer. Nicht allzulange. Denn vergleichsweise schnell stellte sich heraus, dass vieles von dem, was da in den siebziger und achtziger Jahren hochgekocht wurde, das war, was man heute als Hype bezeichnen würde. Joseph Weizenbaum hatte dies und vieles andere mehr früh erkannt. Früher als andere. Er, der nach eigener Aussage mehr durch Zufall als Planung zum Vordenker der aufkommenden Computertechnologie wurde, wandte sich als einer der Ersten wieder von ihr ab. Er wurde zum kritischen Mahner, erkannte intuitiv und intellektuell die Gefahr einer Entmündigung durch die Allgegenwart der Computer und ihre immer komplexer werdenden Strukturen. Abhängigkeit von anderen, und sei es von Maschinen, war dem zweitältesten Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie in Berlin, die 1936, also gerade noch rechtzeitig, aus Deutschland in die USA emigrierte, immer ein Greuel. Als ausgebildeter Meteorologe und später Mathematiker war er an der Entwicklung der ersten Computersysteme beteiligt, arbeitete für Bendix Aviation und general Electric, bis ihn schließlich 1963 der Ruf ans MIT ereilte. Hier wurde er zum Mitbegründer der Computerwissenschaft. Weltweit bekannt machten ihn jedoch nicht seine hoch gerühmten wissenschaftlichen Studien, sondern jenes kleine, harmlos erscheinende Programm namens ELIZA, das in Fachkreisen auf den schönen Namen „A Computer Program for the Study of Natural Language Communication Between Man and Machine“ hörte und mit oft verblüffender Schlagfertigkeit bei den Anwednern den Eindruck erweckte, es mit einer tatsächlichen Maschinenintelligenz zu tun zu haben. Weizenbaum muss dies in höchstem Maße amüsiert haben, wusste doch gerade er um die äußerst rudimentären Dialogfähigkeiten seiner Programmierung. Und doch war es ausgerechnet dieses harmlos erscheinende Programm und sein enormer Erfolg, der ihn schnell und voller Erschrecken erkennen ließ, dass es offenbar ein menschliches Bedürfnis ist, mit Maschinen zu sprechen und ihnen geradezu blindes Vertrauen entgegenzubringen. Diese Wahrnehmung veränderte seinen ganzen Lebensweg. Fortan wurde er zum Mahner in der Wüste. In zahllosen Publikationen formulierte er seine Kritik an einer Computerwissenschaft, die ohne fixe ethische Maßstäbe den Menschen immer weiter entmündigt. Von den USA aus und nach dem Fall der Mauer und seinem Umzug nach Berlin, der Stadt seiner Jugend,  von hier aus zog er gegen den „Imperialismus der instrumentellen Vernunft“ zu Felde, jenem Schlüsselbegriff, den er in seinem vielleicht berühmtesten Werk „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ 1976 etablierte. Ihn zu bekämpfen, daran konnte ihn nicht einmal eine Krebserkrankung hindern. Der er dann doch schlussendlich, am 5. März 2008, zum Opfer fiel – Computerkritiker bis zuletzt, doch niemals das, was ihm seine Kritiker anzudichten versuchten, nämlich technikfeindlich gesonnen zu sein. Was man von ihm lernen kann? Ganz einfach: Dass Technologie ohne eine Ethik ihrer Anwendung eine Gefahr ist für uns alle. Ja, er war ein großer Mann, der Joseph Weizenbaum – einer, der uns fehlen wird.

Übrigens: Der AI-Klassiker ELIZA kann natürlich heutzutage online getestet werden: hier!

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