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Schokolade

Das Feuerwerk des Monsieur Kerviel

Veröffentlicht in Gesellschaft, Medien | 28. Januar 2008 | 21:56:42 | Roland Müller

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Wenn wir uns hier schon mit digitalem Workstyle beschäftigen, dann muss ein ganz besonders eindrucksvolles Beispiel dessen, was mit digitalen Arbeitsmitteln von einem entsprechenden Arbeitsplatz aus heute möglich ist, natürlich zur Sprache kommen: das soeben aufgedeckte Finanzfeuerwerk des Societé Generale Brokers Jerome Kerviel. Jenes 31-Jährigen also, der mit angeblich nicht genehmigten und zudem vom Controlling der immerhin zweitgrößten Bank der Grande Nation nicht erkannten Trades einen Verlust von 4,9 Mrd. Euro generiert hat. Eine stolze Summe, die da seit Tagen durch die sogenannte Fachpresse geistert. Die Details hat die SocGen gerade offengelegt. Trotzdem scheinen die Medien nicht so recht begriffen zu haben, was sich da – ganz digital – abgespielt hat. Geblendet vermutlich durch die auf den ersten Blick astronomische Summe Spielgeldes…

Aber schauen wir doch mal genauer hin: Was braucht es, um einen Verlust dieser Höhe zu produzieren? Richtig. Kapital, sehr viel Kapital. Rund 50 Mrd. Euro, wie SocGen herausgefunden haben will. Und diese vor den wachsamen Augen des Back Office der Bank verborgen? Ho, ho, ja, vielleicht auf den Kapverdischen Inseln oder auf Sumatra. Aber ganz gewiss nicht in Paris! Und erst recht nicht eine Summe, die höher ist als der Börsenwert von Frankreichs zweitgrößter Bankgesellschaft. Niemals! Wenn der junge Mann zudem tatsächlich mit 140.000 Dax-Futures auf einen weiter starken Dax gewettet haben sollte, dann gibt es da zudem einen pikanten Zusammenhang mit dem mehrtägigen Crash des Dax. Und zwar entgegen der Darstellung der Bank einen unmittelbaren: Je Dax-Punkt gewinnt ein solcher Future 25 Euro. Was Gier verständlich macht. Oder aber er verliert sie, wenn statt des erwarteten Bullenmarktes plötzlich der Bär los ist! Nachdem die Futures-Position Anfang des Jahres aufgebaut worden war, unter dem Eindruck eines sehr bullishen Dax, ist klar, was sich da abgespielt haben mag: Der Dax marschierte nach unten und dem Trader traten Schweißperlen auf die Stirn. Er verlor die Nerven und versuchte in kürzester Zeit, die 140.000 Futurekontrakte wieder loszuwerden. Wenn man weiß, dass an einem normalen Tag wie heute vielleicht 200 Verkaufs- und 100 Kaufkontrakte im Markt sind, dann kann mann sich, glaube ich, ausmalen, was passiert, wenn plötzlich zehntausende Kontrakte in den Markt gedrückt werden. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo eine (übrigens vom Markt längst erwartete, ja herbeigesehnte) Korrekturphase eingetreten ist. Richtig: Er reagiert. Und wie! Vielleicht dämmert jetzt dem einen oder anderen Leser, wo der rasante Absturz des Dax um 1.800 und mehr Punkte herrührt. Dass die SocGen beteuert, den Crash nicht ausgelöst zu haben, ist so klar wie die Tatsache, dass selbst der begnadetste Hacker nicht in der Lage ist, Transaktionen im 50-Mrd.-Euro-Volumen vor den Controllern zu verbergen. Auch nicht mit den so schön vage beschriebenen „modernsten Möglichkeiten der Computertechnik“. Cloaking von 50 Mrd. EUR? Niemals!

Mir jedenfalls drängt sich der Verdacht auf, dass da ein Institut darüber hinwegzutäuschen versucht, dass es sich mit Deckung von möglicherweise ganz weit oben verzockt hat. Da lediglich Indizien darauf hinweisen und keine Beweise vorliegen, vielleicht auch nie vorliegen werden – der digitale Workstyle weiß dies auszuschließen – ist die SocGen aus dem Schneider. Und Monsieur Kerviel der Gelackmeierte. Und wir alle werden uns fragen müssen, ob das Problem des auf digitalem Datenfluss beruhenden globalen Finanzsystems tatsächlich in seinen digitalen Instrumenten liegt oder unprofessionellem Controlling oder nicht doch vielmehr in einem überaus analogen Bestandteil der menschlichen Psyche höherer und höchster Entscheiderkreise: Gier. Die Gier, die so lange wegschauen lässt, wenn eines der von den finanztechnischen Möglichkeiten leicht zu verführenden „Probleme vor der Tastatur“ eine heiße Spekulation an den Bankregeln vorbei startet, bis klar ist, ob es vielleicht doch ein Megadeal wird. Auch hierfür ein Indiz? Bitte sehr: Angeblich hatte die SocGen bereits seit November Erkentnnisse, dass Jerome Kerviel hoch pokert. Mal angenommen, der junge Mann hätte mit seiner Wette richtig gelegen, nur mal angenommen, hmmm…?

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